Insgesamt 27 Staaten und keine Harmonisierung bei den Steuersätzen: Für Onlinehändler ist der Verkauf innerhalb der EU nach wie vor alles andere als barrierefrei. Dabei gibt es Bestrebungen, dies zu ändern. Als sich die Mitgliedstaaten im Dezember 2017 verpflichteten, die zweite Stufe des sogenannten VAT-E-Commerce Package – auch unter dem Pseudonym One-Stop-Shop (OSS) bekannt – in nationales Recht umzusetzen, klang das vielversprechend. Ziel war, und ist es immer noch, den Onlinehandel von den letzten Umsatzsteuer-Hürden – zumindest im B2C-Segment – zu befreien.

Gastbeitrag von Dr. Roger Gothmann, Co-Founder und Geschäftsführer der Compliance-Plattform Taxdoo

VAT-E-Commerce Package als Zeichen voranschreitender Harmonisierung im EU-weiten Handel

Das VAT-E-Commerce Package trat am 1. Juli 2021 in Kraft, nur etwas anders als gedacht. Für viele Unternehmen im Onlinehandel haben die Kosten und Risiken der Umsatzsteuer-Compliance zugenommen, da die Reform durch die technologischen Entwicklungen zum Teil überholt worden ist. Das zeigt: Wenn Technologie seine Fähigkeiten ausspielt, lassen sich komplexere Themen wie Steuern und Compliance effizient abwickeln. Es wird höchste Zeit, Technologie bei Gesetzesvorhaben stets frühzeitig mit am Planungstisch zu haben.

Nach dem Zusammenbruch der New Economy zu Beginn der 2000er erlebte die digitale Wirtschaft Anfang der 2010er-Jahre ihren zweiten Frühling. Es wurde offensichtlich, dass die grenzüberschreitende digitale Ökonomie – u. a. der Onlinehandel und digitale Dienstleistungen – auf ein Umsatzsteuerrecht auf dem Stand des Geburtsjahres des Binnenmarktes von 1993 stieß, das nun nicht mehr kompatibel war.

Seit dem 1. Juli 2021 sind grenzüberschreitende Lieferungen an Endverbraucher innerhalb der Europäischen Union (EU) – sogenannte Fernverkäufe – dort zu versteuern, wo sie konsumiert werden. Die bis Juli geltenden nationalen Lieferschwellen wurden durch ein konsequentes Bestimmungslandprinzip abgelöst, das für alle Fernverkäufe ab einem Schwellenwert von 10.000 Euro greift. Seit Eintritt des OSS müsste sich daher ein Großteil der Unternehmen im Onlinehandel in fast allen EU-Staaten steuerlich registrieren.

Vom Mini-One-Stop-Shop zum One-Stop-Shop

Damit sich aber nicht jeder kleine und mittelgroße Händler seit Juli 2021 in fast allen EU-Staaten lokal steuerlich registrieren und dort laufend Umsatzsteuer-Erklärungen abgeben muss, soll der sogenannte One-Stop-Shop (OSS) die Lösung für eine zentrale Umsatzsteuer-Compliance im Sitzstaat mit sich bringen.

Der OSS ist eine Erweiterung des Mini-One-Stop-Shop (MOSS). Mit diesem können Unternehmen, deren Geschäftsmodell elektronisch erbrachte Dienstleistungen an Endverbraucher in der EU beinhalten, bereits seit 2015 ihre Umsatzsteuer-Compliance zentral über eine elektronische Schnittstelle im Sitzstaat erfüllen. Bei Händlern aus Drittstaaten ist der Sitzstaat der Mitgliedstaat der zentralen Registrierung. Über diese Schnittstelle werden sowohl die turnusmäßige Deklaration sowie das Clearing geregelt.

Technologisch ist mehr möglich

Der One-Stop Shop (OSS) ist allerdings alles andere als eine vollumfassende Verbesserung für Onlinehändler: Er ist nur für diejenigen eine Erleichterung, die Produkte aus einem Zentrallager heraus in alle EU-Staaten versenden, welche idealerweise EU-weit auch nur dem Standardsteuersatz unterliegen. Für den großen Rest wird die Umsatzsteuer-Compliance zum Teil deutlich komplexer. Der Grund dafür liegt im stetigen technologischen Wandel.

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Doch leider ist die Reform schon veraltet, bevor sie überhaupt in Kraft trat. Sie wird dem Wesen des modernen E-Commerce nicht gerecht. Zumal es nicht danach aussieht, dass es kurzfristig Anpassungen geben wird. Statt Erleichterung bringt die Reform viele Unwägbarkeiten mit sich – der Aufwand, alle steuerlichen Prozesse ordnungsgemäß abzuwickeln, dürfte sich stattdessen vergrößert haben. Immerhin bietet Technologie schon heute viele Möglichkeiten, Prozesse zu vereinfachen und zu automatisieren – damit Unternehmer sich auf ihr Unternehmen konzentrieren können.

Reformen im europaweiten E-Commerce per se gewünscht

Der Ansatz dieser Reform und Reformen generell sind per se gut: Beim Handel im Ausland kann es bei Steuern schnell unübersichtlich werden. Allein in der EU mit 27 Staaten wird es schnell komplex, wenn es um steuerliche Besonderheiten geht. Bislang ist es so: Wer im Ausland Handel betreibt, muss im Auslieferungsland auch die Umsatzsteuer abführen. Wer das für verschiedene Länder macht, muss viel Zeit aufwenden oder braucht einen Steuerberater.

In der EU gibt es Bestrebungen, die Steuererklärungen zu harmonisieren. Denn bisher bauen die nationalen Regelungen jedes Mitgliedstaates eine Barriere für den Handel innerhalb der EU. Diese dürfte es in einem Binnenmarkt aber gar nicht erst geben. Der One-Stop-Shop (OSS) und die damit einhergehende Harmonisierung, zumindest teilweise, ist ein erster Schritt in einem lang angelegten VAT-Aktionsplan. Dieser soll langfristig dazu führen, dass alle Transaktionen über den OSS gemeldet werden.

Das ist aber noch ein weiter Weg, der von den Mitgliedstaaten noch viele einstimmige Entscheidungen verlangt. Aktuell führt die Zwischenlösung von OSS und lokalen Erklärungen zu einer zusätzlichen Komplexität und einer Verschärfung der erwähnten Barriere. Wer barrierefreien Handel ermöglichen möchte, sollte die Möglichkeiten von Technologie voll ausschöpfen – und frühzeitig in die Planung integrieren.

Über den Autor:

Dr. Roger Gothmann ist Co-Founder und Geschäftsführer der Compliance-Plattform Taxdoo, über die Onlinehändler aller Größen und auch Marktplätze selbst ihre Umsatzsteuer in der EU sowie ihre Finanzbuchhaltung automatisiert abwickeln können. Zu den Kunden von Taxdoo gehören Unternehmen wie Beiersdorf, Purelei, Yfood und air up.

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