Kernschmelze bei PSP-Bewertungen am Aktienmarkt und Einfluss auf Fintech

Gestern sind die börsengelisteten Aktien der Payment-Service-Provider auf breiter Basis gecrasht und weckten teilweise Erinnerungen an den Wirecard-Crash kurz vor der Insolvenz des Dax-Unternehmens. Was war passiert? Worldline enttäuschte mit den Umsatzzahlen im 3. Quartal und senkte die Prognose für das organische Wachstum für das laufende Gesamtjahr. Worldline begründete die Abweichung vom Marktkonsensus durch die Verschlechterung des Konsumverhaltens, insbesondere in Deutschland. Die Kunden kaufen weniger und dementsprechend bezahlen sie weniger. Das nagt an den Umsätzen der Payment-Dienstleister. Welchen Einfluss hat das auf Fintech-Bewertungen?

Worldline-Absturz um knapp 60% innerhalb weniger Stunden

PSP-Blutbad am Aktienmarkt nicht erst gestern

Der Aktienkurs von Worldline ist gestern alleine um fast 60% eingebrochen und zog auch die Bewertungen der direkten börsengelisteten europäischen Wettbewerber mit in den Keller: Nexi -20% und Adyen -11% jeweils an einem einzigen Tag. Die Schärfe der Korrektur und des Ausverkaufs überrascht, vor allem angesichts der bereits erfolgten Bewertungskorrekturen seit den All-Time-Highs im Jahr 2021: Worldline brach seitdem um fast 90% ein. Die Aktie kommt von der Spitze von €85 und handelt aktuell gerade bei €9,30. Nexi brach um 2/3 und Adyen um 3/4 ein von den jeweiligen 2021 Höchstbewertungen. In einem fünfjahres-Zeitraum hat nur Adyen überhaupt Shareholder Value generiert (+24%) während für Inhaber der Papiere von Worldline (-80%) und Nexi (-37%) signifikant Wert vernichtet wurde.

5-Jahres-Betrachtung der PSPs Worldline, Adyen und Nexi

Die Korrektur der Tech-Multiples an den Kapitalmärkten hält weiter an. Börsengelistete Firmen und ihre Multiples auf die üblichen KPIs wie Umsatz oder Profit haben direkten Einfluss auf die Bewertungen von StartUps. Das gilt sowohl im frühphasigen Bereich, als auch im Later-Stage Bereich. In Deutschland betrifft dies vor allem Unzer, Ratepay, Computop und auf europäischer Ebene sicherlich auch Klarna mit ihrem starken Deutschlandgeschäft. Wenn Worldline mit einem 2022er Umsatz von €4,36 Mrd (+18% yoy) und einem EBITDA von €880 Mio (+42% yoy) lediglich auf eine Marktkapitalisierung von €2,8Mrd kommt, wie gering ist dann die Marktbewertung für deutlich kleinere Payment-Dienstleister und Fintech-Startups? Schauen wir mal auf die deutschen PSP-Fintechs:

Unzer: Im August wurde bekannt, dass das Private Equity Unternehmen KKR seine Beteiligung an Unzer zu wesentlichen Teilen an die Kreditgeber & Debit-Fonds des Unternehmens verkauft hat und nur noch Minderheitsgesellschafter ist. Teil des Deals sei eine neue Kapitalspritze und ein Haircut in nicht genannte Höhe. Vorausgegangen waren Berichte, dass Unzer die vereinbarten Geschäftsziele (Covenants) mit den Kapitalgebern verfehlte. Ohne Restrukturierung hätte nach den Medienberichten sogar eine Insolvenz gedroht. KKR bewertete Unzer vier Jahre vorher noch mit €600 Mio. Durch die jüngste Restrukturierung hat Unzer hoffentlich genug Zeit die aktuelle Baisse der Bewertungen “auszusitzen” und zu hoffen, dass in einigen Jahren wieder höhere Bewertungen realisierbar sind.

