Obwohl Barrierefreiheit kein neues Thema mehr ist, scheinen die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen im Bankensektor oft übersehen zu werden – von stufenlosen Zugängen bis hin zu Apps, die für alle nutzbar sind, ist vieles noch Zukunftsmusik.
Viele Finanzinstitute werben mit Diversity-Initiativen, denn bei ihnen ginge es nur um Leistung, alle hätten die gleichen Chancen und so weiter. Alle? Also, naja, außer Frauen, neurodivergente Menschen, Schwarze Menschen, …. Denn hinter der Fassade zeigen sich systemische Probleme. Ob bei Kreditvergaben, im Bewerbungsprozess oder in der Produktgestaltung: Es gibt nachweisbar rassistische Ausschlüsse.
So wurde etwa bekannt, dass die Commerzbank einem syrischen Geflüchteten und seiner deutschen Frau 2019 die Eröffnung eines gemeinsamen Kontos verweigerte, sobald sie von seiner Herkunft erfuhr.Trotz klarer Identität des Mannes (amtlicher Flüchtlingspass) wurden seine Dokumente nicht einmal geprüft. Die KYC-Prozesse (Know Your Customer) sind oft auf deutsche Standardbiografien zugeschnitten. Beispielsweise machte das Postident-Verfahren lange den Geburtsort zur Pflichtangabe, ein Feld, das in ausländischen Pässen oder deutschen Flüchtlingsausweisen fehlt. Die Folge: Vielen Menschen wurde jahrelang die Online-Kontoeröffnung verwehrt. Bereits 2014 gab es Hunderte Beschwerden zu diesem Problem, ohne dass Gesetzgeber oder Branche zeitnah gegensteuerten.
Derartige Fälle sind keine Ausnahmen, im Gegenteil dokumentieren Medien und Beratungsstellen etliche Beispiele: von Banken und Sparkassen, die Geflüchteten die Kontoeröffnung auf grund angeblich fehlender Sprachkenntnisse (selbst bei Anwesenheit einer Dolmetscherin!) verwehren, erschweren, bis hin zu Banken, die bei ausländischen Pässen strengere Anforderungen stellen. Eine Auswertung der Antidiskriminierungsstelle ergab 612 gemeldete Diskriminierungsfälle (2021–2023) allein im Bereich Zugang zu Bankdienstleistungen; über die Hälfte davon betraf rassistische Diskriminierung oder ethnische Herkunft. Einige Banken stellten zusätzliche Hürden auf, etwa bei der Kreditkarten- oder Depot-Eröffnung, indem sie die Anerkennung ausländischer Ausweisdokumente verweigerten. Dies kann zur absurden Konsequenz führen, dass Kund*innen trotz guter Bonität abgewiesen werden, nur weil ihr Geburtsort nicht im System vorgesehen ist. Laut Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) alles verboten übrigens.
Diversität in Führungspositionen? Naja, also außer für Frauen, … In Deutschlands Bankentürmen sucht man People of Color (PoC) in hochrangigen Positionen meist vergeblich. Eine Anekdote für das Selbstverständnis dieser Bubble: Auf die Frage eines PoC-Angestellten, ob nicht-weiße Mitarbeitende Chancen auf Vorstandspositionen hätten, entgegnete ein C-Level lapidar, es gehe nicht um Hautfarbe „Schwarze Menschen könnten ja auch Deutsche sein und hätten dann kein Rassismus-Problem“. Diversität, außerhalb von den viel zitierten leeren Phrasen wie „hier arbeiten 42 Nationen” und „unser Frauenanteil liegt bei 30 Prozent”, bleibt ein Randthema.
Nein, wir sind angeblich schon viel weiter? Naja, Daten untermauern den Eindruck: In Großbritannien liegt zwar der BAME-Anteil (Black, Asian, Minority Ethnic) in Fintech-Unternehmen bei 20 Prozent, mehr als im traditionellen Banking. Doch der Anteil SSchwarzer Beschäftigter beträgt nur gut 3 Prozent. Je höher wir die flachen Hierarchien nach oben klimmen, desto weißer wird es: in UK sind z.B. 90 Prozent der Fintech-Mitarbeitenden mit mehr als 15 Jahren Erfahrung weiß. Für Deutschland fehlen solche Aufschlüsselungen, doch dass kaum Schwarze im Top-Management vertreten sind, lässt sich unschwer beobachten. Fünf Minuten auf den „Unser Vorstand”-Tabs der Webseiten zeichnen ein deutliches Bild. Und das hat Auswirkungen.
