Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix? Von wegen! Die 90er Jahre waren nicht nur das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, sondern auch geprägt von historischen Ereignissen wie das Ende des Kalten Krieges oder der Wiedervereinigung. Gesellschaftlich gab es große technologische Schübe, manche davon eigenartig, fast unheimlich. Die 90er waren das Jahrzehnt des Mobiltelefons, des Personal Computer und des Internets.
Sieht man von Dingen wie dem Tamagotchi mal ab, wurden in den 90ern wichtige Grundlagen für die heutige Digitalisierung gelegt. Das Whatsapp der 90er hieß ICQ, man nutzte nicht Chrome, sondern den Netscape Communicator und Musik hörte man nicht mit Spotify sondern mit Winamp. Filme wurden, wenn überhaupt, als DVD, SVCD oder DivX geschaut, denn Netflix gab es nicht.
Die Smartphones der 90er waren Handhelds wie der Palm Pilot oder Compaq Ipaq. Telefoniert wurde mit Handys. Die kamen von Nokia, Siemens, Sony Ericsson oder Motorola. Ins Internet kam man mit einem seinem Windows 95 PC und mit der AOL-CD (Bin ich schon drin oder was?) oder wenn man Glück hatte und wusste wie es geht über die DFÜ-Verbindung von Windows (TCPIP-Protokoll musste erst noch aktiviert werden).
Schaut man sich die TV-Werbung von damals an, waren die 90er für die Payment- und Banking-Branche ein Jahrzehnt der großen Worte:
Vertrauen ist der Anfang von allem, davon war die Deutsche Bank in den 90ern überzeugt. Und die Sparkasse, dass es mehr als um ein Auto, ein Boot und ein Haus ging. Visa ging noch weiter, denn um nichts geringeres als die Freiheit sollte es gehen. Die BHW hingegen dachte das Schönste auf der Welt sind die eigenen vier Wände während die Postbank die Filiale auf die Größe von Briefkästen schrumpfte. Die Commerzbank glaubte der richtige Partner zu sein, wenn die Kinder alt genug sind eigene Entscheidungen zu treffen. Und die Volksbank, die machte den Weg frei. Wer Geld anlegen wollte vertraute auf die Empfehlung von Manfred Krug und setzte auf die T-Aktie.
Payment der 90er – so haben wir bezahlt
Die 90er waren auch geprägt von den ersten Gehversuchen digitaler Zahlverfahren. Gerade einmal 2 Milliarden “unbare” Transaktionen gab es 1997. Heute sind es zehnmal so viele. Bezahlt wurde im Einzelhandel vor allem Bar oder selten mit der Eurocheck-Karte (ec-Karte). Die “EC Karte” war am Euroschecksystem angeschlossen, was den Namen der Karte bis heute prägt.
Heute heißt die Karte zwar Girocard, aber das Gros der Bevölkerung hat den alten Namen nie so wirklich abgelegt. Der Eurocheck war Mitte der 90er zwar auch kein Zahlverfahren, welcher ständig zum Einsatz kam, aber durchaus gebräuchlich. 400 Millionen Transaktionen mit Eurochecks wurden im Schnitt pro Jahr ausgeführt, bis der Eurocheck dann sukzessive auslief. Beworben wurden barlose Bezahlverfahren natürlich trotzdem.
Visa wusste schon in den 90ern, das die Kreditkarte selbst im Badeanzug Platz findet und setzte auf die Freiheit beim Bezahlen. Und mit der Eurocard von Mastercard konnte man sich alle Wünsche erfüllen. Nur ein Jahr nach dem Start von PayPal im Jahr 1998 startete 1999 die Telekom mit Clickandbuy ein eigenes Online-Bezahlvefahren um es 2016 entgültig einzustellen.
Der Zahlungsverkehr war schon in den 90ern eine Spielwiese und man probierte einiges aus. So wurde 1996 von Visa, Mastercard, IBM, Microsoft und Netscape mit SET (Secure Electronic Transaction) ein Verfahren für sicheres Bezahlen im Internet entwickelt, welches es nur zu einigen Pilotprojekten und vielen Whitepapers schaffte. Mit Paybox startete Anfang 2000 der erste Versuch, mobiles Bezahlen in Deutschland zu etablieren. Bezahlen konnte man mit Paybox online (aber auch Offline z.B. Taxi) mit dem Handy und der SMS. In Deutschland kam Paybox nie zum Fliegen, sehr wohl aber in z.B. Österreich. Dort gibt es Paybox noch heute um beispielsweise Parkgebühren zu bezahlen.
Banking unter Windows 95 und Co.
In den Anfängen des Internets waren die Banken Vorreiter. Keine Pointe. Sie setzten als erste auf den Mitte der 80er Jahre eingeführten interaktiven Onlinedienst BTX und boten schon damals die gleichen Dienste an wie wir sie heute vom Online-Banking kennen. Verglichen mit den Entwicklungen und Anforderungen wie wir sie heute kennen (z.B. SCA) war das Banking im BTX zwar weniger farbenfroh, aber einfach in der Nutzung. Bis ins Jahr 2007 hielt sich BTX bis er dann entgültig eingestellt wurde.
„In den frühen Online-Zeiten waren die Banken Vorreiter. Das damalige Banking war weniger farbenfroh als heute. Aber einfach in der Nutzung.“
Während BTX und das Internet vor allem etwas für die Nerds (damals Computerfreaks) war, erfreute sich das Telefonbanking großer Beliebtheit. Telefon-Banking der 90er war so etwas wie heute die Sprachassistenten Alexa, Siri und Co. Nur waren die eben sehr doof und Banking über das Telefon sehr anstrengend. Das von dem Karlsruher Unternehmen “fun communications” realisierte MobileBanking mit Handy auf Basis von SMS und WAP, setzte sich hingegen nie durch. Schlußendlich setzte sich Online-Banking fernab von BTX und WAP am Ende durch. Auf Basis von HBCI (Homebanking Computer Interface, heute FinTS) kamen ab Mitte der 90er Jahre unzählige PFM (Personal Finance Management) Programme wie z.B. Quicken oder WISO Mein Geld auf den Markt bis dann immer mehr Banken eigene, browserbasierte Lösungen anboten.
Zusammenfassung
Die 90er waren ein Jahrzehnt bemerkenswerter Entwicklungen. Blümchen quälte uns mit Herz an Herz, das Privatfernsehen sendete Shows wie Tutti Frutti oder der Preis ist heiß, im Kino lief Titanic und ohne die Data Becker Weihnachtsdruckerei wäre manches Weihnachtsfest zum Desaster geworden. In der Digitalisierung wurden wichtige Grundsteine gelegt und mit Windows 95 und erschwinglichen PCs wurden Computersysteme massentauglich. Handys lösten Pager wie Scall ab und die EC-Karte (heute Girocard) etablierte sich neben dem Bargeld. Heute schauen wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die 90er. So schräg manches vielleicht war: ohne Entwicklungen wie die Online-Banking Software der 90er wären zumindest André M. Bajorat und ich niemals in die Payment & Banking-Branche gekommen. Und ja, Stranger Things spielen in den 80ern, aber die Überschrift passte so gut.