re:cap Gründer Becker: „Turbulenzen am Markt sind eine Chance“

Die VC-Investitionen sind in den letzten Wochen und Monaten deutlich zurückgegangen. Neue wie etablierte Fintechs müssen nun kreativ werden und ihren Finanzierungsmix überdenken. Viele suchen dabei auch nach alternativem Wachstumskapital. Paul Becker gründete 2021 das Fintech re:cap. Das Berliner Unternehmen ermöglicht Finanzierungen für Digital-Unternehmen mit wiederkehrenden Einnähmen, beispielsweise mit Abo-Modellen. Mit diesem Business-Case folgt re:cap einem US-amerikanischen Vorbild – Pipe.

Nach Gründung und Wachstum in Deutschland expandiert Becker mit seinem Team jetzt in die Niederlande. Mit diesem Schritt will Becker die führende pan-europäische Finanzierungslösung für die Subscription Economy werden. Kontinentaleuropäischen Länder haben im Vergleich zu Großbritannien und den USA noch deutlichen Nachholbedarf haben und der Wettbewerbsdruck in Europa bei Revenue-based Financing Anbietern noch verhältnismäßig gering ist.

Unternehmensbewertungen waren zuletzt völlig überhöht

Wir sprechen mit Paul Becker über das Revenue-based Financing Modell, über Hype-Themen wie BNPL und über völlig überzogene Unternehmensbewertungen. Sind die goldenen Funding-Zeiten für Fintechs etwa vorbei?

Der re:cap Gründer ist auch zu Gast auf der diesjährigen Banking-Exchange zum Thema Kundenschnittstellen und neue mysteriöse (Daten)quellen als Chance für Embedded Finance, Buy Now Pay Later und Revenue Based Financing?

Die Euphorie der letzten beiden Jahre scheint vorbei. Entlassungen, geringere Bewertungen …. Keine einfachen Zeiten für Unternehmen, oder? 

Ich sehe das persönlich eher unter dem Stern „back to the roots“. Am Ende des Tages kann ja niemand ernsthaft behaupten, dass Unternehmensbewertungen, die das hundertfache des aktuellen Jahresumsatzes übersteigen, ein dauerhaft gesundes Niveau ist. Und dennoch: Viele Unternehmen beziehungsweise Gründerinnen und Gründer erleben gerade ein böses Erwachen.

Haben sich Unternehmen zu lange auf den Kapitalfluss von VCs verlassen?

Es ist richtig, dass im Vergleich zu den USA alternative Finanzierungsformen in Deutschland und Europa noch eine geringere Rolle spielen. Das allein den Unternehmen zuzuschreiben, finde ich aber nicht ganz fair, denn schließlich bekommen viele von ihnen schlichtweg kein anderes Kapital – und in vielen Fällen auch nicht von Risikokapitalgebern. Die aktuellen Turbulenzen am Markt sehe ich als echte Chance: Viele Unternehmen realisieren jetzt, dass Alternativen zu Venture Capital wichtig sind und die Technologie erlaubt es mittlerweile auch, passende, innovative Angebote bereitzustellen, wie etwa re:cap.

Wie bewertest du die aktuelle Zeit? Krisenstimmung oder Konsolidierung?

Das eine schließt das andere nicht aus, beides trifft zu. Es ist nicht verwunderlich, dass nach einem so langen Bullenmarkt irgendwann auch mal eine Normalisierung ansteht – und dass das am Ende für alle Beteiligten gesund ist. Ich bin generell kein Freund von übermäßigem Pessimismus. Es ist wichtig zu verstehen, was aktuell passiert und seine Rückschlüsse daraus zu ziehen und schnell zu handeln. Den Kopf in den Sand zu stecken führt schließlich zu nichts. 

Welche Alternativen haben Unternehmen, doch noch an Geld zu kommen, wenn Investoren den Gürtel nun enger schnallen?

Der Diskurs in den Medien und die Empfehlungen zahlreicher Meinungsführer drehen sich gerade insbesondere um operative (Re-)Fokussierung und Kosteneinsparungen. Beides sind mit Sicherheit wichtige Maßnahmen. Ich denke, dass eine auf die Unternehmensanforderungen abgestimmte Kapitalstruktur allerdings auch einen hohen Mehrwert haben kann. Wenn man nicht nur auf einen Geldgeber oder ausschließlich eine Art der Finanzierung angewiesen ist, hat man schlichtweg mehr Optionen, um an Geld zu kommen. Zudem lohnt es sich, den Cashflow genauer unter die Lupe zu nehmen, um herauszufinden, ob hier Optimierungspotenzial besteht. Viele Unternehmen sind überrascht, wenn sie sehen, wie viel Kapital sie unnötig gebunden haben.

