War of Wallets: Warum deutsche Banken kaum Erfolgschancen haben


Die Deutsche Kreditwirtschaft will mehr sein als nur Zahlungsabwickler im Hintergrund. Warum der erneute Angriff keine gute Idee ist und was die Banken stattdessen machen sollten, erklärt Gastautor Jochen Siegert. 

Beim diesjährigen Zahlungsverkehrssymposium der Bundesbank rief der äußerst selbstbewusste Federführer der DK (Deutschen Kreditwirtschaft) den „War of Wallets” aus. Diese martialische Sprache scheint getrieben von Hoffnungen im digitalen Zahlungsverkehr endlich wieder relevant werden zu wollen. 

Seit Jahren gibt es den unbedingten Wunsch, wieder im digitalen Zahlungsverkehr mitspielen zu können – statt nur austauschbarer Abwickler im Hintergrund zu sein. Doch kann das wirklich gelingen? Und falls nein: Was machen wir dann? 

Digitale Geldbörse: Das ist der aktuelle Stand

Fangen wir zunächst mit einem Blick auf den Status quo an. Da ist das Projekt Wero der European Payments Initiative (EPI). Dieses ist seit einigen Wochen in einer ersten Ausbaustufe am Markt, erreicht bisher aber nur einen Bruchteil und primär traditionelle Kunden, weil viele Direktbanken mit ihren vielen Millionen digitalaffinen Kunden nicht angebunden sind. 

Und dann ist da der digitale Euro. Er wird voraussichtlich zum Ende des Jahrzehnts im Euroraum auch als Wallet-App der Europäischen Zentralbank erwartet. Neben diesem Behördenprojekt gibt es im Kontext des anderen europäischen staatlichen eIDAS-Projekts offensichtlich auch eine Hoffnung über Ident-Wallets wieder eine Tür zum Zahlungsverkehr zu öffnen. 

Last but not least wurde, nach langem Lobby-Druck, die Öffnung der NFC-Schnittstelle für Dritte in Apple-Smartphones in Europa erreicht. Es darf also bei all den Möglichkeiten die Frage gestellt werden: Bestehen Chancen für Banken und Sparkassen, endlich wieder zurück ins Wallet-Spiel zu kommen? 

Wallets: Wie der War of Wallet 1.0 ausging 

Um herauszufinden, wie es um die drei Angreifer Wero, Digitaler Euro und App durch NFC-Öffnung bestellt ist, lohnt ein Blick auf den bisherigen „Track Record” – und in die Vergangenheit. 

Denn den „War of Wallets“ hatten wir schon einmal in Deutschland und diesen auch ausführlich hier bei Payment & Banking dokumentiert. Anfang der 2010er Jahre startete eine Flut von Walletverfahren für den eCommerce und das mobile Bezahlen. StartUps, IT-Dienstleister, Mobilfunkanbieter, Kartenorganisationen, Händler/Industrie und Banken/Sparkassen entwickelten einen ganzen Dschungel von über 35 neuen konkurrierenden, aber weitgehend identischen Verfahren. Diese waren selbstredend nicht untereinander interoperabel, obwohl der Paymentmarkt von starken doppelseitigen Netzwerkeffekten geprägt ist. Mir konnte damals keiner der Anbieter erklären, warum Händler und Kunden sich den Aufwand machen sollten, überhaupt die Vorteile des einen oder anderen Verfahrens zu evaluieren, gar registrieren oder integrieren, bevor die so vorhersehbare Konsolidierung eingesetzt hat. 

