Einführung
Stichwort Digitalisierung. Eine schier nicht enden wollende Herausforderung. Ein komplexes Thema, gerade für Unternehmen die ihre Geschäfte hauptsächlich in und ums Internet abwickeln. Wenn diese dann noch Dienstleistungen anbieten wird es besonders kompliziert. Zu Beginn des Jahrtausends herrschte in der Technologiebranche eine regelrechte Goldgräberstimmung. Jeder ahnte, dass die Etablierung des Internets und digitaler Technologien die Wirtschaft zukünftig maßgeblich bestimmen und verändern würde. Entsprechend groß war das Interesse der Anleger. Unternehmen mussten sich nur irgendetwas mit „Internet“ und „Technologie“ auf die Fahnen schreiben, um eine hohe Bewertung zu erzielen.
Digitalisierung ist nicht mehr, wie vor 18 Jahren, ein Zukunftsthema, sondern Teil unseres Alltags, anfassbar, begreifbar. Hatten die Techunternehmen damals oft nicht mehr vorzuweisen als ein „.com“ oder „.de“ im Namen, steckt hinter den Bewertungen der Technologiefirmen heute echter Wert. Dieser Wert bemisst sich an Kunden, an realen Umsätzen und vor allem an Daten, Daten und noch mehr Daten. Und gerade dieses Wissen um den Kunden, gepaart mit der Innovationsfähigkeit der Techkonzerne und dem Willen, sich stetig weiterzuentwickeln und zu wachsen, sind die Grundlage für die exponentiell steigenden Börsenbewertungen
Mit ihrem Einfluss, der ist mittlerweile soweit fortgeschritten, leben die GAFA die digitale Transformation per excellence. Ließ vor 18 Jahren das „.de“ oder „.com“ im Namen den Kurs steigen, ist es heute irgendetwas mit Coin, Krypto oder Blockchain, das die Anleger in Begeisterung versetzt. Was aus all dem deutlich wird, wir befinden uns in einem der größten digitalem Wandel und einem derart rasanten Umbruch, das manche Unternehmen nicht mehr in ihrer digitalen Transformation hinterherkommen.
Jochen Siegert erzählt von seinen Erfahrungen aus unzähligen Silicon Valley-Aufenthalten und möchte in seiner Nachfolgereihe der 7 Todsünden, die „6 Key Learnings von DotCom Unternehmen„ und deren Umgang mit diesem Wandel erklären. Er zeigt auf was wir uns heute bei dem Umgang mit der Digitalisierung abschauen können. Was waren die Strategien der großen Technologiekonzerne? In den kommenden Wochen wird er solche Rezepte, mit großer Empfehlung zum Nachmachen, hier im Blog genauer beschreiben und vorstellen.
Teil 3: Kannibalisiere Dich selbst, bevor es andere tun – Oder warum besser deutsche Banken in N26 investieren sollten statt Tencent und Co.
Ein extrem wichtige Faktor der Digitalisierung ist die eigene Bereitschaft sich immer wieder neu zu erfinden und auch selbst zu kannibalisieren. Erst vor wenigen Tagen haben wir einen eigenen Artikel hier bei Paymentandbanking darüber geschrieben. Aber diese Serie hier geht über die Lehren der großen Dotcoms im Umgang mit den Veränderungen durch das iPhone und die neue mobile Welt.
Ein besonders beeindruckendes Beispiel für Kannibalisierung bei großen Onlinekonzernen ist match.com. Match, Marktführer in der Partnervermittlung, war der Innovator, der teure, karteikartenbasierte, lokale Partnervermittlungen und die klassischen “Heirats”-Anzeigen in der Zeitung de-facto obsolet machte. Aber auch match.com hatte ein Problem und fühlte sich durch die neue mobile App-Welt herausgefordert. Statt zu warten, dass ein x-beliebiges StartUp den eigenen Markt nochmals verändert, gründete Match als Marktführer das StartUp Tinder, die heute führende App für „Partnervermittlung”. Tinder wurde von Match “auf der grünen Wiese” als Investor gestartet. Es sollte möglichst weit weg von den Einflüssen des Mutterunternehmens entstehen. Statt einen erfahrenen Manager von Match wurde ein Unternehmer als Gründer und CEO angeheuert und das Investment wie eine Unternehmensbeteiligung geleitet, wie es eine Venture Kapitalgesellschaft täte.
Der nachhaltige Erfolg von Tinder, die darüber hinaus mit der Swipe-Selektion etliche andere Apps und UX-Formate maßgeblich beeinflussten, ging natürlich zulasten des Kerngeschäfts von Match, aber auch deren direkter Wettbewerber. Die Wettbewerber, Spark Networks (USA u.a. eliteSingles) und Affinitas (aus dem Hause Rocket Internet u.a. eDarling) haben bis heute keine wirkliche Antwort auf Tinder gefunden. Spark und Affinitas waren daher zwischenzeitlich gezwungen sich zusammenzuschließen und haben ihre Zentrale nun in Berlin. Konsequenz der bewussten Selbst-Kannibalisierung von Match: Die mittlerweile kombinierte Firma Match und Tinder sind DER unangefochtene globale Marktführer in ihrem Segment.