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Worin liegt der Vorteil alternativer Finanzierungsmöglichkeiten?

Hinter dem Begriff alternativer Finanzierung verbirgt sich in der Praxis eine Vielzahl verschiedener Instrumente. Was sie alle eint: Weil es sich nicht um Eigenkapital handelt, müssen keine Unternehmensanteile, Stimmrechte und so weiter abgegeben werden, um eine Finanzierung zu erlangen. Stattdessen wird das bereitgestellte Kapital über eine definierten Zeitraum zurückgezahlt. Bei neuen Anbietern wie re:cap spielt Technologie zudem eine zentrale Rolle und ermöglicht Unternehmen mit deutlich geringerem zeitlichen und kapazitären Aufwand und deutlich höherer Flexibilität eine Finanzierung zu erhalten. In Abgrenzung zu Venture Capital bieten sich alternative Finanzierungsformen deshalb insbesondere für Investitionen mit einem planbaren ROI (zum Beispiel in Marketing oder M&A) oder zur Cash Flow-Optimierung an (zum Beispiel gebundene Liquidität verringern oder Einmaleffekte ausgleichen).

Worin aber auch der Nachteil?

Für die meisten Formen wird ein gewisser Reifegrad der Unternehmen erwartet. Von re:cap kann man zum Beispiel keine Finanzierung erhalten, wenn man noch keine Umsätze hat. Frühphasige VC-Investoren können da flexibler sein. Zudem ist natürlich auch alternative Finanzierung nicht die Lösung für alle Probleme, sondern vielmehr ein Werkzeug von vielen, das für gewisse Anwendungsfälle geeignet ist und für andere nicht.

Auch re:cap will Unternehmen schnell Kapital zur Verfügung stellen. Wie läuft bei euch die Risiko-Bewertung ab? 

Die Anmeldung auf der re:cap-Plattform dauert für Unternehmen nur wenige Minuten. Als Teil dieses Prozesses stellen Unternehmen etwa Geschäftskonten und Buchhaltungsdaten bereit bzw. verbinden diese über Schnittstellen. Auf Basis dieser Daten ermittelt re:cap im Anschluss die Finanzierbarkeit des Unternehmens.

Hierbei wird automatisiert eine Scorecard mit verschiedenen VC-typischen Kennzahlen berechnet wie die Amortisationszeit der Kundengewinnungskosten (CAC Payback Period), den neue Umsatz mit bestehenden Kunden pro Monat (Expansion MRR) oder Abwanderungsmetriken wie die Net Dollar Retention (NDR).

Für jede Kennzahl hat re:cap eine zum Unternehmen passende Benchmark zur Verfügung, die sich aus Daten vergleichbarer Unternehmen speist. Aus dem Gesamtscore leiten sich dann die Finanzierungskonditionen ab. Der gesamte Prozess dauert aktuell circa 24-48 Stunden – ohne weiteren Aufwand für die Unternehmen. Im Anschluss kann das Unternehmen über die Plattform flexibel seine Finanzierung erhalten.

Alternative Formen der Finanzierung sind nicht für jeden interessant

Für welche Unternehmen ist eine alternative Finanzierung überhaupt interessant? 

Grundsätzlich für alle Unternehmen, die für die bessere Umsetzung ihrer Maßnahmen auf externe Finanzierung angewiesen sind. Alternative Finanzierung ist nicht die einzig wahre Lösung für alle Probleme. Wir glauben, dass wir mit unserem aktuellen Produkt insbesondere Unternehmen mit Cash Flow-Problemen und Unternehmen, die Maßnahmen mit planbaren ROI haben, die bessere Alternative zu Venture Capital anbieten können. 

Welchen Vorteil sehen institutionelle Investoren in der alternativen Finanzierungsform? 

