Wenn der Banker zweimal stupst

Verhaltensökonomische Methoden werden im Bankwesen immer präsenter. Aber funktionieren Konzepte wie  Nudging in der Praxis tatsächlich? Auf der Banking Exchange wird Behavioural Banking später ein wichtiges Thema.

Die Verhaltensökonomie ist wahrscheinlich der erfolgreichste Lückenfüller der Wirtschaftswissenschaften in den vergangenen 200 Jahren. Als vor einigen Jahrzehnten immer klarer wurde, dass die Menschen in der Praxis nicht ansatzweise so rational handeln, wie sich das die Ökonomen vorstellen, begann ihr Aufstieg. Verhaltensökonomen versuchen seitdem zu erklären, warum Menschen sich wie entscheiden und was Unternehmen gegebenenfalls daraus lernen können.

Langsam, aber sicher kommen diese Erkenntnisse auch in der Bankenwelt an. „Behavioral Banking“ nennt sich das dann. Und wie so viele Neuheiten ist das ein zweischneidiges Schwert. Die Methode bietet Banken theoretisch die Möglichkeit, Kunden:innen im eigenen Interesse zu manipulieren. Aber genauso bietet sich die Chance, Finanzprodukte mehr auf das individuelle Verhalten auszulegen und so das voranzutreiben, was findige Marketingleute „Financial Wellbeing“ nennen.

Verhaltensökonomie funktioniert erwiesenermaßen

Warum das Thema sowohl in die eine als auch die andere Richtung abgleiten kann, zeigt sich beim Nudging. Dieses Instrument ist sicherlich der bekannteste Aspekt der Verhaltensökonomie und auch ein zentrales. Im Prinzip geht es darum, durch kleine Signale oder Maßnahmen bestimmte Verhaltensweisen zu fördern. Klassische Beispiele sind etwa Warnbilder auf Zigarettenpackungen oder die während der Coronapandemie allgegenwärtigen Abstandslinien in Warteschlangen. Wie der Name schon sagt, geht es eher um subtile Stupser (Nudges), im Idealfall reagiert der Mensch unterbewusst und fühlt sich nicht unter Druck gesetzt.

Dass Nudging keine esoterische Spinnerei ist, sondern ausgesprochen gut funktioniert, ist bereits dutzende Male empirisch nachgewiesen worden. So funktionieren etwa vordefinierte Standardoptionen (Defaults). Gibt es im Respekt bei der Bestellung standardmäßig Salat statt Pommes, werden auch mehr Leute die gesunde Option wählen, anstatt extra um eine Alternative zu bitten. Auch das Design, in dem Informationen vermittelt werden, ist wirksam (Framing). Zu guter Letzt funktionieren auch regelmäßige Erinnerungen, um ein bestimmtes Verhalten zu fördern.

All diese Instrumente lassen sich auch auf das Bankwesen übertragen. In Kreditverträgen, Kartenbedingungen oder Trading-Apps können Unternehmen die Standardoptionen variieren, sie können Informationen kompliziert oder simpel halten, sie können in Zeiten von Apps mit Push-Nachrichten und SMS auf dem Mobiltelefon arbeiten. Auch hier ist die Beweislage stabil, Nudging im Finanzbereich funktioniert. Eine Studie im Journal of Economic Behavior & Organization, durchgeführt von Forschern aus Stanford, Harvard und Yale, zeigte etwa, dass durch die richtigen Defaults und möglichst einfach gehaltenes Infomaterial deutlich mehr Menschen Altersvorsorgepläne nutzen.

Deutsche Unternehmen setzen bereits Behavioral Banking ein

Wer Finanzinstitute kritisch sieht, erblickt hier bereits die erste Gefahr. Denn Nudging in all seinen Formen ist erstmal nur ein Instrument, ob die Banken es für das Gute oder Schlechte einsetzen, liegt bei ihnen. Was etwa passiert, wenn Bankberater so versuchen, Leute von den Produkten mit den höchsten Provisionen zu überzeugen? Es ist nicht so, als sei dies noch nie passiert, faule Schiffskredite und Differenzkontrakte lassen grüßen.

Die bisherigen Anwendungsfälle deuten allerdings nicht darauf hin, dass die Kreditinstitute fröhlich Manipulationstechniken einsetzen, um ihre Kunden:innen übers Ohr zu hauen. Stattdessen geht es vor allem darum, Sparraten zu erhöhen, Ausgaben zu reduzieren und die pünktliche Rückzahlung von Krediten zu erhöhen. Das ist natürlich auch im Interesse der Banken selbst, schadet aber erstmal nicht den Konsumenten.

So bietet etwa das deutsche Fintech Trade Republic bei seiner Anfang des Jahres eingeführten Kreditkarte eine Round-Up-Funktion an: Der gezahlte Betrag wird bis zum nächsten vollen Euro aufgerundet und automatisch in eine Aktie oder einen ETF nach Wahl investiert. Finanz-Apps – sowohl von Banken als auch von Drittanbietern –, die beim Managen von Ausgaben helfen, kennt vermutlich jeder, auch dies ist ein Anwendungsfall für Behavioral Banking.

Erste Behavioral-Bank der Welt stammt aus Südafrika

Sehr beliebt sind verhaltensökonomische Konzepte auch beim Schuldeneintreiben. Gerade Unternehmen aus dem Inkassobereich, etwa Pair Finance, setzen schon lange auf eine persönliche Ansprache der Schuldner, um diese zur Rückzahlung zu bewegen. Aspekte wie Ansprachezeitpunkt, Tonalität und Inhalt haben sie als relevante Faktoren identifiziert. Vereinfacht gesagt: Wen die E-Mail mit der Zahlungsaufforderung nach der Mittagspause bei guter Laune erreicht, der zahlt eher, als derjenige, der sie nach einem stressigen Arbeitstag auf dem Weg nach Hause in der Bahn liest.

Noch sind all diese Einzelbeispiele, mit denen auch Banken experimentieren. Der nächste Schritt könnte die Integration von verhaltensökonomischen Konzepten in das gesamte Bankgeschäft sein. Auch hier gibt es erste Experimente. So erklärte sich die südafrikanische Discovery Bank – Tochterfirma des gleichnamigen Finanzkonzerns – 2019 bei Gründung zur ersten Behavioral-Bank der Welt. Das führte dazu, dass man seit einigen Jahren die Bank mit der höchsten Zufriedenheit im Land sei, wie zumindest das Geldhaus selbst stolz verkündet.

Auswirkungen und Best-Practice-Beispiele des Behavioral Banking diskutieren die Teilnehmer:innen auch auf der Banking Exchange 2024. Das vollständige Programm und Tickets gibt es hier

Autor

  • Lars-Thorben Niggehoff ist freier Journalist und Gründer des Journalistenbüros dreimaldrei. Er schreibt über Finanzthemen, Mittelstand und den Immobilienmarkt, neben Payment & Banking unter anderem auch für Brand Eins, Capital, Welt und Wirtschaftswoche.

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