Wie Inkasso-Unternehmen bei KI aufrüsten

Inkasso-Unternehmen setzen Künstliche Intelligenz ein, um Prozesse effizienter zu gestalten

Im Kampf um möglichst gute Bezahlquoten setzen Inkasso-Firmen zunehmend auf Künstliche Intelligenz. Mit hohen Investitionen wollen sie sich Wettbewerbsvorteile sichern. Doch jetzt kommt der AI Act der EU. 

Erfolg im Inkassobereich lässt sich einfach beziffern: Der Schuldner soll zahlen. Wer die beste Quote hat, der bekommt die lukrativsten Aufträge. Der Kampf darum, sich vor die Konkurrenz zu setzen, ist entsprechend hart, jede Art von Hilfsmitteln gerne gesehen. Das Aufkommen von Künstlicher Intelligenz (KI) beobachtet die Branche deswegen sehr interessiert. Die Hoffnungen sind groß. Von präziserer Kundenansprache bis zur schnelleren Vermittlung der passenden Zahlungsmethode scheint viel möglich. Das Wettrüsten ist bereits in vollem Gange. 

Stephan Stricker, CEO des Inkasso-Dienstleisters Pair Finance, sieht das Thema als Fortsetzung eines jahrelangen Trends. Automatisierung und Digitalisierung haben die Inkassobranche bereits in jüngerer Vergangenheit auf links gekrempelt. „Wir nutzen bereits seit 2018 Reinforcement-Learning für unsere Algorithmen, das ist eine Art KI“, sagt er. Eingesetzt wird diese Technologie für die Kommunikation nach außen, mit den betroffenen Schuldnern. „Wir wollen festlegen, welche Kommunikation es braucht, um jemanden anzusprechen.“ Zeitpunkt der Nachricht, Tonalität und Wortwahl würden eine Rolle spielen, jeder spreche auf andere Sachen gut an.

Generative KI hilft bei Kommunikation

Also alles schon lange bekannt, KI ist nichts Neues? Von wegen, meint Sebastian Ludwig, CEO beim Inkassounternehmen Coeo. „Generative KI, wie seit Ende 2022 verfügbar, ist auch für uns eine Revolution“, sagt er. Ludwig und sein Team erarbeiteten Anfang 2023 zehn Module, in denen sie generative KI einsetzen wollen. Coeo heuerte extra einen KI-Chef an, außerdem 16 Entwickler. „Natürlich sind noch längst nicht alle zehn Module umgesetzt und nicht alles funktioniert auf Anhieb“, so Ludwig: „Aber erste Erfolge haben wir.“ Ein hauseigener Voice-Agent namens cAI  nimmt eingehende Anrufe bei Coeo an. „cAI kann den gesamten Verifikationsprozess abwickeln und eine erste Beratung zum Anliegen geben“, erläutert er. Etwa 80 Prozent der Anrufer würden heute bereits über den Bot betreut. Auch eingehende E-Mails werden mittlerweile  KI-basiert verarbeitet. Ein immenser Effizienzgewinn, ist sich Ludwig sicher: „Der Verifikationsprozess alleine dauert etwa 30 Sekunden. Bei 3.000 Anrufen am Tag können sie sich ausrechnen, wie viel Zeit unsere Mitarbeiter einsparen, wenn ihnen das ein KI-Assistent abnimmt.“

Auch bei Pair Finance wollen sie die generative KI nutzbar machen, ähnlich wie bei Coeo für die eingehende Kommunikation. „Wir lassen die E-Mails analysieren und weisen sie direkt den richtigen Mitarbeitern zu“, sagt Stricker. Bei 92 Prozent der Mails gelinge das bereits, mittelfristig soll diese Quote auf 100 Prozent wachsen. Im nächsten Schritt soll dann die KI auch automatisch eine passende Antwort schicken. Allerdings nicht selbst schreiben, wie Stricker betont: „Die Antwort-E-Mails werden von Menschen vorformuliert.“

AI Act erschwert Inkasso-Firmen die Arbeit

Das ist kein ganz unwichtiger Faktor, denn spätestens, wenn der AI Act der Europäischen Union ab dem kommenden Jahr nach und nach scharfgestellt ist, dürften solche Punkte relevant sein. Der AI Act wird KI-Systeme in vier Kategorien einordnen. Je nach Kategorie gibt es mehr oder weniger strenge Anforderungen an Risikomanagement, Datenqualität und menschliche Aufsicht. 

Die Kategorisierung wird unter anderem davon abhängen, wie sensibel die verarbeiteten Daten sind, aber auch, wie viel das KI-System selbständig entscheiden und machen darf. Strickers Hoffnung: Wenn der Mensch nach wie vor für die Ansprache der Schuldner zuständig ist, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, das Pair Finances System nicht allzu streng eingestuft wird. „Wir sehen uns in jedem Fall gut vorbereitet“, sagt er.

„Personenbezogene Daten wie die, mit denen wir arbeiten, sind natürlich immer sensibel“, sagt Coeo-CEO Sebastian Ludwig: „Aber wir anonymisieren die natürlich, wenn wir mit ihnen arbeiten.“ Welche Auswirkungen der AI Act genau auf coeo und dessen KI-Systeme haben wird, da ist er sich noch nicht sicher. „Aber es kann natürlich passieren, dass wir Dinge anders machen müssen.“ Die KI-Euphorie im Inkassobereich könnte also schnell wieder schwinden. 

Autor

  • Lars-Thorben Niggehoff ist freier Journalist und Gründer des Journalistenbüros dreimaldrei. Er schreibt über Finanzthemen, Mittelstand und den Immobilienmarkt, neben Payment & Banking unter anderem auch für Brand Eins, Capital, Welt und Wirtschaftswoche.

Weitere interessante Beiträge

  • Wie Trump das goldene Krypto-Zeitalter einläutet

    Wie Trump das goldene Krypto-Zeitalter einläutet

    Die US-Wahl ist ein „Dammbruch im positiven Sinne”: Viele regulatorische Hürden könnten in den nächsten Monaten fallen.

  • Die wichtigsten Infos zum Klarna-Börsengang

    Die wichtigsten Infos zum Klarna-Börsengang

    Gerüchte über den Klarna-IPO gab es schon länger. Nun ist es tatsächlich soweit. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Börsengang…

  • Klarna: So hat sich das Fintech neu erfunden

    Klarna: So hat sich das Fintech neu erfunden

    Klarna war nach den Boomjahren in eine schwere Krise gestürzt. Jetzt ist das Start-up wieder da, mit neuen Zahlen und…

  • Warum der US-Wahlkampf zum Krypto-Showdown wird 

    Warum der US-Wahlkampf zum Krypto-Showdown wird 

    Welche Rolle spielt Krypto in den Endzügen der US-Wahl? Und warum ist die Bridge-Übernahme ein Gamechanger? All das und mehr…

Newsletter
open close

Der beste Newsletter ever.

Wir versorgen dich täglich mit News, ausgewählten Artikeln und Kommentaren zu aktuellen Themen, die die Finanz-Branche bewegen. Jetzt anmelden!