Investoren können an der Finanzierung von optimal planbaren Umsätzen eine attraktive feste Verzinsung bei gleichzeitig sehr kurzer Kapitalbindung und Laufzeit erreichen. Das Zinsniveau ändert sich zwar aktuell, dennoch ist die Auswahl an festverzinslichen Anlageprodukten sehr limitiert. In Kombination mit der Laufzeit gibt es keine vergleichbaren Angebote.

Nun gibt es in den USA mit Pipe bereits ein Vorbild. Welchen Wettbewerb erwartet ihr in den kommenden Monaten vor dem Hintergrund von Embedded Finance, BNPL und Revenue Based Financing?

Die steigende Verfügbarkeit von Unternehmensdaten und Schnittstellen beflügelt eine ganze Reihe von Geschäftsmodellen. Sie zielen aus verschiedenen Perspektiven darauf ab, Unternehmen Kapital bereitzustellen und bestehende Ineffizienzen zu beseitigen. Das ist grundsätzlich zunächst eine ausgezeichnete Entwicklung. Abgesehen vom Payment-Sektor hat sich die Innovation im klassischen Corporate- und Investment-Banking in den vergangenen Jahren schließlich sehr in Grenzen gehalten. Ich glaube nicht daran, dass es auf eine „Embedded Finance vs. BNPL vs. RBF“-Situation hinausläuft, sondern vielmehr, dass diese Lösungen koexistieren werden und verschiedene Anwendungsfälle abdecken. Langfristig werden die wichtigen Fragen meiner Meinung nach sein, wer innerhalb dieser Modelle eine möglichst hohe Marktdurchdringung erzielt. Gleichzeitig gilt, wie nachhaltig die jeweilige Margenstruktur und die Unit Economics dieser Modelle im Vergleich sind.

re:cap expandiert jetzt in die Niederlande. Wie populär sind alternative Finanzierungsformen bereits im europäischen Ausland und welcher Wettbewerb erwartet euch dort?

Generell lässt sich festhalten, dass sämtliche kontinentaleuropäischen Länder im Vergleich zu Großbritannien und den USA noch deutlichen Nachholbedarf haben und der Wettbewerbsdruck in Europa noch verhältnismäßig gering ist. Gleichwohl sind in den Niederlanden nach offiziellen Angaben bereits Anbieter für Revenue-based Financing am Markt und entsprechend werden wir uns dort, im Gegensatz zu Deutschland, auch direkt mit vergleichbaren Angeboten messen müssen.

Wie erfolgreich diese Anbieter in den Niederlanden bereits sind und welche Auswirkungen das für uns hat, muss sich zeigen. Generell blicke ich dem aber sehr optimistisch entgegen. Erstens werden wir früher oder später ohnehin in direkter Konkurrenz sein. Weglaufen bringt also nichts, und zweitens haben wir sehr frühzeitig in unsere Infrastruktur und Prozesse investiert, sodass wir die bestmögliche Experience für Kunden bieten können. Schließlich entwickeln wir unser Produktangebot aktiv über das Finanzierungsangebot hinaus (unter anderem Business Insights, Cashflow Forecasting) und schaffen damit eine nachhaltige Differenzierung.

Eventtipp Banking-Exchange:

Paul Becker ist zu Gast auf der diesjährigen Banking-Exchange am 23./24. Juni in Frankfurt/Main. Gemeinsam mit Alina Deutsch (Mondu)Patrick Thelen (Procurus), Kevin Krüger (TLGG Consulting), Michael Luks (Atruvia) und  Stefan Schmidt (ProNoblis Group) diskutiert er zum Thema: Kundenschnittstellen und neue mysteriöse (Daten)quellen als Chance für Embedded Finance, Buy Now Pay Later und Revenue Based Financing?

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Autor

  • Die studierte Soziologin und Medienwissenschaftlerin beobachtet, analysiert und schreibt als Journalistin seit vielen Jahren über die Startup- und Fintechszene. In der Vergangenheit arbeitete sie für führende on- und offline Gründer- und Wirtschaftsmedien im In- und Ausland, moderiert und schrieb mit Kollegen ein Buch über Unternehmen im Ruhrgebiet. Seit 2019 arbeitet sie für Payment & Banking, seit 2020 ist sie festes Redaktionsmitglied und ist in dieser Position verantwortlich für alle Themen Content, Planung und Entwicklung neuer Medienformate. In ihrer Zeit bei Payment & Banking ist sie zudem eine eifrige Podcasterin geworden.

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