Erfahrungen Schwarzer Mitarbeiter*innen: Alltag zwischen Mikroaggressionen und Barrieren
Schwarze Beschäftigte und Menschen mit Migrationshintergrund berichten von einem Berufsalltag, der von Mikroaggressionen bis hin zu offener Benachteiligung geprägt sein kann. In einer groß angelegten Befragung, dem Afrozensus, gaben 84,7 Prozent der Teilnehmenden an, im Arbeitsleben Diskriminierung erlebt zu haben. Neun von zehn fühlen sich nicht ernst genommen, wenn sie Rassismus ansprechen; stattdessen wird ihnen gesagt, sie seien „zu empfindlich“. Diese Zahlen sind alarmierend hoch und decken sich mit vielen Einzelberichten. So zeigte eine Umfrage der Antidiskriminierungsstelle, dass über die Hälfte aller Beschwerden aus dem Finanzsektor sich auf ethnische Herkunft oder rassistische Diskriminierung beziehen. Konkret schilderten Beschäftigte etwa, sie würden bei internen Beförderungen übergangen und blieben trotz gleicher Qualifikation in niedrigeren Rollen hängen, ein Phänomen struktureller Art. Eine häufiges Phänomen in allen Branchen: der Thomas-Kreislauf. Befördert wird, wer dem bestehenden Management ähnelt. Frauen, migrantisierte Menschen, Schwarze und andere marginalisierte Gruppen stoßen sich an unsichtbaren Decken den Kopf und haben es deutlich schwerer, in Führungspositionen aufzusteigen.
Hinzu kommen mehr oder weniger subtile Ausgrenzungen im Alltag: „Alltagsrassismus“ äußert sich zum Beispiel in abfälligen Kommentaren, zweifelhaften „Komplimenten“ oder dem berüchtigten Haare-Anfassen, 90,4 Prozent der Schwarzen Befragten im Afrozensus berichteten, dass fremde Leute ungefragt ihre Haare anfassen. Solche „Othering-Erfahrungen“ sind demütigend und summieren sich zu einem Klima, in dem Betroffene ständig ihre Zugehörigkeit rechtfertigen müssen. Schwarze Mitarbeitende in Finanzinstituten schildern zudem oft einen Mangel an Rückhalt: Firmeninterne DEI-Netzwerke (Diversity, Equity & Inclusion) existieren zwar, doch haben sie nicht den Einfluss oder den Auftrag, Unternehmenskultur inklusiv zu gestalten. Reflexartig scheint die Angst aufzutreten, etwas würde einem weggenommen, wenn wir mehr auf ein gutes und faires Miteinander achten, dabei haben viele Betroffene einfach nur den Wunsch nach Chancengerechtigkeit, einem Ende der Mikroaggressionen und ein Mindestmaß an Respekt und Sicherheit am Arbeitsplatz. Doch in zu vielen Häusern bleibt dies Wunschdenken, insbesondere wenn diejenigen, die Veränderungen bewirken könnten, wegschauen oder selbst Teil des Problems sind. Kleine Anekdote gefällig? Sehr gerne, 2024 in einer Sparkasse: „Frauen mit Kopftuch, also sowas wollen wir hier nicht.”
