Reality Check: Ist Micropayments wirklich ein riesiger Wachstumsmarkt oder mehr Hoffnung als tatsächliches Business?
Die Kollegen vom Bitcoin, Fiat & Rock’n Roll Podcast haben eine vor wenigen Wochen erschienene Studie der Europäischen Zentralbank “A big future for small payments? Micropayments and their impact on the payment ecosystem” in ihrem Podcast besprochen. Beim Hören des Podcasts musste ich gefühlt ständig “VEEETO” schreien. Aber nicht weil die Podcast-Kollegen Fehler machten, sondern weil die grundlegenden Annahmen der EZB-Studie wenig realistisch sind und ausschließlich den Payments-Prozess, nicht aber die vor- und nachgelagerten Prozesse der Industrie berücksichtigen. Hier ein kleiner Reality-Check: Micropayments ist nicht der große Markt, der nur darauf wartet wachgeküsst zu werden!
(Micro)Payments ist in bestehende Prozesse eingelagert – diese zu ignorieren führt zu falschen Schlüssen
Aus meiner Sicht ist sowohl die Studie der EZB, als auch die immer gleichen Argumente auf Kongressen zum angeblichen riesigen Zukunftsmarkt von Micropayments zu kurz gesprungen. Viel zu oft werden von Payment-Menschen die vor- und nachgelagerten Prozesse außerhalb der Zahlungsabwicklung komplett ignoriert. Micropayments ist ja kein “neues” Thema an sich. Durch den Boom von As-a-Service Geschäftsmodellen / Mietmodellen und dem Trend-Thema Machine-to-Machine bzw. IoT-Payments, ist das Thema wieder sehr aktuell. Dabei vergessen viele Protagonisten, dass Micropayments schon seit 20+ Jahren im eCommerce existiert und umfangreich Erfahrung damit vorliegt. Davon können (Zentral)Banker profitieren, die sich meist nur mit der Zahlung an sich beschäftigen und die vor- und nachgelagerten Unternehmensprozesse einer Zahlung oft gar nicht kennen.
Nicht Micropayments heutiger Zahlmethoden sind ineffizient, wie es oft behauptet wird, sondern der end2end Prozess ist ineffizient für die Abwicklung Microtransaktionen. Für den aktuellen scheinbaren „Heiligen Gral“ Machine-to-Machine-Payments und IoT-Payments gilt das analog. Aus der Payments-Community nehmen sich nur sehr wenige Menschen wirklich die Zeit, um mit den Industriekunden die Corporate/ERP-Prozesse rund um Rechnungsstellung, Buchhaltung und Zahlungszuordnung im Detail zu besprechen. Nur so ist zu erklären, dass in dem Kontext aktuell so viel Unsinn publiziert und auf Konferenzen behauptet wird.
Falsche These, dass bestehende Zahlverfahren ineffizient für Micropayments sind
Es sind die Nanopayments im Sub-Centbereich, die nicht über den Status Quo bestehender Zahlmethoden effizient abwickelbar sind. Micropayments dagegen sind seit Jahren effizient in der Abwicklung. Bestes Beispiel dafür sind z.B. der iTunes Musik-Store und die danach folgenden App-Stores mobiler Endgeräte. Dort sind 99Cent-Micropayments seit einem Jahrzehnt (App-Stores) bzw. zwei Jahrzehnten (itunes Music) etabliert. Keines der aktuell genutzten Zahlverfahren hat ein wirkliches Problem mit diesen Micro-Transaktionsbeträgen. Erst mit Nanopayments im niedrigen einstelligen Cent-Bereich oder sogar Subcent-Bereich stoßen Zahlverfahren an Herausforderungen.
Auch das häufig zitierte PayPal-Beispiel einer 1-Euro-Transaktion, bei der 20% bis 40% Gebühren berechnet werden, ist nicht repräsentativ für ein angebliches Micropayment-Problem. PayPal hat seit über 10 Jahren ein eigenes Micropayments-Pricing für Anbieter von digitalen Gütern. Für Micropayment-Transaktionen gibt es eine deutlich höhere %uale-Gebühr, aber nicht die hohe fixe Transaktionale Gebühr. Dadurch sind die fixen Payment-Kosten, die Micropayments angeblich so ineffizient machen nicht gegeben. Wie “Professionell” ist in diesem Kontext die Behauptung Micropayments seien ineffizient, wenn man als Begründung ein unpassendes Gebührenmodell für Macropayments heranzieht? Payment ist jedenfalls, nachweislich seit Jahrzehnten kein Bottleneck für die Abrechnung niedrigpreisiger Medien wie Zeitungsartikel, Musictracks etc.
