Vor lauter BAT vergisst man gerne, dass es in China ja durchaus mehr geben muss als nur die 3 Riesen und wo könnte man besser einen Einblick in das FinTech Ökosystem bekommen als auf der selbst deklarierten FinTech Konferenz Money20/20 und ihrer ersten chinesischen Ausgabe.
Auf der Money20/20 Asia bekam man bei den ersten Gesprächen mit chinesischen FinTechs mit, dass das “normale” chinesische FinTech alles andere als “normal” im westlichen / europäischen Sinne ist – sei es aufgrund der schier unfassbaren Zahlen die als Transaktionsvolumen kommuniziert wurden oder das nahezu märchenhafte Funding was etliche dieser Firmen vorzuweisen hatten. Nun also die Möglichkeit diesen Eindruck vor Ort zu verproben.
Warum sind wir eigentlich in Hangzhou?
Den meisten Europäern dürfte diese Stadt nicht unbedingt ein Begriff sein (oder ich tue der Stadt unheimlich viel Unrecht). Aber Hangzhou ist wichtig – zumindest für FinTech. Zunächst einmal ist es die Geburtsstadt von Jack Ma und damit natürlich per se super toll. Scherz beiseite Hangzhou wurde von vielen Gesprächspartner als Alibaba’s Hinterhof oder Versuchslabor bezeichnet. Ein Vertreter des holländischen Handelsblattes sprach von Milliarden (kein Vertipper!) die Alibaba in die Stadt investiert hat um aus ebendieser einen FinTech Hub zu machen. Das Ganze wird dann natürlich noch durch die Lokal-Regierung großzügig unterstützt. Daher überrascht es nicht, dass eine Mehrzahl der FinTechs auf der Money20/20 China aus der Region waren.
The elephant(s) in the room
Es gab ein paar Auffälligkeiten bei jedem Gespräch mit jedem FinTech. Erstens es dauert keine 3 Sätze bis entweder der Name Alibaba (oder Ant Financial) oder Tencent fällt. Ein signifikanter Teil der FinTech Gründer haben bereits eine erste Karriere in einem der beiden Firmen hinter sich. Alle FinTechs meiden es wie der Teufel das Weihwasser auch nur ansatzweise den Eindruck zu erwecken, dass sie jemals auch nur drüber nachdenken würden in Konkurrenz zu den beiden zu treten. Vielmehr kommt mehrfach eine Aussage á la:
“der chinesische Markt ist sooo groß uns reichen die Krümel wir brauchen kein Stück vom Kuchen”.
Disruption ist anders. Auch bei der Investoren-Basis erkennt man 2 Trends – entweder die FinTechs haben Alibaba oder Tencent als Shareholder oder sie wurden von den traditionellen Banken finanziert. Direkte Kritik an den beiden Firmen äußert kaum jemand, aber in den Gesprächen scheut man sich nicht Kritik zu äußern. Von Arroganz und Überheblichkeit ist da die Rede und dass die beiden Riesen sich aussuchen könnten mit wem sie Geschäfte machen würden und dann ist da die ganz offen kommunizierte Nähe der beiden Firmen zur Regierung. Trotz dieser (Omni) Präsenz in allen Gesprächen war es etwas verwunderlich, dass es auf der Konferenz genau einen Vortrag von Alibaba und einen Vortrag von Tencent gab, keine Paneldiskussion, kein Stand – nichts. Das Verhalten erinnert ein wenig an das Gehabe von guten alten Monopolisten im Europa der 90er Jahre.
China’s FinTechs
Der Eindruck aus Singapur von der diesjährigen Money20/20 Asia bestätigte sich in allen Gesprächen. Das “typische” chinesische FinTech hat die folgenden Eigenschaften:
- enormes Transaktionsvolumen / Kundenzahl
- gigantisches Funding
- innerhalb kürzester Zeit profitabel
- gefunded durch entweder BAT oder traditionelle Banken
- haben z.T. Geschäftsmodelle hinzugenommen, weil der Regulator / Regierung sie dazu aufgefordert hat
- Geschäftsmodell basiert auf big data insights / Modellen / Algorithmen
- >50% der Mitarbeiter sind Tech / Data
- Großteil der Gründer sind BAT-Alumni
Einige der Punkte dürften wenig überraschend sein, andere muss man vielleicht ein wenig erklären.
Wenn wir über China sprechen, dann reden wir in Europa immer und obzessiv über die Datensammel-Wut und den absoluten Verlust der Privatsphäre für den Endkunden. Man gewinnt immer den Eindruck, dass man Europa diese Data-plays genauso gut könnte wie die Amerikaner oder die Chinesen aber man hat ja nicht die Daten. Als ob das ausreichend wäre. In einem interessanten Vortrag von Professor X von der Tsinghua Universität meinte dieser “wir haben zu viele Daten die kaum eine Relevanz haben”.