Rassismus im Kund*innengeschäft: Wenn Banking nicht für alle zugänglich ist
Ein weiteres Problem: Automatisierte Prüfungen und Bias in Algorithmen. Fintechs setzen zunehmend auf KI-Modelle bei Bonitätsprüfungen, Fraud-Detection oder Kunden-Screenings. Ohne bewusste Kontrollen laufen solche Systeme Gefahr, bestehende Vorurteile zu zementieren. Studien aus den USA zeigen, dass selbst vermeintlich objektive Fintech-Algorithmen Minderheiten benachteiligen können: dort zahlten zum Beispiel Afroamerikaner bei digitalen Krediten im Schnitt höhere Zinsen als weiße Kreditnehmer mit identischer Bonität. Europäische Banken sollten nicht glauben, vor solchen Effekten gefeit zu sein. Wenn Trainingsdaten oder Scoring-Faktoren soziale Ungleichheiten widerspiegeln (zum Beispiel Wohngebiete, die historisch benachteiligt sind), entsteht Diskriminierung. Schwarze Kund*innen berichten auch von misstrauischer Behandlung im Service, etwa überzogenen Identitätsprüfungen oder unangemessenen Bemerkungen am Schalter. Zwar fehlen hierzu umfassende Studien in Europa, doch der Afrozensus zeigt generell: Geschäfte und Dienstleistungen bilden einen Bereich, in dem Rassismus zum Alltag vieler gehört. Wenn beinahe 97 Prozent der Schwarzen Menschen in Deutschland angeben, in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung erlebt zu haben, dürfen Banken sehr genau hinschauen.
Zahlen lügen nicht: Rassismus als Status Quo
Belastbare Daten zeichnen ein klares Bild. Die EU-Grundrechteagentur (FRA) führt regelmäßig Erhebungen unter Minderheiten durch. Ihr neuester Bericht “Being Black in the EU” (2023) offenbart einen deutlichen Anstieg rassistischer Diskriminierung in Europa. EU-weit berichteten 34 Prozent der Befragten afrikanischer Herkunft, allein im vergangenen Jahr rassistisch benachteiligt worden zu sein, vor sechs Jahren lag dieser Wert noch bei 24 Prozent. Besonders dramatisch schneidet Deutschland ab: Hier fühlten sich zuletzt 64 Prozent der Schwarzen Befragten innerhalb von zwölf Monaten diskriminiert. Über einen Fünf-Jahres-Zeitraum betrachtet, gaben sogar über 70 Prozent in Deutschland und Österreich an, Rassismus erfahren zu haben. Deutschland ist damit trauriger Spitzenreiter in Europa, eine Entwicklung, die sich im Vergleich zur letzten FRA-Studie nahezu verdoppelt hat.
Auch nationale Stellen bestätigen den Handlungsbedarf. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verzeichnete 2022 über 8.800 Beratungsanfragen, wovon 43 Prozent rassistische Diskriminierung betrafen. Damit ist „Race/Herkunft“ das häufigste Diskriminierungsmerkmal in den Meldungen. Besonders bemerkenswert: Selbst dort, wo das AGG gar nicht greift (weil „nur“ nach Staatsangehörigkeit differenziert wird), registrierte die Stelle zahlreiche Beschwerden. So wurden im aktuellen Zeitraum 1.821 Fälle gemeldet, in denen etwa Bank- oder Postdienstleistungen bestimmten Nationalitäten verweigert wurden. Die Zahlen verdeutlichen: Rassismus ist kein Randphänomen, sondern ganz tief in den Strukturen verankert: im Arbeitsleben, im Kundenkontakt und im gesamten Finanzökosystem.
Ein Blick in die Tech-Branche der USA dient als mahnendes Beispiel: Selbst beim Vorzeige-Unternehmen Google kam es zu systematischer Benachteiligung Schwarzer Mitarbeiter*innen. Über 4.000 Black Googler klagten, sie würden in schlechter bezahlte Positionen abgedrängt, bei Beförderungen übergangen und als „nicht Googley genug“ abgewertet. Das Unternehmen einigte sich 2023 auf einen Vergleich in Höhe von 50 Millionen US-Dollar, ohne allerdings ein Fehlverhalten einzugestehen. Die interne Statistik spricht Bände: Nur 4,4 Prozent der Google-Belegschaft sind Schwarz, im Management sogar nur 3 Prozent. Solche Zahlen unterscheiden sich kaum von denen großer US-Banken oder Fintechs. Auch dort sind People of Color krass unterrepräsentiert und sehen sich mit einem „Glass Ceiling“ konfrontiert.Fazit: Rassismuskritik und Diversitätsförderung dürfen im Bankensektor keine Feigenblätter bleiben. Die Branche steht an einem Scheideweg: Entweder sie schafft es, ihre jahrzehntealten, oft unbewussten Ausschlussmechanismen aufzubrechen – oder sie läuft Gefahr, den Anschluss an eine vielfältigere Kundschaft und Arbeitswelt zu verlieren.