Gaming ist kein zukünftiger Wachstumsmarkt für Micropayments mehr. Die haben es schon längst!
Micropayments gibt es in der Spieleindustrie, seit der Einführung der Free2Play-Gamingmodelle vor anderthalb Jahrzehnten durch Unternehmen wie Bigpoint, Zynga, Rovio und anderen Publishern. Hunderte Millionen Spieler täglich wickeln längst Micropayments auf Basis der bestehenden Zahlmethoden ab. Die Anbieter haben dafür die sogenannten “In-Game-Währungen” geschaffen, die gegen Zahlung von bestehenden Zahlverfahren vor-aufgeladen werden. Alles andere ist auch aus Spielersicht völlig ineffizient. Kein Mensch, auch kein Zentralbanker an seinem freien Wochenende, möchte im Spiel / im Gefecht extra einen komplexen Payment-Checkout-Prozess für ein Micropayment durchlaufen. Stattdessen wird SOFORT mit einem Click im Spiel die zusätzliche virtuelle Waffe benötigt. Kein Hassle eines Warenkorbs oder Zahlung z.B. scannen von QR-Barcodes des geplanten digitalen Euros via dessen App. Bis solch ein Prozess durchlaufen ist, ist der Avatar im Spiel längst ausgeschieden. Für diese Fälle sind In-Game Währungen ideal, da gar kein externer Kauf- und Paymentprozess nötig ist und trotzdem Micro/Nanopayment ermöglicht wird.
Nicht zum ersten Mal glauben Finanzmenschen, offensichtlich ohne jeglichen Gaming-Hintergrund, dass die Gaming-Industrie auf ihre Finanzlösungen wartet und nur wachgeküsst werden muss. Vor wenigen Jahren sind ähnliche Kopfgeburten wie Börsen-Marktplätze zum Tausch von Game-Items grandios gefloppt. Siehe das Beispiel der Deutschen Börse und der Naga-Gruppe, was wir ausfühlich hier im Blog analysierten.
IoT/Machine2Machine Payments? Bedarf ist ist Micro-Abrechnung aber nicht Micro-Zahlung.
Internet-of-Things (IoT) bzw. Machine2Machine-Payments sind offensichtlich der neueste, heißeste Trend auf der Spitze des Payment-Hypecycles. Das erkennt man auch daran, dass Zentralbanker den Mehrwert des zukünftigen digitalen Euro für Endkunden mit der reinen Business-Innovation von Machine2Machine Payments rechtfertigen. Schmunzeln ist eine gute Reaktion, wenn diese Aussagen in Medien oder Präsentationen getätigt werden. Gleiches hört man, ähnlich unreflektiert, aus der Crypto-Community zur angeblich grundlegenden Notwendigkeit der Blockchain für IoT-Payments.
Großbanken haben im Corporate Banking bereits Erfahrung gesammelt. Siehe z.B. die Deutsche Bank mit Bosch und dem “Energy-as-a-Service”-Modell nutzerbasierter Abrechnung von Brennstoffzellen. Ganz ohne Cryptozahlungen und Zentralbankwährungen ist dieses Modell heute bereits möglich und wartet so offensichtlich nicht auf neue Zahlmethoden oder Technologie, wie manche behaupten.
Micropayments sind keine notwendige Voraussetzung für die solche IoT-Geschäftsmodelle. Hier wird offensichtlich „nur“ im eigenen (Payment)Silo gedacht und ein Problem für eine Payment/Blockchain-Lösung gesucht. Leider werden aber auf dieser Suche die Unternehmensprozesse der Industriekunden ignoriert, sonst würde man nicht von Micropayments als Lösung sprechen.
