PayPal hat das mPOS-StartUp iZettle kurz vorm angekündigten Börsen-IPO für einen Wert von $2,2 Mrd übernommen. Ganz große Gratulation zum lukrativen Exit an die schwedischen Gründer, einmal mehr ein Unicorn made in den Nordics! Gleichzeitig ist der Erfolg der Schweden aber eine teure Peinlichkeit für PayPal selbst. Denn mehr oder weniger zeitgleich zu iZettle ging PayPal in Europa mit einem identischen Produkt an den Markt, schaffte es aber trotz fundamental besseren Startbedingungen das Produkt nicht am Markt zu platzieren. Ein, aus heutiger Sicht, $2,2Mrd teures und großes Executionproblem bei PayPal – nicht das Erste übrigens!
Schon 1997 machte der Harvard Professor Clayton Christensen in seinem oft zitierten Buch “The Innovator’s Dilemma” auf die Schwierigkeiten, gar Unfähigkeit großer Unternehmen und Organisationen aufmerksam, sich am Ende der S-Wachtsumskurve selbst neu zu erfinden und nachhaltig neue Innovationen in den Markt zu bringen. Die heutige Übernahme von iZettle ist ein besonders deutliches Zeichen dafür und zeigt, daß aus dem ehemaligen, hoch innovativen Unternehmen PayPal ein langsamer, angreifbarer und behäbiger Konzern wurde. Der Preis für diese spezielle Form des Innovator’s Dilemma, was rein im internen Handling bei PayPal begründet ist, liegt nun bei $2,2Mrd. Das ist ein extrem teurer Preis für die internen Ineffizienzen bei PayPal. Eigentlich liegt hier eine Sonderform des Innovator’s Dilemma vor, denn Paypal reagierte in Europa rechtzeitig, aber vermasselte es selbst durch mangelhafte Execution. Also vielleicht sollte man es besser Execution Dilemma nennen?
mPOS-Historie
Was viele nicht wissen: PayPal hatte früh das Potential des mPOS-Markts identifiziert. Geführt von ehemaligen PayPal SVP Mobile und späteren Präsidenten/CEO David Marcus wurde in den USA das mPOS Produkt ‚PayPal Here‚ gestartet. Damals war, das vom Twittergründer Jack Dorsey gegründete Unternehmen Square mit mPOS bereits sehr erfolgreich in einer Zielgruppe, die eigentlich der PayPal Hometurf und Grund für das PayPal-Wachstum war: Zahlungsakzeptanz bei KMU-Händlern, die für die bestehenden Anbieter (Banken, Acquirer) zu klein und unattraktiv waren. Square setzte die PayPal-Erfolgsformel nun im stationären Handel um. PayPal hat in den USA viel zu lange dem Erfolg von Square ohne Gegenreaktion zugesehen und erst der Unternehmer David Marcus, selbst über eine Übernahme zu PayPal gekommen, hat eine noch heute existierende Kopie von Square namens PayPal Here lanciert. Bis heute hat PayPal Here, da zu spät am Markt, nur einen Bruchteil des Marktanteils von Square in den USA erreicht.
Die reinen Magnetstreifenleser von Square und PayPal Here funktionierten nicht im europäischen Markt. Wir waren hier schon längst auf Chip/EMV migriert. Da Square mit seiner Internationalisierung nach Europa stockte, entwickelten sich hier etliche neue Copy-Cat StartUps. Darunter in Deutschland aktiv u.A. iZettle (aus Schweden), SumUp (aus Berlin), Payleven (aus Berlin von Rocket Internet), Streetpay (aus München). Nach einer großen Konsolidierung sind de-facto nur noch iZettle und SumUp übrig geblieben. Parallel zu den Gründungen der StartUps etablierte PayPal schon in den Jahren 2012/2013 die europäische Version von PayPal Here. Getrieben von einem Team aus dem UK-Office von PayPal wurde PayPal Here als mPOS-Angebot im eigentlichen großen britischen Kartenmarkt gestartet.
Das PayPal Execution Dilemma
Anders als nach den Thesen von Christensen, lag hier eigentlich kein Innovator’s Dilemma vor. PayPal erkannte das Potential strategisch früh und war zeitgleich und rechtzeitig mit den StartUps in den europäischen mPOS-Markt, mit einem mehr oder weniger identischen Produktsetup eingestiegen. PayPal agierte also selbst sehr innovativ und strategisch zum richtigen Zeitpunkt. Anders als die StartUps hatte PayPal die besten Erfolgsvoraussetzungen: Kein wiederkehrendes existentielles Fundingproblem wie bei StartUps, etabliertes und “günstiges” Payment-Processing, eine etablierte pan-europäische Sales Force mit Schwerpunkt im Zahlungsverkehr und eine große Händlerbasis zum Start. Trotz aller, fast perfekten, Voraussetzung hat es Paypal aber nicht geschafft. Bis heute spielt PayPal Here keine nennenswerte Rolle im Markt. Die Gründe für das Scheitern und dem jetzt bezahlten hohen Preis für den europ. Marktführer iZettle liegen in einem schlichten Execution Problem. PayPal hat es selbst vermasselt, weil sie trotz bester Voraussetzungen keine nennenswerte Marktanteile gewannen. Schnelles Unternehmertum schlägt einmal mehr langsames Konzernagieren. Ist ein Grund dafür vielleicht der personelle Aderlass fast aller unternehmerischen PayPal-Führungskräfte, die PayPal in wenigen Jahren zum dominanten europäischen Marktführer machten? Auf sie sind eher Corporate-Führungskräfte gefolgt.