Die Chancen, kostenintensiv auf das falsche Pferd zu wetten, waren schlicht zu hoch, da es jeweils keine wirklichen Mehrwerte gegeben hat. Meist waren es eh nur schlechtere Kopien der führenden internationalen Verfahren. Insbesondere jene Anbieter mit großen Marken (Telcos, Kartenorganisationen, Banken) überschätzten sich massiv und rechneten fest damit, dass ihre starke Markenbekanntheit, verbunden mit ein paar profanen Marketingaktionen bei den Nutzern schon dafür sorgt, dass diese über die zum Teil gravierenden Produktdefizite und Akzeptanzprobleme hinwegschauen. Aus dem eigentlichen Start-Sprint zur Relevanz beim jeweils nächsten Weihnachtsgeschäft wurde in Interviews und auf Konferenzen mangels Traktion dann plötzlich ein Marathon ausgerufen, der nun zu absolvieren sei. Die Ziellinie wurde nie erreicht.

Wie das ausging? So: Bei den aktuellen hiesigen Payment-Wallet-Marktführern PayPal (primär online & P2P) und Apple/Google Pay (primär stationär) haben die vielen teuren und hier dokumentieren, gefloppten kreditwirtschaftlichen Versuche im digitalen Zahlungsverkehr Fuß zu fassen, nicht einmal kleinste Kratzer hinterlassen. Gleiches galt für diverse hiesige Ident-Wallets. Hier ist vor allem Verimi, das Ident-Großprojekt der Deutschland AG, primär durch Ankündigungen und Versprechungen im Superlativ aufgefallen, statt wirkliche Business-Traktion zu liefern. Auch Verimi Pay wurde wohl derart selten verwendet, dass man sich angeblich zur Täuschung der Bafin-Aufsicht gezwungen sah, durch Abwicklung künstlicher Transaktionen von eigenen Mitarbeitern, statt wirklichen Endkunden.  Naja. 

Das Problem der Kreditwirtschaft: Zu wenig Use-Cases

Die Probleme der hiesigen Anbieter fangen eigentlich schon beim Kundeninteresse an. Der Zahlungsverkehr ist beim Endkunden nämlich ein low-interest Finanzprodukt. Das zeigt sich, dass bis heute die meisten Kunden von ihrer „Ec-Karte” sprechen, obwohl das ec/eurocheque Logo der meistgenutzten hiesigen Zahlkarte seit einer Dekade schon durch „Girocard”, inklusive umfangreichen Kommunikationsmaßnahmen, abgelöst wurde. Mit Ausnahme von externen Einflüssen wie dem hygiene-bedingte Kontaktlos-Boom von Karten durch Corona, verändert sich das Zahlverhalten der Endkunden nur äußerst zäh und langsam. Die Präferenz des Kunden ist der Kauf- und nicht der Zahlprozess. Leider gibt es immer noch zu viele Paymentanbieter, die sich, ihre eigentliche Rolle und ihr B2B-Logo beim Kauf so gravierend überschätzen. 

Neue Verfahren kommen generell mit weniger Akzeptanz (national und international). Bei diesen neuen Verfahren fehlt die Akzeptanz meist vor allem bei den präferierten, häufig genutzten globalen Händlern und Digital-Plattformen, da diese erst einmal abwarten, ob sich ein Verfahren auch wirklich durchsetzt. Somit steht eine eher begrenzte Akzeptanz primär bei unbekannteren Nischen-Händlern einem enormen zusätzlichen Aufwand für den Endkunden gegenüber. Fehlende Mehrwerte und Tagesrelevanz trifft auf die enorme Komplexität der Neuinstallation einer App, Einlernen neuer Ablaufprozesse und mühsame, teilweise unnötig aufwändige Aktivierung und Hinterlegung von Konto/Karte. 

Hinzu kommt: Eine digitale Wallet muss heute längst mehr können, als nur „Payment.” Schaut man die global führenden digitalen “Brieftaschen-Apps” von Apple oder Google an, finden sich dort längst viel umfangreichere Use Cases als nur eine reine Zahlfunktion. Konzertkarten, Club/Lounge Zugangskarten, Reisetickets, Loyalty-Karten/Coupons, Fahrerlaubnis, KFZ-Schlüssel, Zugangsschlüssel fürs Büro/Hotelzimmer/Smarthome und vielen vieles mehr existieren heute schon, rein digital und auf globaler Ebene. Das macht es für regionale Banken nahezu unmöglich, in diesen finanzfernen globalen Use Cases noch hinterherzukommen. 

