Jahrelang konnten Banken und Sparkassen nicht betonen, dass sie die Leitzinsen leider weitergeben müssen, anders gehe das ja gar nicht. Jetzt, wo der Leitzins bei 3,5 Prozent steht, will davon niemand mehr etwas wissen. Ich fühle mich um meine Zinsen belogen.

Die Payment and Banking-Szene ist unzweifelhaft niemals langweilig. Kein Monat vergeht, ohne dass neue Produkte, Banken, Fintechs und Payment-Lösungen auf den Markt kommen. Aber wer braucht das eigentlich alles und muss man das alles gut finden? Unser Autor Nils Wischmeyer beleuchtet in seiner Kolumne „Nils nörgelt“ ab monatlich ein Produkt, Thema oder eben den „letzten heißen Scheiß“. Etwas zu meckern gibt es schließlich (fast) immer.

Die traurigste Zahl ist und bleibt die Null. Ein rundliches Etwas, das immer kurz davor ist, umzufallen. Eine Zahl, die wie keine andere aussagt: Hier gibt es nichts zu holen. Und keine Branche verbinde ich so stark mit der Null wie die deutsche Payment-, Banken- und Fintechbranche. Sie alle jammerten jahrelang, wie schlimm die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) für sie sei und wie leid es ihnen tue, dass sie den Kunden leider, leider, leider null Prozent auf ihr Erspartes geben könnten.


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Bereits 2022 nun begann ein Prozess, der seinen Höhepunkt vor einigen Wochen fand. Da aktualisierte die EZB nämlich ihren Leitzins wieder einmal und der stieg auf phänomenale 3,5 Prozent. Also habe ich sofort das Internet angeschmissen, bin auf die Webseite meiner Bank gegangen und habe gemerkt: Da will mich doch jemand verarschen. Weder gab es 3,5 Prozent auf meine Einlagen, noch drei Prozent, noch zwei Prozent, noch einen. Nein, es war einfach nur erbärmlich, es ist traurig – und es ist bestimmt alles andere als fair, liebe Bankerinnen und Banker.

Null Prozent bis heute? Peinlich!

Ich habe natürlich Verständnis dafür, dass nicht jede Bank von jetzt auf gleich ihre Zinsen anheben kann. Doch die erste Zinserhöhung der Fed liegt bald ein Jahr zurück und noch immer zahlen fast 300 Banken in Deutschland einen peinlichen Zinssatz von 0,0 Prozent. Darf man dann überhaupt darüber sprechen, dass sie ihn zahlen? 0 Prozent sind eben 0 Prozent – eine traurige Zahl.

Es geht mir nicht darum, mein Vermögen nun stark vermehren zu können. Jeder Mensch weiß, dass eine langfristige Kapitalanlage in Aktien, Anleihen und Wertpapiere einem wesentlich mehr Chancen bieten kann als das Tagesgeld- oder Festgeldkonto bei der örtlichen Volksbank oder den großen Instituten wie der Deutschen Bank oder der Commerzbank. Es geht mir hier vielmehr ums Prinzip. Denn jahrelang haben wir die Banken durchgefüttert mit unserem Geld, haben ohne viel zu murren auf die Zinsen verzichtet, ja, mit ein wenig murren sogar Negativzinsen gezahlt.

Banken und Sparer waren Leidensgenossen, jetzt fühlen wir uns betrogen

Wir haben uns einreden lassen, dass es ja auch für die Banken eine schlimme Situation ist, wenn die Zinsen nahe der Nullgrenze pendeln. Selbstverständlich haben wir uns also zusammengerauft, wir Sparer und Ihr Banken, haben uns geschworen: Einer für alle, alle für einen. Wir waren ein Team.

Das dachten wir zumindest. Denn kaum gibt es eine Gelegenheit, uns so richtig über den Tisch zu ziehen, haben die Banken diese gnadenlos ausgenutzt. Die Inflation ist bei über acht Prozent, der Leitzins bei 3,5 Prozent und die Sparkasse im Ort zahlt den sparsamen Rentnerinnen und Rentnern 0 Prozent Zinsen? Liebe Banken, waren wir nicht mal Freunde?

Dreiste Angebote sind der Höhepunkt

Es hat sich eine tiefe Enttäuschung in mir breit gemacht, die nur von Empörung über vermeintlich tolle Zinsangebote und Einschränkungen getoppt wird. Die Deutsche Bank beispielsweise will mir erklären, dass 2,4 Prozent für zwölf Monate doch ein fairer Deal sind und verweist im Kleingedruckten darauf, dass das nur für neu eingezahltes Geld gilt.

Die ING schießt derweil den Vogel vollständig ab. Sie verzinst das Geld von Bestandskunden mit lächerlichen 0,6 Prozent und das variabel. Ausnahme: Ich zahle als Kunde möglichst schnell neues Geld auf meine alten Konten ein, dann wirbt die ING mit fantastischen drei Prozent Zinsen. Nur, und hier findet der Treppenwitz sein Ende, sind diese drei Prozent natürlich begrenzt, und zwar auf sechs Monate. Danach bekommt der geschätzte Kunde wiederum nur 0,6 Prozent. Fair? Bei der ING sagt Vorstandsboss Nick Jue, man wolle so die Bestandskunden „stärker an steigenden Zinsen teilhaben“ lassen. Ach, wie nett von ihm. Aber mich zu veräppeln, das bekomme ich grade noch allein hin. Dankeschön.

Die Zinsen dauerhaft niedrig zu halten, das ist für Banken gefährlich

Unfair ist das alles, das wird kaum einer bestreiten können. Es ist aber auch gefährlich, was viele Banken da gerade machen. Denn längst gibt es findige Fintechs und natürlich auch Techkonzerne, die mit dicken Zinsangeboten locken. Scalable Capital dürfte sich etwa einer nie da gewesenen Beliebtheit erfreuen, bei Trade Republic ist es vermutlich ähnlich und als Apple dann auch noch ankündigte, bald mehr als vier Prozent Zinsen auf Einlagen zu zahlen, da sollte zumindest dem ein oder anderen Banker aufgegangen sein, dass die Kunden bald weglaufen könnten.

Und nicht nur das. Ob die Kunden ihr Geld abziehen und ob ihnen die Regierung bei der nächsten Krise doch noch einmal zur Seite springen wird, hängt ganz maßgeblich davon ab, wie die Stimmung zu Banken und Sparkassen in der Gesellschaft steht. Wenn man sich aktuell so umschaut, lässt sich relativ schnell sagen: nicht so gut. Wollt Ihr das nicht mal ändern, liebe Bankerinnen und Banker? Ich mein ja nur.

Eventtipp:

Das Thema Zinsen begleitet auch die Banking-Exchange am 1./2. Juni 2023 in Frankfurt.
Im Panel „The biggest pain points in Banking (großer Alarm, nachdem die Zinsen wieder da sind?)“ sprechen unsere Moderator:innen mit hochkarätigen Expert:innen der Branche.

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