Berlin ist immer noch besser ist als sein Ruf und insbesondere im Bereich Fintechs ist die deutsche Hauptstadt im DACH-Raum weiterhin unangefochten. Doch wie alle anderen Fintechs müssen sich auch die Berliner Unternehmen nach den ersten erfolgreichen Schritten auf dem Heimatmarkt zwangsläufig fragen, wie es weitergehen soll. Eine Expansion in die USA ist oft die logische Antwort. Immerhin sind die USA der wichtigste Markt für die Finanzierung von Start-ups in der Spätphase. Das beweisen die Finanzierungen in die Unicorns der letzten Jahre aus der DACH-Region.

Die Berlin Finance Initiative gründete sich 2019 aus dem Gedanken heraus, das Ökosystem der Stadt zu stärken und zu verknüpfen und versteht sich als Drehscheibe für technologiebasierte Finanzen und digitale Wirtschaft. Mit der BFI USA baut die Initiative seit diesem Jahr eine transatlantische Brücke und unterstützt Berliner Fintechs dabei, den US-amerikanischen Markt kennenzulernen und bringt sie mit den entscheidenden Playern auf der anderen Seite des Atlantiks zusammen.

Wir sprechen mit Achim Oelgarth, Gründer der Berlin Finance Initiative und CEO des Ostdeutschen Bankenverbands und Alexander Daamen, Head of Berlin Finance Initiative USA, über den richtigen Zeitpunkt, aus der Hauptstadt heraus in die USA zu expandieren, über die Fintech Hotspots und ihre thematischen Schwerpunkte sowie über das richtige Netzwerk zum Aufbau in der Wachstumsphase.

Sehnsuchtsland Amerika: gilt das auch für Berliner Fintechs?

Alexander Daamen: Es gibt viele faktische Gründe, warum Berliner Fintechs in die USA expandieren sollten. Letztlich sind alle Unternehmen auf der Suche nach einem Markt, der groß genug ist, um ihr Geschäftsmodell zu stützen und zu skalieren. Berlin ist ein wichtiges Zentrum für Finanz- und Tech-Startups in Europa, aber wenn man ein Global Player sein möchte, ist eine Expansion in die USA ein Muss. New York oder San Francisco haben eine Tiefe an Talent und Kapital, die nur dort zu finden ist. Eines der Dinge, die die USA so besonders machen, ist die einzigartige Energie. Diese Energie kann auch in Europa viel bewirken.

Um auf der emotionalen Ebene zu antworten: Ich bin jetzt seit 1 1/2 Jahren hier, und ich fühle mich sehr wohl. Aber ich denke, das liegt daran, dass ich Zeit hatte, mich einzuleben und herauszufinden, wo alles ist. Ähnlich verhält es sich mit den Fintechs aus Berlin: Man braucht eine gewisse Anlaufzeit – oder genügend Zeit und (finanziellen Spiel-)-Raum, um sich zurechtzufinden. Mit unserem Programm „Fin-Tech Leaders“ versuchen wir Berliner Fintechs durch den US-Fintech Jungle zu navigieren.

Ab wann wird der US-amerikanische Markt für Berliner Fintechs interessant? Möglichst früh vs. etabliertes Business in DACH?

Achim Oelgarth: Es spielt weniger der Reifegrad des Start-ups die Rolle, vielmehr geht es um den messerscharfen Fokus auf ein lohnendes Marktsegment. Der Privatkundenmarkt, den viele Techs adressieren, ist in den USA eine harte Nuss. USA und Europa unterscheiden sich grundlegend. So lieben die Amerikaner/innen z.B. immer noch ihre Checks und Online-Banking ist unterentwickelt. Was bei uns funktioniert, kann in den USA ein Flopp werden.

Vielversprechend ist es für FinTechs der amerikanische B2B-Markt. Sei es im ESG-Umfeld oder im klassischen Versicherungs- bzw. (Re)-Finanzierungssegment ohne eine eigene US-Bank- oder Wertpapierlizenz zu benötigen. Der Markt für Embedded Finance, Open Banking und Cloud-Anwendungen entwickelt sich stark. Und beim Megatrend Sustainability haben wir Vorreiter-FinTechs, die jetzt auf den US-Markt schauen – als First Mover.