In dieser Daten Diskussion – mit einer gewissen Arroganz seitens der europäischen Langnasen – wird aber wenig bis gar nicht auf die massiv einsetzende Regulierung seitens des Regulators / Regierung hingewiesen. Seit 2017 ist die Datensammlung ohne das Einverständnis des Endnutzers zum Beispiel untersagt. Dies führte zum Verschwinden etlicher Firmen (und sah wohl auch den ein oder anderer Gründer ins Gefängnis umziehen) – nicht unbedingt weil diese Ihr Tun nicht in Nutzungsbedingungen verstecken konnten. Dieses Vorgehensmodell des Regulators findet man immer wieder. Einer der Gründer sprach sogar davon, dass er sich vorstellen könnte dass China bald auch eine DSGVO haben könnte – allerdings ohne dabei gleichzeitig jegliche Innovation abzuwürgen. Eine weitere Initiative des Regulators kümmert sich um die Weitergabe von Daten an Dritte. War es bisher möglich jegliche Daten in jeglicher Granularität an Dritte weiterzugeben, schreibt die Regulierung nunmehr vor, dass Daten nur noch so abstrahiert weitergegeben werden dürfen, dass ein Rückschluss auf einzelne Personen nicht mehr möglich ist. Gleichzeitig “zwang” der Regulator die BATs dazu ihre Daten in gleicher Weise ebenfalls Drittenzur Verfügung zu stellen! Kein Wunder, dass “open banking /open platform” ein weiterer Mega-Trend auf der Konferenz war.
Wie materialisiert sich das Ganze jetzt in “echten” Startups?
ZRobot
ZRobot wurde im November 2016 als Joint Venture von JD Finance und ZestFinance gegründet und bietet Kreditinstituten und Unternehmen Credit Scores und Credit Models an. Allerdings hat ZRobot nicht nur eine B2B Seite sondern auch mit einem Robo-Advisory Produkt auch eine B2C Seite.
Ebenfalls typisch sind die faszinierenden Geschäftszahlen. ZRobot war bereits Ende 2017 profitabel und macht einen Umsatz von 65m RMB und einen Gewinn von 10m RMB. In Ihrem B2C Produkt hat das Unternehmen 2018 60m neue Kunden gewonnen und wird damit Ende des Jahres auf insgesamt 120m Endnutzer kommen. Der offensichtliche Vorteil von ZRobot ist natürlich der “Investor” JD. Dieser gewährt ZRobot Zugriff auf alle 400m Endkunden Daten für das Training ihrer Algorithmen. Die so gewonnenen Insights werden natürlich dann auch brav wieder zurück gegeben.
Diese Insights nutzt ZRobot nicht nur für ihr B2C Produkt um damit ihrer Nischen-Zielgruppe “junge Erwachsene” Financial Services anzubieten sondern hat auch eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten im B2B gefunden. Einer dieser B2B Services ist (neben dem typischen und langweiligen Fraud Thema) diese Daten für “urban planning” zu nutzen. ZRobot nutzt nicht nur die Daten von JD sondern hat auch etliche Partnerships mit Telkos und Universitäten. Während letzteres dazu dient aus “Schulnoten” Rückschlüsse für das Scoring zu ziehen (nicht viel verrückter als Scoring auf Basis von Facebook Likes), geben die Telkos u.a. Echtzeit-Bewegungsdaten und Zugriff auf die Anruf-Historie (wenn der Endnutzer der Weitergabe zugestimmt hat). Diese Zusammenführung von Offline- und Online-Daten in Echtzeit eröffnet Unternehmen wir ZRobot interessante Möglichkeiten.
So bietet das Unternehmen diese Insights im Rahmen des “urban planning” u.a. Unternehmen an, welche den besten Standort für Ihr Ladengeschäft suchen oder helfen Unternehmen dabei ihre Büros in Gegenden anzusiedeln die attraktiv für ihre Mitarbeiter sind. Diese aufbereiteten Daten liefern einen aber auch Einblicke über das Verkehrsaufkommen und Staus und werden u.a. von den Stadtplanern verwendet um den ÖPNV auszubauen.
Das Ganze schafft ZRobot mit einer Mannschaft von 90 Mitarbeitern wovon 5 im Sales arbeiten – Vergleiche erübrigen sich.
