Aktuell häufen sich die Insolvenzen im Fintech-Bereich. Woran liegt das? Ist die Auslese nicht sogar gesund für Ökosystem? Es gibt eine Korrelation zwischen Fintech-Funding und Insolvenzen. Nach dem Funding ist vor dem Funding bei Start-ups und das Risikokapitalgeschäft gibt Gründer:innen ein Zeitfenster von +/- 24 Monaten. Bis dahin muss Traktion und Umsatz vorgewiesen werden, damit die nächste Fundingrunde folgt.
Cash-Flow-Positiv sind die wenigstens Fintechs in so kurzer Zeit. Wenn kein Anschlussfunding kommt, bleibt nur der Gang zum Amtsgericht und die Insolvenzanmeldung. Entsprechend sehen wir aktuell die starke Häufung der Insolvenzen.
Die Spielregeln sind klar
Wir kommen aus der Negativ- bzw. Nullzinsphase in Verbindung mit einem Hype für Tech- und Wachstumswerte. Das war über Jahre ein ideales Nährbecken für die Finanzierung von Fintech-Ideen. Ideen garantierten aber noch lange nicht ein wirkliches Geschäftsmodell. Hier sind wir jetzt beim Problem angekommen: Die Welt hat sich rasant verändert. Investoren reagieren nicht mehr auf reines Story-Telling, sondern schauen auf harte Finanz-KPIs. Umsatz, Marge, Profitabilität sind wieder wichtiger und das ist auch gut so! Bällebad war gestern.
So hart die Auslese ist, gehört sie am Ende doch zum Spiel. Mehr als 90 % aller gegründeten Start-ups schaffen es nicht, sich dauerhaft zu etablieren. Die allermeisten bleiben klein, werden (manchmal auch in einem Firesale) übernommen, liquidiert oder gehen insolvent. Dieser Fakt, auch wenn er manchmal negiert wird, kennen alle Spieler im Ökosystem, sei es auf der Unternehmens- oder auf der Risikokapitalseite.
Realistisch bleiben: Verlieren gehört zum Game
Aber auch die Medien, Blogs und Konferenzen sollten dies immer berücksichtigen und im Sinne der Fintech-Nutzer verantwortungsvoll agieren. PR, Buzzwordbingo und schönes Storytelling hin- und her, manchmal fehlt ein genauerer Blick hinter die Fassade.
Es braucht weniger Claqueure von bunten Träumen, sondern wir alle sollten vor allen den Unternehmern und Unternehmerinnen eine Bühne bieten, die auch wirklich unternehmerisch erfolgreich sind und nicht nur heiße Luft verbreiten. Umsatz, Profit und nachhaltige Jobsicherung sind viel wichtiger für den Standort. Dies ist auch im Sinne der Nutzer, die ggf. aufgrund von multiplen Awards oder wiederkehrenden Artikeln inkl. CEO Coverstories plötzlich einzelnen Fintech-Services mehr vertrauen. Wenn dann nur wenige Wochen plötzlich die Insolvenz kommt, fällt das leider auch auf die Berichterstatter zurück.
Fazit:
Die gleiche Verantwortung zum genaueren Hinschauen gilt übrigens, wenn nach einer Insolvenz mit ein wenig Abstand die Historie irgendwie positiv zurechtgebogen wird. Manchmal fragt man sich, ob die Personen sich über ihre eigene Company verklärt auslassen oder über jemand ganz anderes sprechen.
Überrascht in Zeiten des teuren Geldes und oft hoher Bewertungen aus Hype Phasen eine Welle der Insolvenzen? Nein, das kann nicht wundern. Ist Fintech damit am Ende? Nein, auch nicht. Es wird nur enger und wahrhaftiger. Aber das wird guttun und echte Game-Changer entstehen lassen, die weniger auf Awards und mehr auf Profit schauen.
Was denkt das Team über den aktuellen Insolvenz-Trend in der Fintech-Branche?
André M. Bajorat
Vor einigen Jahren traf ich gemeinsam mit rund 30 weiteren Gründer:innen einen CEO einer Bank zum gemeinsamen Lunch im Vorstandskasino. Nach guten 90 Minuten Austausch und guter Diskussion war der erfahrene Manager voller Lob für die Ideen und den Mut der Runde. Im Herausgehen allerdings sagte er einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Toll, was ihr macht, aber meine echten Profitpools zeige ich euch nicht“.
Ich finde, das beschreibt sehr viel von dem, was in den letzten Jahren passierte: Viele Fintechs haben nur an der Oberfläche gekratzt und sich oft auch auf ebendiese konzentriert. An die Basics, den Kern des Business haben sich nur wenige getraut oder diesen erkannt. Und die, die es gemacht haben, sind heute oft sehr erfolgreich. Die Revolution an der Oberfläche ist ausgeblieben und es bedarf mehr Tiefe, um wirklich in der Finanzwirtschaft erfolgreich zu sein. Vor allem, da Banking kein wirklicher Wachstumsmarkt ist, sondern viele Teile der Finanzwirtschaft reine Verdrängungsmärkte sind. Nur wenige Bereiche – wie Trading oder auch Payment wachsen wirklich.