Ratepay: Ratepay, ehemals auch in Besitz von Private Equity (Bain/Advent), wurde zusammen mit dem skandinavischen Paymentdienstleister Nets von der italienischen Nexi-Gruppe übernommen. Neben Ratepay gehören in Deutschland die ehemalige Concardis und ein Minderheitsanteil von Computop zu Nexi. Ratepay ist nach Medienberichten aktuell erneut als Übernahmekandidat auf dem Markt. Investmentbanken seien mandatiert. Bereits zur Hochphase der Techbewertungen von PSPs im Jahr 2021 war Nexi angeblich offen für einen Verkauf von Ratepay. Gerüchteweise zu einer Bewertung von bis zu €1 Mrd. Diese Bewertung war bereits vor der starken Segmentkorrektur an den Aktienmärkten am gestrigen Tag nicht mehr realistisch. Nimmt man die gleiche Multiple-Kompression wie an den Aktienmärkten an, so muss Nexi wohl zusätzlich von einem weiteren signifikanten Abschlag auf den damaligen Preis von Ratepay ausgehen. Auch gilt dies angesichts der Tatsache, dass die x-mal größere Worldline “nur noch” eine aktuelle Marktkapitalisierung von €2,8 Mrd. hat. Das ideale Zeitfenster für einen Verkauf im Jahr 2021 wurde bei Ratepay verpasst. Es stellt sich die Frage ob ein Verkauf bei den aktuellen Bewertungen überhaupt sinnvoll ist für Nexi.

Computop: Wie wir bereits in unserer ad-hoc-Analyse zum Nexi-Einstieg bei Computop diesen Mai feststellten, haben auch die Gründer von Computop den idealen Zeitpunkt für einen lukrativen Exit mit hoher Unternehmensbewertung verpasst. Vor wenigen Monaten spekulierten wir im Artikel noch, dass der Teileinstieg durch Nexi bei Computop Zeit kauft zu wachsen und zu einem späteren Zeitpunkt die restlichen 2/3 der Firma an Nexi zu einer “besseren” Bewertung zu verkaufen. Aus heutiger Sicht mit der erneut scharfen Korrektur der Bewertungen scheint dieser Zeitpunkt nun noch weiter entfernt zu sein.

Luft ist raus aus dem Fintech-Hype – kommen die Bewertungen je wieder zurück?

Spätestens mit dem schlechten Ausblick des Payment-Schwergewichts Worldline und der starken Reaktion der Investoren an den Börsen zeigt sich, dass die heiße Luft aus dem Fintech-Hype entwichen ist. Anfang des Monats hatten wir dies schon in einem unserer Meinungsartikel zu den aktuell gehäuften Fintech-Insolvenzen festgestellt. Die noch jungen Firmen eBay und Amazon brauchten mehr als eine Dekade, um sich von dem Platzen der dotcom-Blase Anfang der 2000er Jahre zu erholen. Damalige Spitzenbewertungen am Aktienmarkt wurden erst viele Jahre später wieder erzielt. Aber sie wurden erzielt! Wir können also davon ausgehen, dass die überoptimistischen Kurse der Payment-Anbieter im Kontext der Corona-Sonderkonjunktur auf sehr lange Zeit nicht wieder kommen werden. Für StartUps in dem Bereich bedeutet dies: Noch mehr Fokus auf profitables Wachstum und bei Exits schlicht sehr viel kleinere Brötchen backen, so lange die Bewertungen an den öffentlichen Kapitalmärkten so sind wie sie sind.

Autor

  • Jochen Siegert ist Co-Founder von Payment & Banking, Unternehmer, Investor und erfahrener Experte für digitale Transformation. Er schaut zurück auf knapp 25 Jahre Erfahrung in Einführung und Management von Innovationen / digitalen Finanzprodukten. Jochen begleitete senior Führungspositionen bei globalen Paymentanbietern, Fintechs und Banken.

Weitere interessante Beiträge

  • Warum Promi-Werbung zu oft Geldverschwendung ist 

    Warum Promi-Werbung zu oft Geldverschwendung ist 

    Ob Revolut mit Mario Götze, Naga mit Mike Tyson oder Bitpanda mit Alexander Zverev: Eine ganze Reihe von Fintechs lässt…

  • Die wichtigsten Lehren aus Singapur

    Die wichtigsten Lehren aus Singapur

    Manuel Klein und Stefan Grasmann waren für gleich zwei Krypto-Konferenzen in Singapur. Was es dort zu hören gab und was…

  • Inklusion auf Sparflamme

    Inklusion auf Sparflamme

    Obwohl Barrierefreiheit kein neues Thema ist, scheinen die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen im Bankensektor oft übersehen zu werden.

Newsletter
open close

Der beste Newsletter ever.

Wir versorgen dich täglich mit News, ausgewählten Artikeln und Kommentaren zu aktuellen Themen, die die Finanz-Branche bewegen. Jetzt anmelden!