Die Prozesse in der Buchhaltung zu Rechnungsstellung, -Freigabe, Buchung, Zuordnung eingehender Zahlungen sind heute meist noch gar nicht auf Micropayments ausgelegt. Es ist daher aktuell gar nicht im Interesse der Corporates Micro- oder Nanopayments abzuwickeln. Die meisten klassischen ERP-Systeme können solche Micro-Belege für die vielen Buchungen von kleinteiligen Zahlungen oft auch noch gar nicht im notwendigen Volumen abwickeln. Kleinteiliges Pay-per-Use wird im Industrieumfeld daher über mehrere Tage oder monatlich zusammengefasst auf einer Sammelrechnung und einer Zahlung. Die gewünschten Micro-Transaktionen werden so ermöglicht, aber eben ohne Micro-Payments weil die vor- und nachgelagerten Prozesse und Systeme bisher die Herausforderung darstellen und nicht das Payment an sich. Wenn Sie beim nächsten Fachkongress sind, fragen Sie den euphorischen Referenten zu IoT & Machine2Machine Payments, ob er/sie aus seinem Silo heraus mal die Unternehmensprozesse berücksichtigt hat und ob er/sie weiter glaubt Payment ist in dem Kontext das Problem und benötigt (s)eine Lösung.
Micropayments ist kein Enabler für Medienunternehmen, sondern deren bestehende Monetarisierungsmodelle sind Verhinderer.
Last but not least wird seit Jahren Micropayments als notwendige Lösung genannt, dass dann endlich einzelne Presse-Artikel bei Zeitungen und Zeitschriften kaufbar wären, statt die Nutzung eines Abo-Modells. Auch hier ist Micropayment kein Enabler bzw bestehende Zahlverfahren nicht die Verhinderer. Siehe die oben angeführten Modelle in den App-Stores, den Kauf von einzelnen Musiktracks oder Gaming. Die Herausforderung st nicht der Zahlungsverkehr, sondern der starke Fokus der Medienanbieter auf die Abo-Geschäftsmodelle – es besteht dort kein wirklicher Wunsch Presseartikel auf Einzelbasis zu verkaufen wie es z.B. im Gaming mit einzelnen In-Game-Items längst üblich ist. Es schwingt immer die Befürchtung mit bestehende Abos zu verlieren bzw. weniger Neuabos zu gewinnen. Im Fintech-Bereich gab es die Modelle von Laterpay und Satoshipay, die sich auf kleinteilige Micropayments im Medien-, Verlagsbereich fokussierten. Aber das was Gaming im free2play erfolgreich vorgemacht hat, woll(t)en die tradierten Medienhäuser offensichtlich nicht. Es wurde und wird ein berechenbarer, wiederkehrender Abo-Umsatz vorgezogen. Das zeigt auch hier: Micropayment ist nicht der gehoffte Enabler, sondern zuerst muss sich die Monetarisierungsstrategie der Medienhäuser ändern. Payment war dazu bisher kein Verhinderungsgrund.
Fazit – Micropayment ist nicht der fehlende heilige Gral
Auch für Micropayments gilt die alte Regel: Es hat nur selten mit der Skalierung geklappt, wenn ein Angebot händeringend auf der Suche nach einem Problem ist. Vielmehr muss ein Problem so groß genug sein, dass der Markt Lösungen dafür adaptiert oder schafft. Micropayments auf Basis bestehender Zahlmethoden ist in Nischen längst üblich. Bestehende Zahlmethoden stehen einer größere Skalierung dieser Nischen in Massenmärkte nicht im Weg. Es besteht keine zwingende Notwendigkeit der Einführung neuer Zahlverfahren dafür, auch wenn das Anbieter versuchen uns so zu verkaufen.
Wenn Menschen hinter neuen Lösungen aber den Eindruck machen, dass nur durch ihr Produkt ein Marktsegment durchstarten wird, sollte man genauer hinschauen und kritisch hinterfragen. Manchmal ist es hilfreich den kritischen Kopf einzuschalten und Thesen zu hinterfragen. Viel zu oft fällt dabei auf, dass die Basis für Ableitungen morsch ist oder gar nicht existiert. Damit lässt sich für Entscheidungsträger auch viel Geld für unnötige Investments sparen.