Kilian Thalhammer
Die Entwicklung ist vollkommen normal. Die Annahme, dass alles immer so weiter geht wie in den 5 Jahren zuvor, wäre naiv. Nun zeigt sich die Anpassungsfähigkeit der Start-ups. Können Sie auch als Firma agil sein und sich darauf einstellen? Klappt das auf Produkt und Techebene immer wieder propagierte Mantra der Agilität auch auf Ebene der Firma? Und allen Änderungen und neuen Sichtweisen zum Trotz – am Ende geht es doch ums Geld verdienen. Und das schafft nicht jeder.
Christina Cassala
Insolvenzen und Konsolidierungen gehören in jeder Branche zum normalen Geschäft. Dass wir in den letzten Jahren derart viele hohe Fundings gesehen haben, war dennoch ungewöhnlich und ist die Kombination vieler (nur zum Teil positiven) Aspekte, die das Geld der Investoren haben locker sitzen lassen. Diese Zeiten sind eindeutig vorbei und ein bisschen Bescheidenheit in einer aufgeblasenen Szene vielleicht auch eine gute Regulierung.
Allerdings finde ich es auch etwas unfair, jetzt auf jene Fintechs zu schauen, die es in der derzeitigen Situation nicht geschafft haben, sich Anschlussfinanzierungen zu sichern. All jene Unternehmen, von welchen die Insolvenzmeldungen aktuell in unseren eMail-Fächern landen (und es werden unter Garantie noch sehr viel mehr), sind oftmals zu einer Zeit gestartet, als Investoren unter völlig veränderten Parametern ihre Geldbeutel öffneten. Diese lauteten: Skalierung statt Profitabilität, User:innen statt Produkt. Das kann man den Fintechs kaum zum Vorwurf machen!Viel eher sollte darüber nachgedacht werden, warum Umsatz und Gewinne in den letzten Jahren keine Rolle zu spielen schienen.
Hinzu kommt, dass ich es bedauerlich finde, dass es vor allem Fintechs nicht zu schaffen scheinen, die sich (endlich einmal!) um andere Zielgruppen gekümmert und wahrlich getraut haben, neue Kund:innen-Gruppen anzusprechen. Dass hier an der ein oder anderen Stelle (zu) viel PR gemacht wurde, liegt in der Natur der Sache, wenn man außerhalb der eigenen Bubble denkt. Schade, dass solche Business-Cases nicht VC relevant sind. Hier wären andere Finanzierer gefragt, aber von denen traut sich ja auch niemand.
Nicole Nitsche
Glücklicherweise durfte ich in den letzten Jahren die Fintech-Branche intensiv beobachtet und war Zeugin ihrer beeindruckenden Entwicklung, geprägt von rasantem Wachstum und großzügigen Investitionen. Doch in letzter Zeit, insbesondere im Jahr 2023, gab es eine spürbare Abkühlung der Stimmung und eine Welle von Insolvenzen im Fintech-Sektor.
Einige der jüngsten Insolvenzen betrafen vor allem Unternehmen, die sich auf spezifische Zielgruppen konzentrierten oder versuchten, innovative Lösungen für Finanzfragen anzubieten. Trotz erheblicher Finanzierungen und der Unterstützung namhafter Investor:innen mussten diese Unternehmen den schwierigen Schritt der Insolvenzanmeldung gehen. Diese Entwicklung ist übrigens nicht nur im Fintech-Sektor zu beobachten. Auch in anderen Branchen haben Unternehmen trotz erheblicher Finanzierungen Schwierigkeiten.
Was lernen wir daraus?
Erstens, dass Branchen, einschließlich unserer, einem natürlichen Zyklus von Aufstieg und Fall unterliegen. Nach einer Phase des schnellen Wachstums folgt oft eine Konsolidierungsphase.
Zweitens: Investoren werden zunehmend vorsichtiger und schauen stärker auf harte Finanz-KPIs. Die Zeiten, in denen eine gute Idee und ein überzeugendes Story-Telling ausreichten, um Investitionen zu sichern, scheinen vorbei zu sein.
Drittens: Anpassungsfähigkeit und Agilität gewinnen immer mehr an Bedeutung. Als Unternehmer:in muss man in der Lage sein, sich schnell an veränderte Marktbedingungen anzupassen.
Trotz der aktuell „schlechten Wetterbedingungen“, glaube ich natürlich weiterhin daran, dass die Fintech-Branche trotz dieser Herausforderungen weiterhin großes Potenzial bietet. Ich hoffe, dass dadurch echte Game-Changer entstehen werden, die weniger auf Anerkennung und mehr auf Profitabilität schauen. Die aktuelle Konsolidierung könnte letztlich dazu beitragen, eine stärkere und nachhaltigere Fintech-Branche zu schaffen, von der alle profitieren.