Wir begleiten den großen Themenkomplex Open Banking bei uns im Blog in verschiedenen Podcasts und Artikeln schon lange bevor die PSD2 in Kraft getreten ist. Auch in Interviews beschäftigen wir uns kontinuierlich mit dem Thema. Nun ist mit einer BGH-Niederlage der deutschen Bankenverbände gegen das Kartellamt ein großes weiteres Kapitel vorerst beendet worden.
Eine Auseinandersetzung, die eine der wesentlichen Grundlagen der PSD2 legte. Ein kleiner Blick zurück in die Geschichte in der Hoffnung, dass für die Zukunft aus den strukturellen Fehlern gelernt wird.
Ein kleiner Blick in die deutsche Open Banking/PSD2-Geschichte
Bekanntlich waren deutsche Banken und Sparkassen seit den 80ern des letzten Jahrtausends mit der FinTS/HBCI-Schnittstelle als Nachfolge von Banking im Bildschirmtext (BTX) ein sehr früher Innovator des Open Banking-Ansatzes und setzten damit international vorbildlich Akzente.
Ein breites Ökosystem von Mehrwertanwendungen rund um das eigentliche Banking wurde dadurch über Jahre ermöglicht und lange Zeit gefördert. Die grundlegende Voraussetzung über die Jahrzehnte war die Tatsache, dass die Onlinbanking-Zugangsdaten in den Drittapps/Drittanbieter von den Kunden selbst eingegeben wurden.
Diese Tatsache verstieß jedoch in Teilen gegen die AGBs der Institute. Kunden sollten ihre Zugangsdaten nicht an Dritte bzw. an Drittparteien weiter geben. Sowohl die Nutzer, Drittanbieter als auch die Banken selbst, tolerierten jedoch genau diese Weitergabe der Zugangsdaten an Dritte über viele Jahre.
„Banken und Sparkassen ermutigten gar den Kunden zum AGB-Verstoß, indem sie in ihren eigenen multibankenfähigen Banking-Apps und Programmen sogar die Eingabe der Zugangsdaten von dritten Kreditinstituten erlaubten.“
Sofortüberweisung vs deutsche Bankenverbände: David gegen Goliath
Mitte der 2000er drängte aber ein unangenehmer “Störenfried” in dieses Ökosystem. Mit dem jungen Startup Sofortüberweisung (2013 von Klarna für $150 Mio übernommmen) etablierte sich ab ca. 2005 ein neuer Online-Zahlungsanbieter, der in direkter Konkurrenz mit dem ungefähr zeitgleich von Banken gestarteten Giropay getreten war.
Sofortüberweisung ist nach der Zahlungsinitiierung jedoch mit einem durchaus diskutablen Vorgehen aufgefallen. Sie hatten deutlich mehr Daten aus dem Banking des Kunden ausgelesen, als “nur” für die Zahlungstransaktion nötig war. Trotz nachweislicher Produktschwächen des Anbieters (z.B. keine 100%ige Zahlungsgarantie für den Händler, kein Käuferschutz, keine Sicherheit eines regulierten Anbieters) gewann Sofortüberweisung deutliche Marktanteile und überholte schließlich das Bankverfahren Giropay.
Unternehmerisch gesehen lag eigentlich für die Banken und Sparkassen mit Giropay eine ideale Situation vor: Sie hatten das höhere Vertrauen, Produktvorteile, keine chronischen Startup-Finanzierungsprobleme und der Markt bewies, dass ein starker Bedarf nach einem solchen Produkt vorliegt. Selbst Paypal nahm Anfang der 2010er Jahre Sofortüberweisung ernst. Für einen Unternehmer also eine Elfmetersituation vor einem leeren Tor – man hätte den Ball nur spielen müssen.
Statt aber zu schießen, also unternehmerisch auf diese Herausforderung zu reagieren und Giropay zu stärken, zerrte man stattdessen das kleine Startup vor Gericht und klagte es an. Begründung der Klage: Das Unternehmen ermutigt die Kunden gegen die Banken AGBs zu verstoßen. Eine Praxis die wie oben dargestellt etliche andere Anbieter auch, andere Clone von Sofort ohnehin und zum Teil die Banken selbst machten.
Der Rest ist Geschichte. Die Gründer von Sofortüberweisung starteten eine klassische “David gegen Goliath”-Story und suchten sich Verbündete gegen die Bankverbands-Goliaths. Wer brachte angesichts der Situation dann nicht ein wenig Sympathie für den Underdog auf, der sich wehrte? Sowohl in Deutschland beim Kartellamt als auch in Brüssel fanden die Startup-Unternehmer aus Gauting bei München Gehör.
Das deutsche Kartellamt wies zuerst die deutschen Bankenverbände in die Schranken, in Brüssel wurde die PSD2 definiert und Europa etablierte sich weltweit als Innovator im Openbanking.
In der Zwischenzeit wurde Sofort von Klarna übernommen. Trotz der offensichtlich politisch gewollten neuen Rahmenbedingungen im Kontext der jahrelangen PSD2-Entwicklung, trieben die Bankenverbände dennoch fast sturköpfig ihre Sicht weiter durch alle rechtlichen Instanzen bis vor den Bundesgerichtshof. Dort haben sie jetzt rechtskräftig verloren. Man mag sich gar nicht vorstellen, wo die einzelnen Banken und Sparkassen heute national und international stünden, hätte man Zeit, Geld und Energie nicht in Rechtsgutachten gesteckt, sondern in Produkte!