Daamen: Ich sehe einen klaren Vorteil darin, mit dem Heimatmarkt zu beginnen, wenn man gerade erst anfängt und international expandieren möchte. Und warum? Weil man so etwas über die lokalen Regulatorik und Kundenpräferenzen lernen kann, was helfen wird, kostspielige Fehler beim Eintritt in andere Märkte zu vermeiden. Wenn das Fintech-Unternehmen jedoch bereits in Deutschland etabliert ist und seit einiger Zeit ein stetiges Wachstum verzeichnet, ist es wahrscheinlich besser, den US-Markt frühzeitig zu erschließen.

Die BFI möchte eine transatlantische Brücke zwischen Berlin und den USA aufbauen – warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt für Berliner Fintechs?

Oelgarth: Das Jahr 2022 ist von hoher Unsicherheit geprägt. Und wir haben 2022 mit der BFI USA die transatlantische Brücke zusammen mit dem Berlin Business Office USA gebaut.

Warum gerade jetzt?

Oelgarth: Die historisch über Dekaden gewachsenen deutsch-amerikanischen Beziehungen, das weiterhin ungebrochen hohe Interesse der US-Amerikaner/innen an Berlin, unser gegenseitiges Werteverständnis als freie Demokratien und die gegenseitige Investitionssicherheit machen den US-Markt für unsere Unternehmen sehr interessant – vice versa.

Was im Mittelstand und der Industrie funktioniert, ist im Finanzbereich weniger ausgeprägt. Neue technologische Möglichkeiten, dass sich wandelnde Nutzer:innenverhalten, der Weg hin zu NetZero schaffen neue Chancen, gerade für Fintechs aus Berlin. Und das Gute an Krisen ist ja: Keiner kann sich ausruhen, sondern alle suchen nach neuen Anknüpfungspunkten. Das transatlantische Programm Berlins kam damit im goldrichtigen Zeitpunkt – was die Resonanz auch zeigt.

Wer steckt hinter der Berlin Finance Initiative und seit wann gibt es diese?

Oelgarth: Die BFI entstand 2019 aus einem sehr kleinen Kreis, zunächst mit dem Ostdeutschen Bankenverband als Inkubator, und seitdem zusammen mit den wichtigsten Stakeholdern aus der Berliner Finanz- und Tech-Branche sowie der Politik. Hinter der BFI stehen traditionelle Banken, FinTechs, Investoren, Verbände und der Berliner Senat.

Seit 2020 arbeiten wir in enger Partnerschaft mit de:hub FinTech Berlin und haben diese Plattform als nationalen und internationalen Ansprechpartner rund um Finance und Tech etabliert. Eines der spannendsten Projekte ist aktuell, dass wir einen physischen Ort, das Berlin House of Finance & Tech als Dreh- und Angelpunkt der Metropole errichten wollen.

Aus welcher Idee heraus ist die BFI entstanden? Welches konkrete Ziel verfolgt die Stadt Berlin damit?

Oelgarth: Berlin hat ein neues Selbstverständnis als Europas digitaler Finanzstandort entwickelt. Die Metropole zieht seit Jahren talentierte und kreative Köpfe aus der ganzen Welt an, hat hervorragende Universitäten, Business Schools und ist politisches Power House. Und die Investitionen in Berliner Tech-Firmen in Summe sind die höchsten in der EU. Dass heute über 300 FinTechs und die meisten Einhörner Deutschlands hier zu Hause sind, unterstreicht den Anspruch. Und bei allem Vorteil von Berlins vibrierender Dezentralität, war es an der Zeit, auf die nächste Stufe zu gehen und Kräfte in Berlin zu bündeln.

Der Berliner Senat hat sich hinter die Vision der BFI gestellt und fördert diese, um Berlins Standortvorteile für die FinTechs zu verstetigen. Dabei geht es auch um Nachhaltigkeit und Diversität, mehr Frauen als Gründerinnen und mehr Investitionen in die Branche.

Welche Städte stehen bei Berliner Fintechs besonders im Fokus?

Daamen: Bei unserer US-Initiative konzentrieren wir uns besonders auf die Ostküste, die nicht nur für Berliner Fintechs interessante und vielseitige Standorte bietet, sondern schlicht auch am schnellsten aus Deutschland zu erreichen ist. Auch der Zeitunterschied zwischen der Ostküste und Berlin ist ein Vorteil gegenüber San Francisco oder Los Angeles.

