Der Zahlungsdienst Zelle hat Paypal bei P2P-Transaktionen in den USA überholt. Die Erfolgsformel von Zelle hat dabei starke Parallelen zu Wero. Wie angreifbar ist die Stellung von Paypal in Europa und wer kann von deren Schwäche profitieren?
Wenn man in Deutschland jemanden fragen würde, was Zelle ist, würde die Person wahrscheinlich versuchen, sich an den Biologieunterricht in der sechsten Klasse zu erinnern. In den USA wäre die Antwort dann wahrscheinlich eine andere. Zelle ist dort nicht das Wort für eine biologische Einheit oder ein Raum in einem Gefängnis, sondern als Zahlungsdienst bekannt. Und das durchläuft gerade einen steilen Aufstieg.
Zelle meldete vor einem Monat für das vergangenen Jahr ein Transaktionsvolumen von über einer Billionen US-Dollar über den eigenen Dienst. Davon sandten insgesamt 151 Millionen Nutzer:innen über 700 Milliarden US-Dollar über die P2P-Funktion von Zelle. Der Anbieter überholte damit in den USA den bisherigen Platzhirsch Paypal, über den 2024 Nutzer:innen lediglich 400 Milliarden US-Dollar an andere Privatpersonen schickten. Zudem wird Zelle auch für größere Zahlungen wie Miete oder Urlaube zwischen Privatpersonen genutzt.
Der rasante Erfolg zeigt, wie wackelig die Vormachtstellung von Paypal doch sein kann und könnte als Beispiel für konkurrierende Zahlungsanbieter in Europa wie Wero von der European Payments Initiative (EPI) dienen. Denn auch Zelle hatte einen langsamen Start.
Das Erfolgsrezept von Zelle
Zelle ist der Nachfolger des Zahlungsdienstes clearXchange, der 2011 von der Bank of America, JPMorgan Chase und Wells Fargo mit dem Unternehmen Early Warning Services als Konkurrenz zu Paypal ins Leben gerufen wurde. Schon damals konnten Nutzer:innen Geld von Nutzer:innen anderer teilnehmenden Banken, Unternehmen und staatlichen Organisationen über den Dienst empfangen. Die Idee: Statt über ein Verrechnungskonto, konnten Nutzer:innen das Geld direkt von und auf ihr Bankkonto überweisen.
Quelle: Zelle (Grafik generiert über ChatGPT)
Nachdem clearXchange 2017 verkauft wurde, startete Early Warning Services mit Zelle einen Nachfolger und übertrug die bisherigen Benutzerkonten. So startete der Dienst mit einem unbekannten Teil der 20 Millionen registrierten Nutzer:innen von clearXchange, hatte aber schon damals wegen der Anbindung an die dahinterliegenden Banken das Potential für bis zu 85 Millionen Bankkund:innen. Über die Integration in die Banking-Apps baute Zelle in den folgenden Jahren kontinuierlich Kontozahlen und Zahlungsvolumen auf. 2022 hatten 80 Prozent der US-Bevölkerung durch ihr Bankkonto Zugang zu Zelle. Dabei half nicht nur der direkte Anschluss an die Bankkonten, sondern auch die Schnelligkeit der Zahlungen.
2020 führte Zelle die Möglichkeit ein, Zahlungen an kleine Unternehmen zu senden. In den folgenden Jahren stieg dessen Anteil immer weiter und liegt nun bei fast 30 Prozent. Zwar hat Paypal beim E-Commerce weiterhin die Nase vorne und mit Venmo gehört Paypal ein weiterer großer Anbieter von P2P-Zahlungen. Doch für Zelle ist es ein Achtungserfolg, auf den sich aufbauen lässt und der in Europa sicherlich genau beobachtet wird.
Droht PayPal nun in Europa dasselbe?
Die Ähnlichkeiten von Wero und Zelle sind dabei erstaunlich. Beide wissen die Macht großer Banken oder Bankenverbände hinter sich. Deren Kundschaft bietet eine kritische Masse, um einen Netzwerkeffekt zu ermöglichen. Wero konnte ähnlich wie Zelle auf Konten von Vorgängerdiensten wie Payconiq in Belgien, Paylib in Frankreich und iDEAL in den Niederlanden zurückgreifen. Beide bieten zudem die direkte Anbindung an das Bankkonto. Eine eigene App hat Zelle nun sogar eingestellt, weil Nutzer:innen das Angebot vor allem über ihre eigenen Banking-Apps abrufen. Die Zelle-Konten werden mit einer Debitkarte von Visa oder Mastercard hinterlegt.
