Was sinkende Zinsen für Banken bedeuten

Auswirkungen sinkender Zinsen auf Banken

Nach einer Zinssenkung im Juni hat die EZB den Leitzins eingefroren – vorerst. Experten:innen erwarten nach dem Sommer weitere Senkungen. Aber wie kommen sie zu dieser Prognose und was bedeutet das für die Bankenwelt? 

Die Europäische Zentralbank (EZB) legt gerade eine Zinspause ein. Bereits im Juni entschied der Rat, den Leitzins um 25 Basispunkte auf 4,25 Prozent zu senken. Der Zins für die Spitzenrefinanzierung, den die Banken zahlen müssen, wenn sie sich kurzfristig Geld bei der EZB besorgen, liegt nun bei 4,5 Prozent. Der Einlagesatz, den Banken erhalten, wenn sie ihr Geld über Nacht bei der EZB parken, liegt bei 3,75 Prozent. Dabei beschäftigt die EZB derzeit vor allem eine Frage: Wann kann der Leitzins wieder gefahrlos gesenkt werden? Experten:innen sind sich zwar einig: Die Zinssenkung kommt. Uneinigkeit herrscht aber darüber, wann die EZB diese Entscheidung treffen wird. 

Einer dieser Experten ist Dr. Marco Wagner, Volkswirt bei der Commerzbank. Seine Aufgabe ist herauszufinden, wie stark die Zentralbank den Zins in den nächsten Monaten verändern wird, obwohl sie sich nicht in die Karten schauen lässt. „Wir sind Dienstleister für unsere Kunden:innen”, sagt er. „Wenn wir mit unseren Prognosen richtig liegen, hilft das unseren Kunden:innen.“ So können Unternehmen zum Beispiel einschätzen, wann es wieder bessere Kreditbedingungen gibt. Seine Prognose: dass die EZB den Einlagensatz im September, Dezember und März um 25 Basispunkte senken wird, bis auf 3 Prozent also. Ähnlich liegt die Prognose der Deutschen Bank und anderer Häuser. Aber wie kommen Experten wie er dazu?

Falken gegen Tauben

Wagner ist kein Hellseher. Denn er hat tatsächliche Anhaltspunkte für seine Erwartung: „Für die Prognose bewerten wir nicht einzelne Datenpunkte, sondern das gesamte Bild, das die Daten ergeben“, sagt er. Dabei spielt der menschliche Faktor eine größere Rolle, als man zunächst annehmen könnte. Wagner spricht von drei Schritten. 

Zuerst schauen sich Wagner und seine Kollegen die Verteilung im EZB-Rat an. In diesem Gremium sitzen die Chefs der Zentralbanken der Euroländer. Sie entscheiden über die Zinsschritte. Dabei sind manche Mitglieder:innen dafür bekannt, eine eher restriktive Geldpolitik zu vertreten, also die Zinsen im Zweifel eher höher zu lassen. Sie nennt man Hawks, also Falken. Demgegenüber stehen die Doves, also Tauben, die eine expansive Geldpolitik befürworten und damit eher für niedrigere Zinsen stehen. Wagner und sein Team arbeiten daher mit ihrem sogenannten „Hawkometer”. Darin teilen sie die Mitglieder:innen des EZB-Rates in die beiden Lager ein. So können sie abschätzen, wie sich der Rat entscheiden wird. Denn der entscheidet mit einfacher Mehrheit. 

In einem zweiten Schritt schaut Wagner auf die lange Frist. Der Zins, an dem sich die EZB orientiert, nennt man den natürlichen Zins, der die Wirtschaft weder antreibt noch bremst. Ihn kann eine Zentralbank nicht selbst bestimmen, dafür ist ihre Macht nicht groß genug. „Wo der liegt, hängt von sehr vielen volkswirtschaftlichen Faktoren ab”, erklärt Wagner. Derzeit verortet er den natürlichen Zins bei 2 bis 2,5 Prozent. „Dort dürften wir meiner Einschätzung nach aber nicht landen, weil wir in den kommenden Jahren weiterhin viel Inflationsdruck haben werden.”

Sinkende Zinsen trotz steigender Inflation

Im letzten Schritt berücksichtigt Wagner die sogenannte Taylor-Regel. Sie gibt eine Orientierung, wie sich die Zinsrate anhand der Inflation und verschiedenen Konjunkturdaten entwickeln sollte. Entscheidend ist dafür auch, wann neue Daten zur Arbeitslosenquote, Ölpreise, Gaspreise, Löhne und Produktivität im Euroraum veröffentlicht werden: „Etliche Ratsmitglieder:innen haben bereits gesagt, dass eine geldpolitische Entscheidung am meisten Sinn macht, wenn es neue EZB-Projektionen gibt”, sagt Wagner. Und die liefert die Statistik-Abteilung der EZB im September, Dezember und März. 

Das Besondere an der aktuellen Situation: Obwohl die Inflationsrate im Euroraum zuletzt wieder leicht auf 2,6 Prozent stieg und laut Prognosen bis Jahresende noch weiter steigen wird, bedeutet das nicht automatisch, dass die Ratsmitglieder:innen sich gegen eine Zinssenkung entscheiden. „Wenn die Inflationsrate gemäß der EZB-Projektionen weiter steigt, sind viele Ratsmitglieder:innen trotzdem entschlossen, die Zinsen weiter zu senken”, sagt Wagner. Denn sie rechnen nur mit einem kleinen Buckel, also dass die Inflationsrate nur kurzfristig steigen, dann aber wieder abnehmen wird. Anders wäre es, wenn die Inflation über das erwartete Maß hinaus steigt.