Neben New York City, dem internationalen Finanzzentrum und mit über 1000 Fintechs die Nr. 1 in den USA, ist Atlanta der „Hidden Champion“ in den USA. Atlanta wird nicht ohne Grund „Transaction Alley“ genannt – über 70 Prozent der US-Transaktionen laufen über diesen Finanzplatz. Neben dem starken Zahlungsverkehrs- und Bankensektor ist Atlanta auch Sitz vieler Fortune-500-Unternehmen (darunter Coca-Cola, Delta Air Lines, Global Payment).

person holding coca cola bottle

Wie steht es denn mit Miami? Eine Stadt, die schließlich bei den Krypto-Unternehmen immer beliebter wird …

Daamen: Miami hat sich zu einem Zentrum für Kryptowährungen und NFTs (non-fungible tokens) entwickelt – die Attraktivität der Stadt zieht Innovatoren, Investoren und Unternehmer an, die von der Zukunft der Blockchain-Technologie begeistert sind.

Im Gegenzug steht die Bay Area als Ort der Innovation und Inspiration im Fokus und ist bekannt für ihre hohe Konzentration an hochwertigen Fintech-Unternehmen (z. B. Stripe, Plaid, Chime), Talenten, Fintech-freundlichen Regeln und hoher Finanzkraft. Im kommenden Jahr werden wir uns mehr auf San Francisco konzentrieren und dann die Vorteile der Bay Area für die Berliner Fintech-Szene unter die Lupe nehmen.

Es gab bereits eine Delegation nach Atlanta und New York. Welche Unterstützung zum Markteintritt finden die Fintechs dort vor?

Daamen: Im Oktober sind wir mit einer Gruppe von Berliner Fintechs nach Atlanta und New York gereist und konnten uns ein Bild von der Infrastruktur machen. Die Atlanta Metro Chamber und der „State of Georgia“ haben uns besonders willkommen geheißen, ebenso wie das neue Blockchain Center. Erwähnenswert ist auch das Advanced Technology Development Center (ATDC) und das FinTech Lab an der Georgia Tech, das Atlantas Ambitionen zur Stärkung des Fintech-Sektors untermauert. Da unsere USA-Initiative ihren Sitz in New York hat, haben wir uns auch dort ein starkes Netzwerk von Geschäftskontakten aufgebaut. Am 1. November haben wir unsere eigene Veranstaltung in New York City bei der Deutschen Bank durchgeführt. Die Veranstaltung war ein großer Erfolg und ermöglichte es uns, auf den Verbindungen aufzubauen, die wir bereits in New York geknüpft hatten.

Wie war das Feedback der teilnehmenden Fintechs und was konkret haben sie daraus mitgenommen?

Daamen: Die Delegationsreise war ein Mega-Erfolg. Die Resonanz war sehr positiv und die Qualität der Kontakte mit potenziellen Partnern und Investoren sowie der fachliche Tiefgang wurden hervorgehoben. Vor allem Atlanta hat die Teilnehmer mit seinen vielfältigen Standortvorteilen überrascht und überzeugt. Die Begeisterung und der Elan der Amerikaner waren ansteckend und bereichernd für die Teilnehmer. Und um es mit den Worten eines der ersten Generation unserer Fin-Tech-Leaders zu sagen „This event here in New York really killed it. Great work!

Bald brechen Fintechs nach Miami auf – was konkret erwartet sie dort?

Daamen: Wir freuen uns sehr auf unser Event am 15. Dezember in Miami, die sich auf DeFi konzentrieren wird. Sowohl Miami als auch Berlin gelten als DeFi-Hotspots in der globalen Fintech-Szene und wir freuen uns, die Chance zu haben, Berlin als DeFi-Hotspot präsenter zu machen und vielversprechende Unternehmen aus Berlin dem Miami Ecosystem vorzustellen.

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Krypto/DeFi Szene, liegt unser Fokus nun weniger auf Go-to-Market, sondern mehr auf dem fachlichen Austausch über (EU-)Regulierungen, Use Cases & Inspirationen aus Berlin und vice versa. Wir werden die Diskussionen auch live nach Berlin streamen. Für diejenigen, die nicht in Miami dabei sein können, werden wir im nächsten Jahr eine Veranstaltung in Berlin mit Bezug zu Miami organisieren und hoffentlich den Dialog fortsetzen.

