Apple muss die NFC-Schnittstelle für Payment öffnen? Und nun?

Apple muss die NFC-Schnittstelle für Payment öffnen? Und nun?

Aktuell überschlagen sich die Meldungen zur bisher geschlossenen NFC Schnittstelle in den Apple-iPhones. Aus Brüssel kamen Nachrichten, daß die EU Kommission und dort die zuständige Generaldirektion Wettbewerb Apple doch stärker in den Fokus genommen hat. Genauer gesagt die in iOS geschlossene NFC-Schnittstelle für ApplePay, die von interessierten Dritten (z.B. Banken, aber nicht zu vergessen: Paypal, Amazon, Facebook & Co!) bis dato nicht genutzt werden kann. Noch Ende 2018 sah die Kommission keinen Bedarf dazu. Der deutsche Bundestag hat gar nicht erst auf ein Brüsseler Kartellverfahren gewartet, sondern überraschend gleich ein Gesetz gemacht, das u.a. Apple verpflichtet die Schnittstelle gegen Entgelte zu öffnen. Liegt es daran, daß die deutschen Parlamentarier nicht auf ein langes Wettbewerbsverfahren warten wollten, zumal in Australien Banken sich nicht gegen Apple bei der lokalen Wettbewerbsbehörde durchsetzen konnten? Auch in der Schweiz waren die Versuche der Banken nicht erfolgreich die NFC-Schnittstelle zu öffnen. Die eidgenössische Weko (Wettbewerbsbehörde des Bundes) hat nur entschieden, daß, Apple technisch das schweizer TWINT-Verfahren gleichstellen muss. Deutschland hat also Fakten geschaffen. Und nun? Ändert sich eigentlich etwas an den Marktanteilen im Mobile Payment?
Meine These: Nein!

Im Gegenteil die „Haupt-„Ausrede“ gegenüber Regulatoren, Zentralbanken und Politik, warum Banken und Sparkassen die armen Opfer einer vermeintlichen BigTech-Übermacht sind, entfällt jetzt. Nach einer Öffnung zeigt sich das eigentliche dramatische Produktdefizit der hiesigen Anbieter!

Ich habe es in früheren Artikeln hier bei Paymentandbanking erwähnt: Die Stärke der Lösungen von z.B. Apple liegt nicht an der vermeintlichen Marktmacht und Abschottung von Systemen, sondern an der eklatanten Produktschwäche der etablierten Anbieter. Apple schaffte es in der Vergangenheit, bei damals noch deutlich geringerer Marktmacht, mehrmals ganze Industrien zu revolutionieren. Immer durch signifikant bessere Produkte.

Einige Beispiele dafür:

  • iPod: Sony war in den 1980/90ern unangefochtener Marktführer bei mobilen Musikplayern (erst auf Basis der Musikkassette, dann mobilen CD-Spieler) und schuf mit “Walkman” eine weltweite Premium-Marke. Sony war Ende der 1990er/Anfang 2000er Jahre geradzu prädestiniert den digitalen “MP3-Walkman” herauszubringen. In der sehenswerten Keynote der Vorstellung des iPod durch Apple CEO Steve Jobs zeigte sich aber wie weit Apple sowohl mit dem neuen User-Interface Clickwheel als auch der Nutzung einer Festplatte das Datenträger dem Wettbewerb auf der Produktebene enteilt war. In der Biografie von Walter Isaacson wird Jobs zitiert, daß Sony in-house alle Voraussetzungen für einen MP3-Walkman selbst hatte aber nicht nutzte. Der durchschlagende Erfolg des iPod lag an der eklatanten Schwäche von Sony selbst neue Innovation in den Markt zu bringen. Apple, noch unter dem Namen “Apple Computer” als kleiner Nischenanbieter mit einem Marktanteil von 5%, war damals noch weit entfernt von dem “Big”-Tech-Anbieter heute.
  • iTunes Store: Die Musikindustrie und globalen Labels (Universal Music, Sony Music, Bertelsmann Music/BMG und andere) versäumten Ende der 1990er Jahre erst den Trend MP3 und danach zusammen einen Online-Store für legale Downloads zu schaffen. Napster als illegale MP3-Börse revolutionierte den Download von MP3-Raubkopien. War es vor Napster eher schwierig online MP3 Dateien zu erhalten, bot Napster erstmals ein sehr benutzerfreundliches Frontend zur Suche und Download. Apple, auch damals noch ein Nischenanbieter, setzte das um, wozu die Musikindustrie selbst nicht fähig war: Eine einfache und legale Möglichkeit labelübergreifend Musik herunter zu laden. Sie drängten die Musikindustrie in eine Junior-Rolle und übernahmen nennenswerte Anteile der Wertschöpfung des Musikvetriebs – eine Parallele zu dem, was später mit ApplePay und der Kreditwirtschaft passierte. Auch damals war Apple ein kleiner Nischenanbieter und kein “Big”-Tech. Aber sie präsentierten schlicht die besseren Produkte auf geänderte Kundenbedürfnisse. Sehr empfehlenswert ist auch hier die Keynote wie Steve Jobs bei der Vorstellung des iTunes Stores die Versäumnisse der damaligen Musikgiganten ausschlachtet.
Apple muss die NFC-Schnittstelle für Payment öffnen? Und nun?