Banken sind vorsichtig geworden

Was können aber Sparer:innen erwarten, wenn es so läuft, wie Marco Wagner und sein Team es vermuten? Der Einlagesatz, den Banken erhalten, wenn sie ihr Geld über Nacht bei der EZB parken, beeinflusst vor allem die Zinsen auf Tagesgeldkonten. Derzeit liegt der bei 3,75 Prozent. Wenn die EZB diese Zinssätze senkt, werden die Tagesgeld-Zinsen sinken. Doch sie sinken nicht eins-zu-eins. „Wenn sich Banken überlegen, wie sie Tagesgeldzinsen setzen, spielen auch langfristige Erwartungen eine Rolle”, sagt Marco Wagner. „Gerade liegen die Zinsen auch deshalb etwas niedriger, weil man bereits erwartet, dass der Zins bald sinken wird.” Banken seien vorsichtig geworden, das schnelle Auf und Ab der Zinsen in den vergangenen Jahren nach einer langen Periode mit einem praktischen Nullzins habe viele Gewissheiten zerstört. Ein weiterer Grund, warum die Sparzinsen in Form des Einlagezinses oft niedriger liegen, ist die überschüssige Liquidität der Staatsbanken.

Verbesserte Kreditkonditionen

Durch die sinkenden Zinsen der EZB werden Kredite wieder günstiger. Denn Banken müssen sich an den Zinsen orientieren, die sie anderweitig bei der EZB bekommen würden. Gleichzeitig stehen die Banken im Wettbewerb und müssen daher mit den angebotenen Zinsen runtergehen. Nach der Prognose von Wagner wird der Einlagesatz im nächsten Jahr also schon bei etwa drei Prozent liegen: „Die Zinssenkung dürfte sich nahezu eins zu eins auf die Kreditzinsen übertragen”, sagt Wagner. Doch bieten Banken unterschiedlich hohe Zinsen an und haben unterschiedliche Strategien, mit den Zinsen umzugehen. Und manchmal reagiert der Markt mit etwas Verzögerung auf ein sich änderndes Zinsniveau. Gleichzeitig würden die Kreditkonditionen immer besser, je mehr sich die wirtschaftliche Situation stabilisiert, sagt Marco Wagner. 

Kein automatischer Boost für Aktienmärkte

Sinkt der Leitzins, macht das andere Geldanlagen als Tagesgeld und Festgeldkonten wieder attraktiver. Denn bei Aktien, Fonds und Immobilien ist die Rendite dann oft höher als die Zinsen. Doch hier befinden sich die Märkte in einer Sondersituation. Das wurde schon am Anfang der Inflationskrise deutlich. Zwar hob die EZB den Leitzins, trotzdem legten die Aktienmärkte weiter zu: Viele Analysten erwarteten damals Kursverluste. Die kamen aber nicht. Zusätzlich findet die immer noch überschüssige Liquidität ihren Weg in die Aktienmärkte. Gleichzeitig profitieren viele Aktien vom KI-Hype und dem Rüstungs-Boom. 

Das zeigt: Die Wirkung von Zinsentscheidungen der EZB auf die Märkte ist schwer vorhersehbar. Manche Teilmärkte reagieren schon auf die bloße Erwartung, dass der Leitzins steigen oder fallen wird, sehr empfindlich. Ein Beispiel hierfür ist Gold. Ein Grund dafür, dass die Preise des Edelmetalls seit einiger Zeit steigen, ist die Erwartung, dass der Leitzins wieder fallen wird. Schon viele Monate vorher reagieren Käufer:innen dann auf eine Vorahnung. 

Für Wagner steht fest: „Es spielen derzeit noch viele Sondereffekte eine Rolle, dass der unterliegende Trend der Inflation nicht ganz klar zu erkennen ist.” Trotzdem scheint es aus seiner Sicht unwahrscheinlich, dass sich der grundlegende Trend der sinkenden Leitzinsen im nächsten Jahr nicht bewahrheitet. Aber letztendlich ist er kein Hellseher. 

Über Strategien zur Zinspolitik in volatilen Märkten geht es auch auf der Banking Exchange 2024 in einem Fireside-Chat. Das vollständige Programm und Tickets gibt es hier.

Das könnte Dich auch interessieren:

Autor

  • Lukas Homrich ist freier Journalist und Mitarbeiter des dreimaldrei Journalistenbüros. Er schreibt über Wirtschafts- und Finanzthemen. Besonders Spaß macht es ihm, über Geschäftsmodelle zu philosophieren.

Weitere interessante Beiträge

  • Das waren die zehn wichtigsten Krypto-News im Dezember 

    Das waren die zehn wichtigsten Krypto-News im Dezember 

    Trump, SEC und die Genobanken: Sie alle haben den Krypto-Space in den vergangenen Tagen geprägt. Was dahinter steckte und was…

  • Wie Exporo Impact Investing fördern will 

    Wie Exporo Impact Investing fördern will 

    Die Firma will Investitionen in erneuerbare Energien einfacher machen. Im Podcast spricht Chef Simon Brunke über Herausforderungen bei dieser Mission.

  • Die Bank als Medienhaus: Wie Finanzinstitute digitale Kommunikation erfolgreich nutzen können

    Die Bank als Medienhaus: Wie Finanzinstitute digitale Kommunikation erfolgreich nutzen können

    Die digitale Transformation hat die Finanzwelt grundlegend verändert. Offline-Kanäle als Kundenbindungspunkte reichen nicht mehr aus, denn immer häufiger findet die…

Newsletter
open close

Der beste Newsletter ever.

Wir versorgen dich täglich mit News, ausgewählten Artikeln und Kommentaren zu aktuellen Themen, die die Finanz-Branche bewegen. Jetzt anmelden!