Nicht das erste Mal, daß PayPal wegen mangelhafter Execution teuer StartUps zukaufen muss
iZettle ist für PayPal nicht der erste Sündenfall und nur ein weiteres Beispiel für suboptimale Execution. Bevor Paypal im Jahr 2008 für $1.2Mrd das US-amerikanische Konsumentenkredit-StartUp BillMeLater.com übernahm, gab es schon lange das Produktangebot PayPal Credit. Das PayPal Credit Team wurde nach Übernahme aufgelöst und die BillMeLater-Mitarbeiter übernahmen PayPal Credit. Für einen nicht veröffentlichen Betrag übernahm PayPal 2011 eine Art europäische Kopie von BillMeLater, das deutsche StartUp Billsafe – rechtzeitig mit dem Start von Klarna, RatePay und BillPay in Deutschland/Europa. Trotz der Übernahmen von BillMeLater und Billsafe hat Paypal bis heute nicht das Wachstum von Klarna zum Unicorn verhindern können. 2013 übernahm PayPal in den USA für $800Mio den Online PSP Braintree. Haupttreiber der Übernahme war die Braintree-Tochter Venmo. Venmo hatte sich plötzlich als P2P-Payment Marktführer in den USA entwickelt. Ein Markt, den PayPal bislang dominierte. So lukrativ die Braintree/Venmo-Übernahme sich für PayPal entwickelte, so sehr haperte es auch da bei der Execution. Der direkte PSP-Wettbewerber von Braintree, der PSP Adyen, hat sich das Non-PayPal-Paymentprocessing bei eBay global geschnappt, eine peinliche Niederlage für Paypal mit Braintree. PayPal schaffte es bis heute nicht weder Braintree als PSP noch Venmo P2P-Verfahren spürbar nach Europa zu bringen und auch das eigene europäische P2P-Produkt ist weit von der Marktdominanz entfernt. Sowohl Banken (z.B. Kwitt in Deutschland, Swish in Schweden, Twint in der Schweiz) als auch StartUps und andere Konzerne wie Facebook via Whatsapp & Facebook Messenger versuchen hier das europäische Venmo zu werden und füllen die klaffende Marktlücke die PayPal immer noch bietet.
Löst iZettle das alte PayPal Problem endlich an den Point of Sale (POS) zu kommen?
Bislang scheiterte PayPal mit der wirklichen Expansion in den stationären Handel. Während PayPal in den USA für den Handel günstiger als Kredikarte ist, fehlt diese Value Proposition für den Handel in Europa. Hier dominieren die Debit-Karten mit Preismodellen für den Handel, die ein Bruchteil der Entgelte von PayPal darstellen. Entsprechend schwer ist es für PayPal eine Begründung für die POS-Akzeptanz zu liefern. Durch die iZettle-Übernahme löst PayPal dieses Problem weiterhin nicht. iZettle ist noch nicht profitabel (siehe bzw. höre dazu Podcast#154) und hat sich bislang über VC/Marketinggelder überhaupt am Leben gehalten. Sie gewinnen keine neuen Geographien und Länder und hatten sich z.B. seit geraumer Zeit aus dem für PayPal drittwichtigsten Markt Deutschland zurückgezogen. iZettle kann daher gar kein Sprungbrett an den POS sein, sondern ist eher “nur” ein Lückenfüller oder Abrundung auf einer prall gefühlten Paymentfeatureliste. Um via iZettle wirklich an den stationären Handel zu kommen, braucht es exzellente Execution durch PayPal… und da sind wir wieder beim Eingangs erwähnten grundlegenden Dilemma der PayPal Organisation.
Summary – PayPal ist angreifbarer denn je?
Ohne Innovator’s Dilemma oder der Unterform des Execution Dilemma dürfte es die Unternehmen Stripe, Klarna, Billpay, Ratepay, Adyen, iZettle, SumUp und viele mehr in dieser Größe und Bewertung gar nicht geben. Alles sind Märkte, die PayPal längst dominieren müßte. Wie Banken, Amex, MasterCard und VISA es ohne große Gegenwehr zugelassen haben, daß PayPal sich so groß entwickelte, hat PayPal es zugelassen, daß sich die o.g. StartUps so schnell entwickeln konnten. PayPal ist mittlerweile einer der großen, langsamen und zum Teil hoch ineffizienten Konzerne, über die wir vor wenigen Tagen hier schrieben. Gleichzeitig liefert PayPal im Kerngeschäft weiter gutes Wachstum ab. Aber reicht das für die Zukunft im harten Wettbewerb mit Apple Pay, Amazon Pay, Google Pay, Alipay und co? PayPal wird mittlerweile ausgerechnet von den ehemaligen Kreditkarten-Konzernmanagern geführt, die in ihren alten Jobs PayPal ohne jegliche Gegenreaktionen erst so groß werden ließen. Im Umkehrschluß bedeutet es jedenfalls: PayPal ist langsamer, träger und damit viel angreifbarer den je für unternehmerisch getriebene neue innovative Paymentlösungen. Los geht’s Ihr Payments-Challenger!
Jochen Siegert ist Co-Founder von Payment & Banking, Unternehmer, Investor und erfahrener Experte für digitale Transformation. Er schaut zurück auf knapp 25 Jahre Erfahrung in Einführung und Management von Innovationen / digitalen Finanzprodukten. Jochen begleitete senior Führungspositionen bei globalen Paymentanbietern, Fintechs und Banken. [mehr]