Die deutsche Hauptstadt hat, was Gründungen insgesamt angeht, nach wie vor die Nase vorn. Im ersten Halbjahr 2022 wurde in Berlin mit 313 Gründungen fast dreimal öfter gegründet als in München (122 Gründungen). Aber auch was Fintechs betrifft, ist Berlin im DACH-Raum unangefochten.

Das Portal findexable.com aggregiert diverse internationale Fintech-Rankings – und weist Berlin als Fintech Hub Nummer ein aus (danach folgen Zürich und Hamburg). In das Ranking fließen einige wichtige Faktoren ein, unter anderem die Anzahl gegründeter Fintechs, die Standortqualität für Fintechs, aber auch Anreize für Start-ups sowie positive regulatorische Entwicklungen im jeweiligen Markt.

Wir sprechen mit Torben Rabe, Country Director Deutschland bei Qonto darüber, wie Start-ups in Berlin aufgenommen werden und welche Vorteile die Hauptstadt auch für unerfahrene Gründer:innen bietet. Außerdem fragen wir ihn nach seiner Einschätzung, ob es aktuell zu einem Ausverkauf Berliner Fintechs an internationaler Wettbewerber kommt. Das französische Fintech Qonto hatte seinerseits im Sommer dieses Jahres Penta übernommen.

Welchen Vorteil haben Fintechs in der Hauptstadt? Die freien Flächen und die günstigen Mieten können es ja nicht mehr sein …

Berlin ist ein hervorragender Ort für Fintechs, die schnell wachsen wollen – und unsere eigene Erfahrung ist dafür ein anschauliches Beispiel. Wir sind mit einem sehr kleinen Team im deutschen Markt gestartet – erst aus dem Pariser Büro heraus, dann vor Ort. In Berlin haben wir zuallererst in den Aufbau unseres lokalen Ökosystems investiert, haben uns vor Ort mit starken Partnern vernetzt, sind innerhalb kürzester Zeit zu vielen Veranstaltungen gegangen – ebenfalls hauptsächlich innerhalb Berlins. Denn das ist der große Vorteil der Hauptstadt – alle Zutaten, die man für ein erfolgreiches Start-up braucht, sind hier in greifbarer Nähe.

Dazu gehören natürlich auch Talente. Berlin hat ein riesiges Potenzial, was qualifizierte Arbeitskräfte angeht. In Berlin machen jährlich 30.000 Studierende ihren Abschluss. Die Bildungs-, Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen der Stadt sind eng mit der Gründer:innen-Szene verzahnt. Zusätzlich werden mehr und mehr internationale Talente von der Hauptstadt angezogen – aufgrund der hohen Lebensqualität, aber auch aufgrund der mehr als 8.500 Tech-Unternehmen, die in Berlin mit immer besseren Benefits um die Gunst der besten Talente buhlen.

Was Berlin ebenfalls besonders macht: Das internationale Umfeld hier verstärkt sich im Grunde selbst. Längst ist die Hauptstadt zu einem Ort geworden, an dem auch Expats ohne deutsche Sprachkenntnisse mühelos einen Job finden.

Nach dem Brexit hatten sich Frankfurt und vor allem auch Berlin erhofft, mehr Fintechs in die Stadt zu bekommen? Hat sich diese Hoffnung für Berlin bestätigt?

Laut EY haben etwa 44 Prozent der im Vereinigten Königreich ansässigen Unternehmen aus dem Bereich Finanzdienstleistungen ihre Geschäftstätigkeit oder ihr Personal in die EU verlagert – oder planen noch, dies zu tun. Dabei muss man allerdings bedenken, dass diese Entwicklung alles andere als abgeschlossen ist. Einige Unternehmen haben zwar schon vor dem offiziellen Brexit ihre Tätigkeiten oder ihr Personal verlagert. Andere sind aber aufgrund der Corona-Pandemie in ihrer Planung zurückgeworfen worden.

In erster Linie sind es Dublin und Luxemburg, die bisher von der Verlagerung profitiert haben – und übrigens auch Paris. Auch Frankfurt hat einen kleinen Teil des Kuchens abbekommen, allerdings handelt es sich da eher um klassische Finanzunternehmen als um Fintechs. Hinzu kommt, dass sich auch immer mehr Investor:innen für Berlin statt für London entscheiden – und die Hauptstadt zu einem beliebten Treffpunkt machen.

Internationale Fintechs kommen nach Berlin und kaufen im großen Stil Berliner Fintechs – wie nimmst du das wahr?

Aktuell sehen wir sicherlich einen Beginn der Konsolidierung in bestimmten Bereichen.