iPhone: Vor dem iPhone gab es auch schon Smartphones und Nokia war mit großem Abstand Marktführer. Nun wiederholte Apple das, was sie schon bei iPod und iTunes vormachten: Innovation vom Kunden gedacht, zu dem die bisherigen Marktführer irgendwie nicht in der Lage waren, verbunden mit einem revolutionären neuen User-Interface. Auch hier soll dem geneigten Leser die damalige Keynote empfohlen werden und vor allem der direkte 1:1 Produktvergleich ab Minute 5 mit anderen gar nicht so smarten Telefonen, die schon auf dem Markt waren. Die Folgen sind bekannt. Machten sich Manager von Microsoft, Blackberry und Nokia am Anfang noch lustig über das iPhone, verschwanden zwischenzeitlich die Smartphones von Microsoft und Blackberry vom Markt. Nokia ist nach der teuren Rettung durch Microsoft nur noch ein Schatten seiner selbst.

Was haben nun diese drei Beispiele mit Mobile Payment zu tun?

Apple hat mit ApplePay und zuletzt mit der AppleCard das Vorgehen 1:1 wiederholt. Bestehende Elemente so neu und userzentrisch zu einem Produkt zusammengesetzt, daß die Kunden das Produkt Apple nahezu aus den Händen reißen. Ferner analysierte Apple radikal die Schwächen der bestehenden Lösungen und Industrie und schaffte, wie schon bei iTunes, eine Produkt-Harmonisierung zu der die jeweilige Industrie selbst nicht in der Lage war. Hat das etwas mit BigTech und Marktmacht zu tun? Nein! Es ist lediglich ein radikaler Kunden- und Produktfokus. Für die etablierten Anbieter, denen Apple damit Marktanteile abnimmt, ist es nicht nur peinlich, weil sie selbst es nicht schafften einen Marktstandard zu etablieren. Sie befinden sich plötzlich in einer Junior-Rolle und sitzen einem, wegen der starken Kundennachfrage, viel mächtigeren Verhandlungspartner gegenüber. Peinlich ist es aber auch, weil man durchaus die Frage stellen kann: Warum schafft Apple Dinge, zu denen die Produktmanager und Entscheider der jeweiligen Industrie nicht in der Lage sind? Apple ist im Mobile Payment für Banken und Sparkassen das, was PayPal im Online Payment war. Sowohl beim Mobile Payment als auch im Online-Payment gab und gibt es ja eine Vielzahl gescheiterter Versuchen durch Banken und Sparkassen wie wir in einer schönen Infografik bereits zusammengestellt hatten.

Nun ist die Verweigerung des Zugangs der NFC-Schnittstelle durch Apple durchaus diskutabel! Apple begründet die Geschlossenheit mit Sicherheitsabwägungen. Aber das iPhone hat mit seinem Marktanteil in Deutschland von ca. 20% auch keine marktbeherrschende Stellung. Also sollte die Diskussion doch fast irrelevant sein, wenn 80% der Endgeräte sprich Android-Telefone “offen” sind und dort die eigenen MobilePayment-Apps der Banken tadellos funktionieren. Wenn die Mobile Payment-Produkte der Banken & Sparkassen so herausragend wären und nur durch die Marktmacht von BigTechs am Markt scheitern, dürfte GooglePay bei Android erst gar keine Traktion haben und die übergroße Mehrheit von Mobile Payment-Transaktionen in Deutschland nicht von ApplePay sein, sondern von den Banken-Apps selbst. Die Realität ist aber umgekehrt!