Apple sticht als weiteres positives Beispiel heraus, nicht zuletzt weil Steve Jobs sich selbst zu dem Thema äußerte und sagte: „Wenn wir uns nicht selbst kannibalisieren, wird es jemand anderes tun“. Apple war unangefochtener globaler Marktführer für portable MP3 Player mit ihrer iPod Produktlinie. Noch bevor das iPhone eingeführt wurde gab es längst MP3 Player in den damaligen Smartphones. Apple selbst brachte in Kooperation mit Motorola zuerst ein Mobiltelefon heraus, welches iTunes eingebaut hat. Es war daher absehbar, dass der Markt der eigenständigen portablen digitalen Musikgeräten irgendwann kannibalisiert würde von Mobiltelefonen, die Musik auch abspielen. Apple hat sich mit der Einführung des iPhones somit sein eigenes Geschäft kannibalisiert. Was heute wie ein logischer Schritt erscheint, war damals eine durchaus gewagte Wette, wie Kommentare von Wettbewerber beim iPhone-Start belegen..
Entwicklung globale Verkäufe iPod vs. iPhone & iPad in Millionen Stück
Eine ähnliche Strategie betreibt Apple im Übrigen auch mit den Tablets, da sie davon überzeugt sind, dass Tablets irgendwann die Rechner und Notebooks ablösen werden. Statt darauf zu warten, verbessert Apple das iPad mit iOs immer weiter, um es zu einem immer vollwertigeren “Rechner” zu machen. Im Bereich Musik hat Apple mit der Einführung des Streaming-Diensts Apple Music gerade noch die Kurve bekommen, nachdem Spotify die Branche längst veränderte und Apple fast zu lange an iTunes und Downloads festhielt.
Globale Umsätze Musikindustrie Streaming vs. Downloads in $ Mrd
Ein letztes Beispiel erfolgreicher Selbst Kannibalisierung sieht man in China. Tencent war Marktführer im Messaging mit ihrem rechner- & browserbasierten Messanger QQ. Trotz ihrer Marktführerschaft hat Tencent mit WeChat einen rein mobilen, App-basierten Service entwickelt, der in direkter Konkurrenz zum eigenen Produkt QQ lief. Auch hier wählte Tencent, analog zu Match.com ein eigenes Team, eine eigene Brand und entwickelte WeChat zu dem mittlerweile global erfolgreichsten Messanger nach Whatsapp, gemessen an Nutzern.
Tencent bietet auf der Wechat-Plattform schon längst Finanzdienstleistungen an – allen voran Payment. Nutzer können sich gegenseitig bezahlen, aber auch in Handels-Geschäften. Mit Wechat kannibalisiert Tencent somit den Zahlungsverkehr der Banken und Card Schemas in China. Betrachtet man sich die Marktanteilsentwicklung, so zeigt sich, dass seit Jahren nicht nur die Bargeldnutzung zurück geht, sondern auch seit 2015 die Kartennutzung – zugunsten der Innovatoren Wechat Pay und Alipay. Diese Entwicklung gestaltet sich für die chinesischen Banken doppelt dramatisch. Nicht nur verlieren diese mit ihren Bank-Produkten Marktanteile, sondern sie verlieren auch die wertvollen Daten über das Einkaufsverhalten ihrer Kunden. Wechatpay ist ein Prepaid-Verfahren. Das heißt der Kunde lädt seinen Wechat Account auf und bezahlt anschließend aus dem Guthaben. Banken sehen maximal noch die Anzahl der Aufladungen, nicht aber wo, bei wem und mit welchem Betrag was der Kunde kauft. Während Banken hierzulande noch von Auswertungen der Kundendaten träumen und ihre Vertreter mit Buzzwords wie Artificial Intelligence und Co um sich werfen, hat Wechat in China schon lägst Fakten geschaffen: Die Banken sind bzgl. nennenswerter Umsätze ihrer Kunden komplett blind.
Schaut man sich die Vorbild-Beispiele bei der (Eigen)Kannibalisierung der großen Onlinekonzerne an, stellt sich unweigerlich die Frage, warum Challengerbanken a la N26 und Revolut nicht aus den großen Banken selbst heraus gestartet wurden. Liebe Banker, hört endlich auf, immer weiter über die angeblich fehlende Profitabilität von N26 und Co. zu lästern. Überlegt besser warum es nicht möglich war diese Challengerbanken in Euren Häusern selbst zu starten, wenn andere große multinationale Konzerne wie Match.com, Apple, Tencent so etwas in ihren Bereichen schaffen.
Überlegt Euch ferner warum ausgerechnet Tencent in N26 Kapital investiert und nicht Eure Häuser. Während Ihr weiter nur lästern könnt, überrascht N26 in immer kürzeren Abständen mit Erfolgsmeldungen. Nur 4 Monate nach dem ersten großen Meilenstein der 1 Mio. Kunden, verkündete N26 kürzlich schon 1,5 Millionen Kunden und stellt für das zweite Quartal 2019 erstmals schwarze Zahlen in Aussicht. Was passiert mit dem Retailbanking in Deutschland, wenn eine Technologiebank wie N26 mit signifikant niedrigeren Kosten als die etablierten Anbieter plötzlich in deren Marktanteile kannibalisiert? Was passiert, wenn diese, wie bei StartUps üblich, in ein exponentielles Wachstum drehen?
Key Learnings im Überblick:
Teil 1: Unternehmerisches Handeln schlägt Corporate Politics