Solche Bewegungen sind in Märkten aber ganz normal und für viele Scale-ups sind Akquisitionen oft der nächste logische Schritt – besonders in starken Wachstumsphasen. Wer einen europäischen Champion bauen will, der die besten Talente für sich begeistern und im internationalen Vergleich mit den Ökosystemen in China oder den USA mithalten kann, der muss – früher oder später – über die eigenen Landesgrenzen hinaus wachsen. Dann macht es oft Sinn, sich mit Start-ups in anderen Ländern zusammenzuschließen – weil sie zum Beispiel über wertvolle lokale Expertise verfügen. Zusammen ist man ab einem bestimmten Punkt oft stärker als im Alleingang.

Ausverkauf Berliner Fintechs – warum haben diese den Riesen aus Frankreich oder Übersee nichts mehr entgegenzusetzen?

Das ist meiner Meinung nach ein Denkfehler: Es ist nicht so, als hätten Berliner Fintechs den „Riesen“ nichts mehr entgegenzusetzen – ganz im Gegenteil. Die Schlagkraft vieler lokaler Start-ups ist für Scale-ups aus anderen europäischen Ländern eine echte Bereicherung. Berliner Fintechs verfügen über wertvolles lokales Know-how im deutschen Markt und einen großen Pool an internationalen Talenten. Scale-ups sind dafür oft schon an dem Punkt, über ihre eigenen Landesgrenzen hinaus operieren zu können – und haben eine entsprechende Finanzierung im Rücken.

Zusammenschlüsse sind also für beide Seiten von Vorteil. Und nur so wird es am Ende möglich sein, starke europäische Marken zu schaffen, die im internationalen Wettbewerb Bestand haben. Wir müssen grundsätzlich davon wegkommen, nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen zu denken – und stattdessen mit Hochdruck daran arbeiten, eine gemeinsame europäische Start-up-Vision zu schaffen und gemeinsam unser großes Potenzial in Europa auszubauen.

Wie nimmst du das politische Engagement des Senats gegenüber Start-up, insbesondere den Fintechs wahr?

Ganz Deutschland hat in diesem Bereich Nachholbedarf – auch im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn. In Frankreich hat die Regierung den Ausbau von Start-ups schon vor Jahren zur Chefsache erklärt – und Macron kann sich heute über ein französisches Einhorn nach dem anderen freuen. Dementsprechend hat sich auch Paris weiterentwickelt. Auch Berlin hat dieses Potenzial.

Wie die Pariser Kolleg:innen in Frankreich orientiert sich aber auch der Berliner Senat an der Marschrichtung ihrer Bundesregierung. Werden Start-ups dort zur Priorität erklärt und fester Teil der Roadmap (wie im Rahmen der Start-up-Strategie in diesem Jahr erstmals geschehen), bringt das auch Bewegung in die Berliner Politik. Dass diese bereits erkannt hat, wie wichtig der Ausbau Berlins als deutscher Hauptstandort für Fintechs ist, lässt sich zum Beispiel an der Kooperation mit der Berlin Finance Initiative erkennen – die Fortführung dieser Partnerschaft hielt die Landesregierung sogar im Koalitionsvertrag fest.

Auch für Start-ups generell tut die Berliner Politik einiges – zu erwähnen sind da das EXIST-Gründerstipendium, der GründungsBONUS oder die Digitalprämie Berlin.

Welche Anreize könnte Berlin den Fintechs bieten, diese davon abzuhalten, nach Übersee zu expandieren?

Ich glaube, fehlende Anreize sind kein Berliner Problem, sondern eher eine Herausforderung, die Deutschland, bzw. Europa insgesamt stemmen muss. Wir müssen alle gemeinsam daran arbeiten, dass sich die Voraussetzungen gerade für Tech-Unternehmen so verbessern, dass sie sich nicht nur zu Beginn in Deutschland, bzw. Europa ansiedeln, sondern auch langfristig hier bleiben. Dazu gehört sicherlich die Förderung von attraktiven ESOP-Regelungen und Tech-Visas, um die besten Talente an Europa zu binden.

Aber auch unter anderem ein verbesserter Zugang zu Finanzierungen für weiter fortgeschrittene Start-ups (Scale-ups) – in Form von Risikokapital oder Börsengängen. Nur so lässt sich am Ende verhindern, dass Wertschöpfung extrahiert wird, weil Scale-ups aufgrund besserer Finanzierungsbedingungen irgendwann in die USA abwandern.

Über Torben Rabe

Torben Rabe ist seit 2020 Country Director Deutschland bei Qonto, dem europäischen Marktführer im Finanzmanagement für Gründer:innen, Selbstständige und KMU. Nach Stationen bei Oliver Wyman im Bereich Geschäfts- und Digitalstrategien für Banken, Lendico und Bird gilt Rabes Begeisterung dem Thema Banking in Verbindung mit Technologie.

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