Apple muss die NFC-Schnittstelle für Payment öffnen? Und nun?

Im direkten Vergleich zu dem vor über 4 Jahren vorgestellten ApplePay mit der erst Ende letzten Jahres gestarteten Mobiles-Bezahlen-App der Sparkassen für Android fallen jedoch sehr offensichtlich Produktdefizite auf. Die Sparkassen-Produktmenschen hatten jahrelang Zeit sich auf ApplePay vorzubereiten und es für Android nachzubauen, aber….

  1. Nur” für die Sparkassenkarten: Die App der Sparkassen funktioniert ausschließlich für Sparkassenkarten. Drittkarten von Drittbanken (die Lebensrealität der Kunden) sind selbstverständlich nicht zugelassen. Bei ApplePay funktionieren selbstredend sämtliche Karten von allen ApplePay-unterstützenden Banken in einer einzigen App. Von Apple mit 20% Marktanteil fordern die Sparkassen PR-wirksam die Öffnung. Die Sparkassen mit ihrem Marktanteil von 50% bei deutschen Privatkunden sind in ihrer Mobile Payment-Lösung nicht offen für Drittbanken/Drittkarten. Finde den Fehler!
  2. Lange kein CDCVM oder PIN-Galore: Beim Entsperren des Smartphones ist eine PIN nötig. Bei der Nutzung der App ist (je nach Einstellung) eine PIN nötig. Ab €25 Transaktionsbetrag muss der Kunde in jedem Fall zusätzlich noch die Karten PIN am Terminal eingeben. CDCVM bei Apple Pay & Google Pay ermöglicht dagegen, daß auf die PIN am Terminal komplett verzichtet werden kann. Bei den Sparkassen ist das nun endlich für November 2019 geplant.
  3. Kein Online & In-App Payment: Apple Pay kann auch in Online-Shops, In-App mit einem einfachen Click genutzt werden inkl. Übertragung von verschiedenen Lieferadressen. Mobile-Payment der Sparkassen funktioniert ausschließlich an Zahlungsterminals im stationären Handel.
  4. Keine Multidevice-Fähigkeit: Mit ApplePay kann man bezahlen via iPhones, iPads, Apple Watch und den Mac-Computern. Mobile Payment der Sparkassen funktioniert nur auf dem Smartphone und an Zahlungsterminals im stationären Handel.
  5. Keine Transaktionsliste: Ich bin seit knapp 20 aktiv Jahren in der Payment-Industrie. Seitdem besagen sämtliche Studien zur Kartennutzung, daß Kunden Bargeld und Debitkarten über Kreditkarten präferieren, wegen besserer Kontrolle über das Ausgabeverhalten. Viele kartenausgebende Banken haben versucht dieses “Übersichts”-Problem zu lösen: SMS bei Transaktionen, Online-Kartenkonteneinsicht, Push-Nachrichten und… Transaktionslisten wann was und wo gekauft wurde. Selbstredend hat Apple Pay eine schöne Transaktionsübersicht integriert. 2019 fehlt aber dieses wirklich sehr grundlegende Element in der Mobile Payment-App der Sparkassen.
  6. Onboarding-Prozess: Die Einfacheit des Onboarding der Kunden variiert auch dramatisch. Apple und Google sind hier führend mit ihren Standards gegenüber Banken. Eine schöne Zusammenfassung hatte Klaus Igel Ende letzten Jahres hier im Blog dazu geschrieben.
  7. Dramatisch schlechteres Kundenrating: Die Bewertung der Sparkassenlösung im Google Store liegt bei 3,3 von 5 möglichen Sternen (5 ist Bestnote). Auffällig ist, daß die Kunden entweder 5 Sterne (1200mal) oder nur 1 Stern (800mal) gegeben haben. Das heißt 40% der Nutzer der Sparkassen-MobilePayment-Lösung geben dieser lediglich einen Stern und halten diese für unbrauchbar. Eine Studie von VISA zusammen mit Forsa zeigt über alle mobile Zahlverfahren (also inklusive Apple Pay & Google Pay) ein signifikant besseres Kundenfeedback: Für 71% der befragten Kunden funktioniert die Lösung wie erhofft, für 25% der Nutzer sogar besser als gedacht. Über alle Verfahren liegt die Rate der Unzufriedenheit also nur bei 4%. Die Kunden sind mit der Sparkassen-App also 10fach unzufriedener. Fairerweise ist der Vergleich einer repräsentativen Studie mit dem App-Store Feedback der Kunden wie ein Vergleich zwischen Äpfel mit Birnen, aber eine Indikation läßt sich daraus durchaus ableiten.
  8. Schlechtere Kundendurchdringung: Die Sparkassen aktivierten nach 8 Monaten lediglich 289.000 Karten für ihr Verfahren. 87% davon, also 251.430 waren Girocards. Gemessen an den 47 Millionen Girocards der Sparkassen heißt dies eine Aktivierungsquote von lediglich 0,5%. Die tatsächliche Nutzung wird wohl noch darunter liegen. Zum Vergleich: Laut repräsentativer Forsa-Studie liegt die Rate der Mobile Payment-Nutzung über alle Kreditkarteninhaber in Deutschland schon bei 6%. Betrachtet man in diesem Kontext die aktuellen Quartalszahlen der Comdirect Bank, einer der ersten Banken die sowohl Google- als auch ApplePay anbot, so betont die Bank das aktuelle Gewinnwachstum über das Kartengeschäft. Ausgerechnet die Comdirect, die vor allem für Brokerage und Girokonten und nicht Karten steht, wächst um 30% über das Kartengeschäft! Liegt das am Ende an ApplePay & GooglePay?
Apple muss die NFC-Schnittstelle für Payment öffnen? Und nun?

