Revolut ist mehr wert als die Deutsche Bank und N26 womöglich bald mehr als die Commerzbank. Das ist lächerlich – und brandgefährlich für die Szene.

Die Payment and Banking-Szene ist unzweifelhaft niemals langweilig. Kein Monat vergeht, ohne dass neue Produkte, Banken, Fintechs und Payment-Lösungen auf den Markt kommen. Aber wer braucht das eigentlich alles und muss man das alles gut finden? Unser Autor Nils Wischmeyer beleuchtet in seiner Kolumne „Nils nörgelt“ ab sofort monatlich ein Produkt, Thema oder eben den „letzten heißen Scheiß“. Etwas zu meckern gibt es schließlich (fast) immer.

Diese Chance ist einzigartig. Ab sofort können Investoren auf der ganzen Welt in meine Firma investieren. Ich verspreche, dass wir jedes Jahr mehr Kunden gewinnen können, dass teilweise sogar der Umsatz steigt – und wir jedes Jahr einen fetten Verlust einfahren werden. Klingt das für Sie auch nach einem mordsmäßigen Geschäftsmodell und tollen Investment? Rufen Sie an unter 0221 4710 000.

Natürlich ist dieser Pitch völlig absurd. Aber offensichtlich reicht das vollkommen, damit die Investoren ein Fintech mit 33 Milliarden US-Dollar bewerten. Gesehen haben wir das erst vor wenigen Wochen bei Revolut, der britischen Bankinghoffnung, die genau das hat: Kunden, ein bisschen Umsatzwachstum und dicke Verluste. Dafür gab es eine Bewertung jenseits der 30 Milliarden US-Dollar, womit man mehr wert ist als die Deutsche Bank. Aber gut, das kann ja jeder. Selbst eine Firma mit erfundenen Zahlen hat das ja schon geschafft.

Diese abstrusen Bewertungen offenbaren eine Überhitzung des Marktes

Schlimmer als die Bewertung selbst ist nur das Muster dahinter. Denn Revolut ist kein Einzelfall. N26 könnte bald mehr als zehn Milliarden Euro wert sein und damit mehr als die Commerzbank. Und aktuell verkündet mindestens ein Fintech die Woche, dass es ja jetzt Unicorn (respektive: Decacorn) ist, obwohl es selten auch nur einen Euro Gewinn gemacht hat.

N26 Logo

Diese abstrusen Bewertungen offenbaren eine mittlerweile vollkommen verrückte und massiv abstruse Überhitzung des Marktes – und offenbar auch der Köpfe der Investoren, die schlicht nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld. Das ist brandgefährlich. Denn langfristig wird diese Methode erst Verbrauchern schaden und dann dem ganzen Finanzmarkt. Ob ich erklären kann, wie das ablaufen wird? Nichts leichter als das, kommt mit meine Piggeldys.

Fangen wir vorn an. Jedes Fintech braucht Geld und wird dieses Geld partout nicht ablehnen. Während es früher harte Verhandlungen um jeden Term im Termsheet waren, dürfte das Gespräch zwischen Investoren und Fintechs aktuell einen Verlauf haben, der eher dem folgenden gleicht. Das Fintech kommt mit ein paar Slides (darauf ein hippes Büro, ein paar Kunden und verspielte UX in der App) ins Büro und die Investoren auf der anderen Seite des Kickers (Wer verhandelt schon noch am Tisch?) schreien wie eine wildgewordene Horde: „Isch scheiß‘ dich sowat von zu mit meinem Geld“.*

Jegliche Kennziffern für eine faire Bewertung sind offenbar egal

Dabei sind jegliche Kennziffern, die für normale Unternehmen (ja, sogar normale Start-ups) gelten, vollkommen egal. Verluste werden komplett ignoriert, auch wenn die Fintechs längst keine jungen Start-ups mehr sind, sondern „Scale-ups” wie es so schön heißt, oder wie man bei jeder vernünftig gestrickten Bank sagen würde: Firmen, die Verluste machen und die keinen Kredit mehr bekommen sollten. 231.8 Millionen US-Dollar waren es allein bei Revolut im Jahr 2020. Bei N26 lag der Verlust jenseits der 200 Millionen US-Dollar/Euro.

Der Kolumnen-Kollege bei Paymen tand Banking, Marcus W. Mosen, antwortete zuletzt auf meine Frage, wann so eine Neobank denn erstmals profitabel sein wird auf Twitter. Dort sagte er, es werde keine zehn Jahre mehr dauern. Na toll, dachte ich, dann hat N26 im ja nur knapp 18 Jahre Verlust gemacht, vorausgesetzt sie machen überhaupt mal Gewinn. Wer will mir denn da noch ehrlich sagen, dass das eine faire Bewertung und keine Blase ist, die ich da auf uns zurollen sehe? Ja, andere Firmen sind auch erstmal gewachsen. Aber Facebook war nach fünf Jahren profitabel und Amazon nach 14 Jahren, da war der Versandhändler längst ein Riese und nicht nur eines von zig Fintechs, das vielleicht oder vielleicht auch nicht je einen Euro verdienen wird.

Es gibt deshalb für mich nur einen logischen Grund dafür, dass aktuell so viel Geld in Fintechs (und andere Start-ups) fließt: Die expansive Geldpolitik auf der ganzen Welt macht es Investoren schwer, denn sie wissen seither gar nicht mehr wohin mit all dem Geld. Da können sie es auch einfach in ein schwarzes Loch namens Neobank, Neobroker oder Neo-Irgendwas werfen. 

„Die expansive Geldpolitik macht es Investoren schwer, denn sie wissen seither gar nicht mehr wohin mit all dem Geld.“

Investoren werden die Fintechs eines Tages an die Börse treiben – und dann geht alles den Bach runter

Spätesten aber wenn der Gewinn noch länger ausbleibt, werden Investoren dick Kasse machen wollen. Bleibt also nur nur noch abzuwarten, bis all die tollen Unicorns per Spac an die Börse gehen, damit sich dann tausende junge Anleger einkaufen, nur um dann zu merken, dass das tolle Fintech auch nach 14, 15 und 25 Jahren nur minimale Gewinne erwirtschaften wird.

Dann gehen die Preise bei den Fintechs hoch, was Kunden abschreckt und sie wieder zu den alten Banken, Brokern und Nicht-Neo-Irgendwas treibt, dann gehen die Börsenkurse runter, was Anleger viel Geld kostet, dann müssen vielleicht sogar Teile des Angebots eingestellt werden und die Konsolidierung beginnt, was allen Ärger macht – und am Ende hat die völlige Überhitzung der Fintech-Szene im Jahr 2021 es fertig gebracht, das Image des Finanzmarktes zu beschädigen, Fintechs der Zukunft jegliches Vertrauen zu klauen und eine Menge Geld zu verbrennen. Aber hey, was schert uns alle Morgen, wo heute doch so ein schöner Tag ist, oder?

Für alle Investoren, die sich dieses Motto jetzt auch zu Herzen nehmen: Ruft mich an, die Firmenbewertung ist seit Beginn des Artikels schon zweistellig gestiegen. Aber psst, Geheimtipp.

*Wer diesen Satz nicht kennt, dem sei die Serie Kir Royal ans Herz gelegt.

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