Die Blockchain-Branche könnte in den kommenden Jahren zur Milliarden-Industrie werden. Noch könnte auch Deutschland davon profitieren. Doch die Szene schlägt Alarm.
von Lars-Thorben Niggehoff
Deutschland sucht den Zukunftsmarkt: Im Wahljahr 2024 ist das Land geprägt von der tiefsten Strukturkrise seit 20 Jahren, die alten Eckpfeiler der deutschen Wirtschaft, etwa die Autoindustrie, haben reichlich Probleme. Wie hilfreich wäre es da, würde sich hierzulande eine neue Branche ansiedeln, zukunftsgerichtet und milliardenschwer, am Besten auch ein bisschen digital, das fehlt schließlich bis dato.
Nun hat Deutschland bisher alle Revolutionen der Digitalindustrie konsequent verschlafen. Web 1.0, Web 2.0: Die Wertschöpfung findet woanders statt, zumeist in den USA. Mit dem Web 3.0 soll das nun anders laufen. Web 3.0, das soll das Zusammenspiel von Blockchain-Technologien und Künstlicher Intelligenz (KI) sein, es verspricht Dezentralisierung, Datenautonomie des Einzelnen und eine sichere und transparente Plattform, auf der noch mehr Wirtschaftsprozesse als bisher digital stattfinden. Glaubt man Experten, lässt sich hier richtig viel Geld verdienen, laut Prognosen fünf [LN1] Milliarden Euro oder mehr Marktgröße pro Jahr sind bereits 2030 möglich.
Allein: Wirkliches Interesse weckt das Thema im Wahlkampf bisher nicht. Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) warf mal die Idee einer Bitcoin-Reserve für Deutschland in den Raum, aber zum Einen löste das vor allem Belustigung aus, zum anderen hat es mit dem prognostizierten Potenzial der Web-3-Technologien recht wenig zu tun. Was es bräuchte, damit Deutschland hier einen Teil vom Kuchen abbekommt, das haben der Krypto-VC Greenfield Capital und der Blockchain-Dienstleister Areta in einem gemeinsamen Strategiepapier ausgearbeitet.
Bafin sollte Standort fördern
Was die vor allem braucht, kann Christian Zimmermann erklären, Partner und Chefjurist bei Greenfield. Und wie so oft beginnt eine Frage rund um den Finanzplatz bei der Finanzaufsicht Bafin. „Im Gegensatz zu anderen Aufsichtsorganen wie etwa der französischen AMF ist die Förderung des Finanzplatzes Deutschland nicht Teil des Auftrags der Bafin“, beklagt er. Entsprechend gebe es bei der Finanzaufsicht auch kein Bestreben, Blockchain-Start-ups die Gründung und Expansion hierzulande leichter zu machen. Das aber sei für den Erfolg bitter nötig. Ähnliche Forderungen kamen in der Vergangenheit auch von Vertretern des Fintech-Sektors.
Weitere Punkte, die Web 3.0 in Deutschland fördern könnten: Klare Datenschutzvorgaben für Blockchain-Anwendungen, eine bessere steuerliche Behandlung von Token-Finanzierungen (ähnlich wie bei IPOs) und öffentliche Förderung, etwa durch die KfW. „Das könnte auch an die Bedingung geknüpft sein, dass Fördergeld für VCs etwa in doppelter Höhe in deutsche Start-ups fließt“, so Zimmermann.
„Es ist eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts“, sagt Zimmermann: „Viele andere Nationen haben das auch verstanden.“ Die USA unter dem selbsternannten Krypto-Präsidenten Donald Trump, Singapur, die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch europäische Länder wie Frankreich und Portugal haben Strategien aufgesetzt, um Web3-Start-ups anzulocken.
MiCAR-Regelung als Vorteil gegenüber den USA
Und Deutschland? Tut nach Meinung des Experten zu wenig. Dabei gibt es sogar bereits seit 2019 eine Blockchain-Strategie der Bundesregierung, noch beschlossen von der letzten Großen Koalition aus SPD und Union. Allerdings hat die Ampel-Regierung das Thema weitgehend liegengelassen, viel passiert ist seit 2019 nicht, auch wenn viele der Forderungen der Branche sich bereits in dem Strategiepapier finden.
Ob die Strategie nochmal wiederbelebt wird, ist fraglich. In den Wahlprogrammen findet sich wenig zu dem Thema. Die europäische Ebene ist zwar mit der MiCAR-Regulierung in Vorleistung getreten, weitere Vorhaben in diese Richtung sind aber gerade nicht geplant. Letztendlich sei die europäische Regelung zwar ein Standortvorteil, aber im Kampf um Unternehmen und Arbeitsplätze müsse Deutschland für sich selbst einstehen, meint Zimmermann.