Das Problem der Behörden: keine Erfahrung bei Digitalprodukten

Nicht minder schwierige Voraussetzungen liegen bei Payment & Ident-Wallet-Lösungen vor, die von staatlichen Behörden ins Rennen gebracht werden. Viele kennen die ELSTER-Frontends der deutschen Steuerbehörden. Das Online-Formular zur verpflichtenden Meldung von längst vorliegenden Daten ans Finanzamt im Rahmen der Grundsteuer, hat etliche Immobilieneigentümer verzweifeln lassen. Am komplexen Prozess der BUND-ID als Ident-„Wallet” scheinen selbst sehr digital-affine Menschen zu scheitern, wie man regelmäßig im Social Media verfolgen darf

Wenn nun ausgerechnet Zentralbanken, als staatliche Behörden ohne jegliche Erfahrung bei der Entwicklung von Endkundenfrontends und Go-To-Market-Strategien, plötzlich im Kontext des digitalen Euro Projekts eben solche Frontends und -Apps entwickeln, fangen die erfahrenen User Experience-Experten im Silicon Valley bei Apple, Google, PayPal und Co bestimmt an zu zittern. Oder eben auch nicht. 

Das Problem der Apps: Keine Chance gegen globale Ökosysteme

Die jetzt von der EU erzwungene Öffnung der NFC-Schnittstelle am iPhone ist in Deutschland bereits vor 5 Jahren erfolgt. Meine damalige, leider bestätigte These gegen den frühen Jubel der kreditwirtschaftlichen Verbandslobbyisten war, dass sich mit der reinen NFC-Öffnung gar nichts ändert an den Marktanteilen und Nutzungswirklichkeit der Kunden. „Die eigentliche Stärke von Apple Pay liegt nicht in der Abschottung, sondern vielmehr an der eklatanten Produktschwäche von Wettbewerbslösungen”, schrieb ich damals. Daran hat sich auch fünf Jahre nach der Öffnung der NFC-Schnittstelle in Deutschland nichts verändert. Apple Pay ermöglicht bequeme Zahlungen, egal wo der Kunde ist und sich gerade bewegt. Übergreifend über sämtliche Endgeräte und immer dort, wo es gerade nötig ist. Stationär via Smartphone oder Wearable, in-App online und stationär und im klassischen eCommerce. Zahlungen in einer Form, die selbst PayPal bei Einfachheit und Geschwindigkeit altbacken aussehen lies und lässt. Man muss schon sehr naiv sein und weit weg von der Realität der eigenen Kunden und deren Produktnutzung argumentieren, wenn man glaubt, dass nur eine Öffnung einer technischen Schnittstelle am Smartphone eine Veränderung des Endkundenverhaltens herbeiführt. Nur wenn ein mindestens ebenbürtiges, bequemes Payment-Angebot unterbreitet wird, hat man überhaupt eine Chance langsam die Präferenz und das Nutzungsverhalten zu ändern.

Die Chance: Das sollten Banken und Fintechs jetzt machen

Wie ist es dennoch möglich, mit den globalen Wallets mitzuspielen, statt komplett marginalisiert zu werden?  Eine allererste, wichtige Erkenntnis sollte sein, dass man nur die Schlachten kämpfen sollte, die man auch realistisch gewinnen kann. Die Ausgangsvoraussetzungen und Investments in ein wirklich wettbewerbsfähiges, eigenständiges Wallet-Verfahren als regionaler Anbieter gegen die globalen Ökosystem-Dotcoms mit ihren starken Netzwerkeffekten sind extrem hoch. Das belegen uns die vielen teuren, gescheiterten Verfahren von Handel, Telcos und Banken in der Vergangenheit. Besser sollte man sich auf seine Kernkompetenzen fokussieren:

Statt Konfrontation scheint eine enge Kooperation, Integration und Wachstum gemeinsam mit den global führenden Wallet-Ökosystemen viel erfolgversprechender. Die gelungene Integration der Girocard in Apple Pay und damit steigende Transaktionsvolumen ist ein gutes Beispiel dafür. Nur darf es dabei nicht enden, sondern über APIs die komplette Bandbreite der eigenen Finanzprodukte noch viel granularer und enger als elementarer Bestandteil der Wallets etablieren. Was ist wirtschaftlich interessanter für ein Kreditinstitut? Viele Transaktionen und Erträge der Zahlmethode in einer globalen Wallet, oder nur spärliche Transaktionen in einer rein subventionierten konkurrierenden Wallet, das den Kunden nicht überzeugt?

Über Widgets wie letzte Kontobewegungen/Kontostand sind zusätzliche Interaktionen mit dem Kunden im Ökosystem der digitalen Endgeräte möglich, unabhängig von der Anwendung. So hätte der Anwender dort einen schnellen Überblick über den verfügbaren Kreditrahmen der Kreditkarte, den Kontostand hinter der Debitkarte, oder einen genehmigten Kreditrahmen für einen zusätzlichen Ratenkredit. Damit verwandelt sich das bisherige komplett passive Banklogo auf einer virtuellen Karte in der virtuellen Brieftaschen-App proaktiv in ein dynamisches Finanzprodukt im Dienst des Kunden mit enger Produktintegration in die Banking-App. Das hilft auch zur Differenzierung gegenüber anderen Banken/Konten/Karten, mit denen man ja eigentlich im Wettbewerb steht. Ziel sollte sein, mit dem eigenen Produkt beim Kunden „Top-of-wallet” zu bleiben. 

Neue entwickelte Zahlungslösungen wie Wero, aber auch der digitale Euro, sollten aggressiv Interoperabilität und Integration mit Apple/Google Pay, PayPal, EMPSA & Co anstreben wie heute schon Kredit-, Debit-, Privatelabel-Karten, nationale Debit-Schemes und BNPL-Lösungen. Statt irgendwelche Kriege auszurufen, sollten Kunden und deren Lebens- und Zahlungswirklichkeit im Zentrum stehen. Das heißt, ein Zahlverfahren muss dort sein, wo Kunden kaufen und zahlen. Eine Bevormundungspolitik wird im Zahlungsverkehr nicht funktionieren, selbst in China scheitert diese bisher beim digitalen Yuan-Projekt.

Das Fazit: Es geht nicht um Krieg, sondern kluge Integration

Im Rheinland wird regelmäßig der §3 des Kölschen Grundgesetzes zitiert:  „Et hätt noch immer jot jejange”. Darauf verlassen sich die Protagonisten offensichtlich zu stark, statt über den Schatten der Vergangenheit zu springen. Dumm nur, dass es genau in dem Segment des digitalen Zahlungsverkehrs in den letzten 25 Jahren aus Sicht der Kreditwirtschaft nie wirklich gut ausging, wie hier und hier ausführlich dokumentiert. Daher wandert, angesichts des Verhaltens auch in diesem Jahr, der Blick auf den direkt nachfolgenden Paragraph §4 des Kölschen Grundgesetzes: „Wat fott es es fott” -„Fott” gilt für die multiplen komplett abgeschriebenen Investments in gescheiterte Paymentprojekte, dafür verbrauchte Marketinggelder und vor allem verpasste Opportunitäten. Gut aber, dass es auch §8 gibt: Maach et joot, ävver nit zo off. Oder wie ich sage: Lieber mal ein kompetitives Produkt entwickeln, statt immer wieder neue Angriffe ausrufen. Das wäre endlich mal was. 

Autor

  • Jochen Siegert ist Co-Founder von Payment & Banking, Unternehmer, Investor und erfahrener Experte für digitale Transformation. Er schaut zurück auf knapp 25 Jahre Erfahrung in Einführung und Management von Innovationen / digitalen Finanzprodukten. Jochen begleitete senior Führungspositionen bei globalen Paymentanbietern, Fintechs und Banken.

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