Wie wahrscheinlich ist es, daß sich bei einer Öffnung der NFC-Schnittstelle diese Fakten und die klare Kundenpräferenz dreht? Die Kunden haben sich längst entschieden, wie schon bei iPhone, iPod, iTunes und Co, für die einfach besser gemachten Produkte. Diese Lösungen kommen aus Cupertino von Apple und dem benachbarten Mountainview von Google wenn es ums mobile Bezahlen geht. Sie kommen aus dem etwas südlich von Apple und Google gelegenen San Jose (PayPal) wenn es um das Online Payment geht. Aber sie kommen eben nicht aus Frankfurt, Berlin oder Stuttgart, leider! “Designed by *.* in California” hat für die Produkte im digitalen Zahlungsverkehr längst die gleiche Bedeutung wie “Made in Germany” für automobile Produkte. Was machen wir uns in unseren deutschen Autos so gerne lustig über schlecht gemachte amerikanische und asiatische Anbieter, deren Produkte ab 130km/h auf der Autobahn anfangen zu klappern und innen voller Hartplastik verkleidet sind.

Wir müssen der harten Realität in die Augen schauen: Trotz Öffnung der NFC-Schnittstelle bei Apple sind im Vergleich die Finanzprodukte “Made in Germany” die schlecht gemachten digitalen Klapperkisten. Banken und Sparkassen sind im mobilen Bezahlen längst so abgehängt wie vorher Sony, Musiklabels, Nokia, Blackberry und Co. Apple machte sich in der Einführung der Apple Card darüber sogar lustig indem sie die Karte mit “created by Apple, not a bank” vermarkteten. Vielleicht hätte es geholfen wenn mehr Zeit und Ressourcen für gute Produkte geflossen wären statt ins Lobbying? Bitte davon für andere Produkte lernen, die auch angegriffen werden!

Banken und Sparkassen sind im mobilen Bezahlen längst so abgehängt wie vorher Sony, Musiklabels, Nokia, Blackberry und Co

UPDATE 18.11.19 – in einer früheren Version des Artikels stand, daß CDVM für „irgendwann“ angekündigt ist. Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, daß 4 Jahre nach Vorstellung von ApplePay mit CDCVM und 1 Jahr nach Start von ApplePay in Deutschland mit CDCVM, diese Funktion seitens der Sparkassen nun noch für November 2019 nachgezogen wird. Gut für den Kunden!

Autor

  • Jochen Siegert ist Co-Founder von Payment & Banking, Unternehmer, Investor und erfahrener Experte für digitale Transformation. Er schaut zurück auf knapp 25 Jahre Erfahrung in Einführung und Management von Innovationen / digitalen Finanzprodukten. Jochen begleitete senior Führungspositionen bei globalen Paymentanbietern, Fintechs und Banken.

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