Girocard – Guter Schritt, aber derzeit noch mehr Fragen als Antworten
Letzte Woche wurde auf der Profitcard 2019 von Seiten der, für die Girocard-Vermarktung Verantwortlichen, EURO Kartensysteme überraschende Neuigkeiten angekündigt. Die Deutsche Kreditwirtschaft hat sich offensichtlich entschieden einen neuen, dritten Anlauf zu nehmen, die Girocard für die Onlineakzeptanz auszustatten:
- Erstmals gab es den Versuch im Jahr 2003 anläßlich der CeBIT. Damals wurde als Showcase gezeigt, wie man mit der Debitkarte und einem mit dem PC-verbundenen Klasse3-Kartenleser online bezahlen kann.
- 10 Jahre später starteten Banken und Sparkassen einen weiteren Versuch die Girocard ins Internet zu bringen. Statt einen mit dem Rechner verbundenen Kartenleser wurde damals erwartet, daß der Kunde einen mobilen Bluetooth Kartenleser mit sich führt zur Authentifikation – analog des Onlinebankings. Gerüchteweise wurde die Initiative politisch abgewürgt zugunsten der Paydirekt-Initiative.
- Schließlich nun 2019 und sechs Jahre nach dem letzten Versuch kommt nun ein dritter Ansatz mit der Girocard im boomenden Onlinepayment aktiv zu werden.
Was fällt auf im Kontext der Vorstellung? Es wurde explizit betont, daß die Girocard “nur” in-app onlinefähig sei. Wenn dies so besonders betont werden muß, zeigt sich, daß die Protagonisten hier durch das politische Minenfeld der Banken und Sparkassen Slalom fahren. Man sieht die Girocard z.B. nicht als “Konkurrenz” zu Paydirekt, da Paydirekt nicht im In-App-Payment aktiv sei. Wenn ich mir die 2017er Pressemitteilung “Paydirekt mit neuer Zahlfunktion für In-App-Käufe” durchlese, bin ich mir da nicht so sicher, ob es eine klare Abgrenzung geben kann.
So oder so ich fragte mich schon immer, warum die Girocard mit eingeführter Marke, 100 Millionen Karten im Feld und der größten deutschen Terminalbasis im Handel, nicht viel früher als Zahlverfahren online gebracht wurde und anderen Initiativen wie Paydirekt vorgezogen wurde?
Interessant ist aber der Kontext der Handelsakzeptanz. Zwar hat sich die Kreditwirtschaft in weiten Teilen von ihren Akzeptanztöchtern getrennt, aber die großen Händler in den Fußgängerzonen sind längst auch online mit Präsenzen vertreten. Es liegen also bestehende Akzepanzverträge vor, die nicht mehr neu verhandelt werden müssen. Lediglich der technische Netzbetrieb muß noch hinzugefügt werden und schon fluppen die ersten In-App-Payments durch die Systeme.
Angesichts des günstigen 0,2% Entgeltmodells für die Zahlungsgarantie wird nicht nur PayPal, sondern auch Paydirekt ein blasses Gesicht bezüglich der Gebührenstruktur bekommen. Laut Euro Kartensysteme sollen bis zum Jahresende die ersten Girocard-Transaktionen In-App abgewickelt werden. Wir dürfen gespannt sein, wie sich die Situation weiter entwickelt, denn es bleiben derzeit noch etliche Fragen offen. Daher im Stil der 100-Fragen-an-die-Paymentbranche des Hanno Benders hier die 10 Fragen zu Girocard In-App Payment, die es weiter zu beobachten gilt:
- Warum soll ein Anbieter überhaupt noch viel höhere Preise für Paydirekt bezahlen und komplett neue Verträge abschließen, wenn er von den gleichen Banken auf deren 100 Millionen Girocards zugreifen kann und das auf Basis der längst abgeschlossenen Verträge und Prozesse? Man denke hier z.B. an die Deutsche Bahn, die In-App viele Tickets verkauft und gerade Paydirekt promoted.
- Welche Rolle spielt die parallele Ankündigung von Apple Pay? War die Girocard In-App-Lösung gar ein Kompromiss um die Girocard überhaupt in Apple Pay zu enablen? “Ende des Jahres” ist kurioserweise auch der Zeitraum des geplanten Apple Pay Launches durch VR-Banken und Sparkassen.
- Die Kunden-Frage: “Guten Tag, ich möchte online bezahlen, welches Verfahren raten Sie mir” wird ab sofort noch komplexer: “Kreditkarte, Giropay, Paydirekt, Girocard In-App, Kwitt P2B…” Schöne komplexe neue Payment-Welt.
- Ist das In-App Payment der Girocard nur die Vorstufe für Girocard online und somit der Sargnagel für Paydirekt?
- Wie plant die Kreditwirtschaft die In-App-Cross-Border Girocard-Transaktion? Im stationären Handel heißt die Lösung Co-Badgeing mit Maestro und VPay. Gibt es ein digitales In-App Co-Badgeing überhaupt?
- Mobile- und In-App Payments ist aktuell der Hometurf von PayPal und Deutschland als Lastschriftland deren Profatibiliäts-Cash-Cow. Wie wird sich eine so niedrige Entgeltstruktur auf das Preismodell und den Marktanteil von PayPal in Deutschland auswirken?
- Das Interesse des Handels an der Lösung sei sehr groß. Sehen wir hier nur eine weitere Ankündigung einer technischen Machbarkeitsstudie oder kommt hier ein richtiges Produkt?
- Welchen Einfluß hat diese Lösung auf die Instant-Payment-Hoffnungen des Handels?
- Seit ungefähr 2005 spricht die Industrie über SEPA (Single Euro Payments Area), dem Buzz-Word für die politisch gewollte Einheitlichkeit des Zahlungsverkehrs in Europa/Euroraum. Debitkarten sind 2019 immer noch nicht einheitlich. Wird dieser Ausnahmestatus noch mehr zementiert? Ein nationales Zahlverfahren im grenzenlosen Internet-Payment?
- Werden Banken und Sparkassen weitere Präzendenzfälle für die Face/Finger-Authentifikationsverfahren von Apple, Google, Samsung und Co. mit der Girocard bauen, aus denen sie später kaum noch rauskommen?
Fragen über Fragen zu einem sehr spannenden Thema. Wir bleiben dran, beobachten die Entwicklungen hier im Blog und freuen uns, daß uns die Themen nicht auszugehen drohen :)