Ist die BGH-Niederlage Tür und Tor für Schadenersatzklagen?
Auch als wohlwollender Beobachter muss man konstatieren, dass die innovationsfeindliche Verhinderungsstrategie der deutschen Bankenverbände einmal mehr gescheitert ist. Der Kunde wurde im Streit um das Kleingedruckte auch mal wieder komplett ignoriert – fairerweise muss man aber konstatieren, dass die Verbandsfunktionäre ohnehin keine “Endkunden” haben, also warum sollten sie dann auch auf diese Rücksicht nehmen?
Offen ist nun wie Klarna als Rechtsnachfolgerin der beklagten Sofort mit dem BGH-Urteil umgeht. Wie groß hätte Sofortüberweisung werden können ohne die vielen öffentlichen Warnungen, daß sich die Nutzer mit der Weitergabe der Onlinbebanking-Daten in eine Haftung begeben? Wie hoch ist also der Schaden entgangener Profite? Gleiche Rechnung könnten die Investoren der Gesellschaft aufmachen. So oder so, es bleibt ein gravierender Flurschaden für die deutsche Kreditwirtschaft zurück. Wie viel weiter wären Banken und Sparkassen im Openbanking und im Payment? Wie wäre die Marktposition gegenüber PayPal?
Auch hier gilt wieder: Unternehmerisches Handeln schlägt Gremienarbeit, Politik und Lobbyismus. Verbände sind und werden keine Unternehmer, weder in der Kreditwirtschaft, noch in anderen Industrien. Nur die kreditwirtschaftlichen Verbände sehen das trotz aller mannigfaltigen historischen “Erfolge” irgendwie weiter anders und bauen bzw. verantworten weiter Produkte im Zahlungsverkehr. Wie ein früherer Banker in diesem Kontext bei Twitter richtigerweise festellte: “in Verbänden sitzen keine Unternehmer! Oder lassen BMW, VW, Rewe, Otto, Metro das durch den VDA oder HDE machen?“
Was sagen die werten anderen Kollegen von Payment & Banking zu der traurigen Entwicklung?
Kilian Thalhammer
Traurig ist das falsche Wort – die Frage ist eher, warum dauert so etwas 4 Jahre – und nun ist es maximal noch für ein paar Nerds interessant. In der Zwischenzeit hat sich der Markt mit Vollgas entwickelt und ignoriert so etwas als “Backgroundnoise”. Hier muss man sich fragen, ob die Gerichte/Rechtssprechung ihre Relevanz überschätzt. Am Ende muss man sich die Frage stellen, welchen Stellenwert hat diese teure Diskussion für den Kunden? Vermutlich keine. Es interessiert ihn schlichtweg nicht. Bleibt also Alibi – und sorgt dafür, dass wir Zeit und Markt verlieren. An smarte Fintech Unternehmer aus “nicht Deutschland“. Sehr schade – oder wie man aus der Branche hört – in 4 Jahren und mit dem Anwaltsbudget hätte man viel bauen können.
Miriam Wohlfarth
Ich war sehr erstaunt und verwundert als ich das gelesen habe. Irgendwie etwas, dass bei mir komplett in Vergessenheit geraten ist. Sehr schade, wie viel Zeit und Geld hier vergeudet wurde. Dem Wettbewerb sollte man sich stellen und nicht versuchen durch Klagen zu stoppen.
Maik Klotz
Der erhobene Zeigefinger, mit denen Banken über viele Jahre hinweg ihre Kunden beim Einsatz alternativer Online-Banking Software und später Apps verunsichert haben, ist nun Geschichte. Die späte Genugtuung ist im Grunde ein bitterer Sieg, denn was hilft das Urteil am Ende dem Markt? Jahre hinweg wurden Kunden beim Einsatz alternativer Apps oder dem Einsatz von Sofortüberweisung kriminalisiert. Dabei hätte man mit einer offenen Politik und Haltung so viel für den Markt und den Kunden tun können. Die Liste der Blockaden ist um einen Punkt länger, aber auch die Liste der Fehlschläge eben dieser Blockaden auch. Schade nur, dass so viel Zeit und Energie vergeudet wurde und das zulasten der Kunden.
André M. Bajorat
Leider sind wir aus der Bahn der technikgetriebenen, mutigen Vorreiter irgendwann falsch abgebogen. Statt den Vorsprung im Sinne von kundenorientierten digitalen Lösungen zu nutzen, haben wir uns in Deutschland mehr damit beschäftigt Regeln zu definieren und Innovationen in Leitplanken zu Zwängen. Dabei haben wir den Willen der EU Politik nicht immer richtig antizipiert und sind nun da wo wir sind: im Mittelfeld von Open Banking.
Christina Cassala
Es zeigt sich hier wieder einmal, wie schwer sich Dickschiffe damit tun, ihren Kurs zu stoppen, den Kurs zu ändern und neue Ziele in ihr Navigationssystem eintippen. Es hätte heißen müssen: Kundenorientierung, Marktverständnis und technologischer Vorsprung. Wieder einmal zeigt sich, dass es in Deutschland nicht an Ideen fehlt, sondern an Visionären, die nicht auf ihr Recht beharren, sondern die bereit sind, innovativ und nah am Markt zu denken. Schade um die verlorene Zeit und die Ressourcen, die man besser hätte nutzen können, um mit der Nase voraus zu neuen Ufern aufzubrechen. Aber ist es nicht interessant, wie wenig dieses Thema noch in der Szene diskutiert wird? Für den Kunden hat das Urteil schon lange keine Relevanz mehr.