Dazu kommt eine schnelle Transaktionsdauer. Wero ist mit seiner Instant-Sepa-Übertragung in wenigen Sekunden sogar schneller als Zelles Automated-Clearing-House-Verfahren (ACH), das ein paar Minuten benötigt, um Zahlungen abzuwickeln. Nun fehlt Wero nur noch der Start im E-Commerce, der im Sommer kommen soll – dann wäre das Erfolgsrezept von Zelle komplett.
„Der Erfolg von Zelle kann eine Blaupause für Wero in Europa sein“, sagt Thomas Walkner von der Unternehmensberatung Capco. Doch warnt er davor, von den Zahlen der US-Firma automatisch auf einen Erfolg von Wero zu schließen.
Bei all der Euphorie, die das Beispiel von Zelle auslösen mag, zeige es auch, wie langsam sich das Zahlungsverhalten ändert. Seit seinem Start 2017 hat Zelle lange gebraucht, um Paypal bei den P2P-Zahlungen einzuholen. Wero ist dagegen erst vergangenes Jahr an den Start gegangen. Sollte der Zahlungsdienst so lange brauchen wie Zelle, würde es noch acht Jahre dauern, bis er Paypal bei Privatzahlungen ablöst, ganz zu schweigen vom Handel, wo Zelle seit 2020 Zahlungen abwickelt und immer noch hinter dem Konkurrenten liegt.
Betrugsrisiken und fehlende Profitabilität
Außerdem lief die Reise für Zelle nicht immer glatt. In den USA ist der Dienst für seine Anfälligkeit für Betrugsmaschen verschrien, da Zahlungen nicht einfach zurückgezogen werden können. Wenn Zahlungen über Phishing-Betrug über solche Dienste abgewickelt werden, könnte das für eine wahrgenommene und zugegebenermaßen nicht immer ganz begründete Unsicherheit bei Nutzer:innen sorgen: gerade auch weil es ein neuer Dienst ist.
Wero muss sich gegen solche Fälle gut wappnen und wird sie wahrscheinlich nicht ganz verhindern können: „Je mehr Menschen einen Zahlungsdienst nutzen, desto attraktiver werden solche Dienste für Betrügereien”, sagt Walkner. Damit kämpfe jeder große Anbieter. „Hier sind Banken gefragt, denn der Dienst hat meist nicht die notwendigen Informationen, um betrügerische Zahlungen zu erkennen.”
Und dann gibt es noch das Geldproblem: denn P2P allein ist nicht profitabel.
Und es gibt auch andere Konkurrenten, die darauf drängen, Paypal den Rang dort abzulaufen, gerade im E-Commerce. Der Checkout-Button an der virtuellen Kasse war einer der Gründe für den rasanten Aufstieg von Paypal. Der Dienst war einer der ersten, der sich auf einfache Weise auch für kleine Online-Shops als Zahlungsfunktion in einer Web-Anwendung einbetten ließ. Zwar wickelt Paypal heute lediglich etwa 30 Prozent des Zahlungsvolumens über diesen Weg ab, doch generiert es etwa 80 Prozent des Umsatzes, berichtet die FT.
In Europa ist der Markt umkämpft
Nun drängt neben dem schwedischen Anbieter Klarna vor allem Apple weiter auf Marktanteile. Apple Pay ist wegen des iPhones in einer technologisch vorteilhaften Position und kann sich den Konsumierenden dort als erste Wahl anbieten. Laut einer Studie des EHI Retail Institutes für 2023 liegt Paypal im E-Commerce in Deutschland mit fast 28 Prozent weiterhin auf dem ersten Platz, doch verlor der Dienst Anteile.
Das P2P nur der Anfang sein kann, weiß auch EPI-Chefin Martina Weimert, die diese Zahlungen lediglich als Einstieg für Konsumenten sieht, die Wero bald an der Online-Kasse auswählen sollen, wie sie im Interview mit Payment & Banking vor einigen Wochen verriet. Auch Zelle wird von kleinen Unternehmen genutzt, um Bargeld und Schecks zu ersetzen und nimmt damit Fahrt auf. Paypal war für viele Dienstleister und kleine Unternehmen auch in Deutschland wegen der hohen Gebühren keine Option. Wenn Wero hier Konkurrenzfähige Gebühren anbietet, ist die Marktstellung von Paypal nicht nur bei den P2P-Zahlungen angreifbar. Dass Wero seinen Dienst als Alternative zu Paypal, ApplePay sowie Visa und Mastercard zum Nulltarif anbieten wird, glaubt Walkner derweil nicht: „Das Ziel der Banken ist, mit Zahlungsverkehr wieder Geld zu verdienen.“