Diese Online / Offline Zusammenführung von Daten – nennen wir so doch Omnichannel-Daten – ist ebenfalls ein Trend in China. Hauptsache wir in Europa probieren uns noch an Omnichannel-Commerce.
Natürlich ist das Missbrauchspotential bei dieser Zusammenführung enorm, aber wie bereits oben erwähnt, lässt die Regierung dieses “Spielfeld” erst einmal offen bevor es mit Regulierung eingreift.
AiCai Group
Die Unternehmensgruppe AiCai ist ebenfalls repräsentativ für die Art chinesischer “Startups”.
Im März 2014 gründete Zhilong Qian (Mitarbeiter 75 bei AliBaba und einer der Tech-Leads von AliPay) Aiyoumi als Peer-to-peer Plattform für Millenials. Zu der Zeit war der P2P Markt noch unreguliert und es gab ca. 6000 Anbieter in 2016 gab es dann die erste Regulierung und der Markt konsolidierte sich auf ca. 1000 Unternehmen. Ende 2018 wird der Regulierer ein weiteres Mal nachschärfen und AiCai erwartet eine weitere Konsolidierung auf ca. 100 Unternehmen.
In 2015 kurz vor der ersten Regulierungswelle ermunterte der Regulierer ausgewählte Unternehmen sich mit dem Thema Kreditvergabe zu beschäftigen. Es ist wichtig dabei zu verstehen, dass in 2018 nur knapp 400m Chinesen überhaupt Zugang zu Kreditprodukten haben. Daher gründete Zhilong Mizhuang als Kreditvergabe Plattform mit dem Fokus Micro-Kredite und die AiCai Gruppe entstand. Die Gruppe wurde Ende 2016 um Ai Ying Financing (Kreditvergabe an SME) und 2017 um Aiyu Car (Kreditplattform für Autokredite) und 2018 um Yan Zhang Gui (Kreditvergabe an Tabak-Läden) erweitert.
Die AiCai Gruppe erfüllt auch das zweite Kriterium – ernomes Funding. In Summe sammelte die Gruppe mehr als 500m RMB in 3 Runden ein (u.a. von den AliBaba Gründern).
Die Zahlen der einzelnen Unternehmensteile sind ebenfalls typisch für den Markt groß.
Aiyoumi (welches neben dem P2P ihrer Kundengruppe auch Ratenzahlung und Finanzdienstleistungen aller Art anbietet) ist in 300 Städten in China verfügbar und hat mehr als 14m Endkunden. Es zählt u.a. Apple, Huawei und Samsung als Kunden und bietet ihren Endkunden die Finanzierung der Produkte dieser Hersteller an.
Mizhuang hat bis Ende October 2018 28Mrd RMB an Krediten an knapp 2m Personen vergeben.
Selbst das recht junge Yan Zhang Gui hat bis August 2018 bereits 5,6m Tabak-Läden Inhaber als Kunden unvergibt pro Monat 60m RMB an Krediten.
Die AiCai Gruppe ist mit ihren 1000+ Mitarbeitern ein etwas reiferes FinTech.
Fazit
Wenn wir über China und chinesische FinTechs sprechen kommt natürlich auch immer die Frage, ob und wann diese denn internationalisieren?
Für Yang Qiao den CEO von ZRobot ist die Antwort einfach. Er ist überall dort wo auch JD ist also u.a. auch in Indonesien und Vietnam.
Harry Yu der CFO der AiCai Group gibt eine deutlich häufiger gehörte Antwort. Die Wachstums-Chancen im Heimatmarkt (siehe Kreditdurchdringung) sind noch so enorm, dass er für die nächsten 3 Jahre keinen Mehrwert in der Internationalisierung für seine Gruppe sieht. Andere Märkte böten nicht die gleichen Chancen wie der chinesische Markt wo eine riesige Kundengruppe “mobile first” vorhanden ist, eine gute technische Infrastruktur existiert und das regulatorische Umfeld vorteilhaft ist.
Allerdings hörte man auf der Konferenz immer wieder den Namen eines Landes – Indonesien. Das viert bevölkerungsreichste Land der Welt steht offensichtlich im Fokus der chinesischen Unternehmen. Ankur Mehrotra – Head of Financial Services von Grab – sprach davon, dass die indonesische Regierung und der Regulator sich durch das chinesische Vorgehens-Modell inspirieren lassen.
Die Frage nach Europa auf der Internationalisierungs-Roadmap spart man sich nach der 10ten Absage irgendwann oder wie sagte Yang Qiao von ZRobot:
“für Europa und die USA braucht man andere Modelle”.
Schön gesagt.
Die Berichterstattung vor Ort war mit freundlicher Unterstützung von Zenmate VPN möglich.