Ist der aktuelle FTX-Skandal insbesondere für Berliner Crypto-Unternehmen das Momentum?

Oelgarth: Dass wir Mitte Dezember in Miami sein werden, stand schon vor dem Skandal fest. Aber die konkreten Planungen hat FTX schon beeinflusst, wie Alex schon sagte. Das Ziel ist es jetzt den transatlantischen Dialog zu stärken, voneinander zu lernen und die Berliner Krypto- und DeFi-Branche ins Schaufenster zu stellen. Es geht um das Vertrauen in die Blockchain-Technologie und den Kryptomarkt.

Die MiCA und das KWG könnte globalen Vorbildcharakter haben. Was bedeuten beide Rahmenbedingungen für den transatlantischen Dialog und für das Marketing nach Deutschland oder Berlin?

Oelgarth: Unsere amerikanischen Partner schauen sich die MiCA und die Krypotverwahrgeschäftregeln im KWG sehr genau an. Unser Dialog im BlockChain Centre Atlanta im Oktober hat gezeigt, dass man dort ähnlich denkt, wir aber weiter sind. Insofern schafft unser Regulierungsrahmen für den Moment einen Vertrauensvorsprung, der einen gewissen Marketingeffekt schafft.

Allerdings eignet sich MiCA auch nicht für echtes DeFi. Sie eignet sich für die Schaffung eines teilweise zentralisierten DeFi-Ökosystems, was ein wichtiger Schritt für einen der größten Märkte der Welt – die EU – ist. Die Regulierung wird die Unsicherheit und Angst von traditionelleren Anlegern verringern und das notwendige Umfeld sowie Investitionen für eine breitere Einführung von Krypto-Assets im EWR schaffen. Allerdings hätte auch unser europäischer Rechtsrahmen den FTX-Skandal – nach meinem Kenntnisstand – nicht verhindert.

Wie kann ich als Berliner Fintech Teil einer Delegation werden?

Oelgarth: Das Programm ist für jedes Fintech aus Berlin offen, welches über die Internationalisierung in die USA nachdenkt oder diese konkret umsetzt. Da das Programm von der Berliner Regierung, Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe und durch das Corona-Konjunkturprogramm der Europäischen Union #ReactEU unterstützt wird, haben wir hier diese Vorgaben. Anders ist es bei der Programmgestaltung der Events. Da schauen wir natürlich auch auf spezielle fachliche Expertise, die nicht zwingend den Berlin-Bezug haben muss.

Neben ausgewählten Delegationsreisen findet rund um die Initiative weitere Aktionen statt – welche sind das?

Daamen: Unser Ziel ist es, Berliner Fintechs dabei zu helfen, die enormen Möglichkeiten auf dem US-Markt zu entdecken und selbst zu entscheiden, ob sie für eine Expansion bereit sind. Dies tun wir vor allem durch Veranstaltungen in New York, Atlanta, Miami und San Francisco, bei denen wir uns mit wichtigen Partnern wie Investoren und Fintechs vernetzen können. Zusätzlich zu diesen Veranstaltungen bieten wir auch Webinare und Workshops an, die praktische Informationen über den US-Markt, die Fintech-Landschaft, Markteintrittsmöglichkeiten, Aufbau von Key-Personal und regulatorische Fragen bieten. Unser nächster „Market Readiness“-Workshop ist bereits am nächsten Donnerstag, 8. Dezember und auch in unseren geplanten Events im Jahr 2023 werden wir alle Berliner Fintechs einladen, ihre Expansionsstrategie zu entwickeln und zu testen.

Welche Betreuung erwartet die Berliner Fintechs nach Start in den USA?

Daamen: Wir werden unser Netzwerk „Fin-Tech Leaders“ weiter ausbauen und den Start-ups Zugang zu den besten lokalen Partnern verschaffen, von Rechtsberatern bis zu Investoren. Wir werden alle Erkenntnisse aus diversen Gesprächen, Interviews, Panel Diskussionen, etc., in einem „Playbook“ dokumentieren, das auch als Begleitwerk für weitere Start-ups, die an Expansionsmöglichkeiten in den USA interessiert sind, zur Verfügung stehen wird.

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