In den letzten Wochen ist es etwas ruhiger um Paydirekt geworden. Man sieht deutlich weniger Werbung, vor allem im TV. Die Paydirekt-Kollegen arbeiten am Produkt und daran, mehr Relevanz im Handel und für Kunden zu gewinnen. Es sei ihnen dabei viel Erfolg gewünscht, denn der Markt benötigt dringend einen ernsthaften PayPal-Wettbewerber. Weniger ruhig ist dagegen nach wie vor die PR von Paydirekt. Hier hatte man sich ein neues sehr sehr großes 2017er Ziel gesetzt: 7 Millionen Kunden sollen am Jahresende bei Paydirekt registriert sein und das obwohl die Neuanmeldungen derzeit sogar rückläufig sind, wie der Bargeldlosblog gestern berichtete.
Bevor wir in die Sommerpause gehen, wo die Deutschen lieber in Südeuropa an Stränden liegen statt im verregneten deutschen Sommer online einzukaufen, möchten wir hier noch einmal den ersten Realitäts-Check machen, zu den aktuellen PR-Versprechungen von Paydirekt.
Erst ein Blick ins letzte Jahr: Im Januar 2016 setzte Paydirekt-Geschäftsführer Bartelt erstmals das Ziel des “signifikanten Anbieters” im Weihnachtsgeschäft 2016 was im Laufe des Jahres mehrmals wiederholt wurde. Hier im Blog wurde in einem Artikel kurz vor Beginn des Weihnachtsgeschäfts bereits analysiert, dass Paydirekt kein signifikanter Anbieter im Weihnachtsgeschäft 2016 sein würde. Spätestens durch die EHI Online-Payment Studie 2017 des EHI Retail Institutes wissen wir, dass ein de-facto Marktanteil von 0,x% im Onlinehandel und die fehlende Darstellung von Paydirekt im Anbieterübersichts-Tortendiagramm wohl nicht als “signifikant” bezeichnet werden kann.
Das Dilemma bei Paydirekt – zu hoch gesteckte Ziele?
Nun ist Paydirekt nicht das erste Zahlverfahren oder neu eingeführtes Zahlungsverkehrsprodukt am Markt. Es ist relativ einfach Vergleiche anzustellen, wie lange andere Anbieter (auch Banken selbst) im In- und Ausland für die Überwindung der kritischen Masse bei Handel und Kunden brauchten. Trotz dieser klaren Datenlage ist es kaum nachvollziehbar, warum komplett unerfüllbare Ziele und somit Erwartungen gerade auch noch öffentlich gesetzt werden. Die Konsequenz davon: Wirkliche lobenswerte positive Erfolge gehen in der öffentlichen Wahrnehmung komplett unter. Ich denke da an einige der Top100 Händler, die Paydirekt innerhalb kürzester Zeit gewinnen konnte. Diese durchaus beachtliche Leistung für einen Newcomer bleibt aber auf der Strecke, angesichts der überzogenen PR Versprechungen, an denen man das Verfahren und die handelnden Personen dann natürlich misst. Fachkundige Branchenexperten reagieren teilweise belustigt, teilweise entsetzt wie vorhersehbar und mit Ansage die Ziele verfehlt werden, aber dennoch der öffentliche Eindruck geradezu krampfhaft aufrecht erhalten wird, dass alles perfekt und im Plan sei. Wenn dann noch eigene, kaum vergleichbare, Definitionen wie “Top-Wunschhändler” plötzlich lanciert werden, um sich gängigen Marktvergleichen zu entziehen, kann man durchaus auch die Professionalität in Frage stellen.
Neues Jahr, neues Glück und neue öffentliche PR-Jahresziele. Statt endlich in Ruhe an der Etablierung des Verfahrens und auch Optimierung der Defizite zu arbeiten, kommt Paydirekt mit einem neuen unrealistischen Ziel, welches sich erneut recht einfach öffentlich prüfen lässt: Nach der Handelsseite rückt Paydirekt dieses Jahr die Anzahl der Kunden in den Fokus. Zielmarke zum Jahresende 2017 ist die Nutzerbasis auf 7 Millionen registriere Kunden zu erhöhen.
Steht PR für ‚Paydirekt regressiv‘?
Betrachtet man die öffentlich kommunizierten Nutzerzahlen der letzten eineinhalb Jahre und unterstellt, dass diese der Wahrheit entsprechen, erkennt man seit Teilnahme der Sparkassen ein bislang recht stabiles Wachstum von ca. 250.000 bis 300.000 Kunden pro Quartal über alle teilnehmenden Kreditinstitute . Die PR “Fast Facts” von Paydirekt (Stand Ende Mai 2017) behaupten dass sich dort “rund 1 Mio. Kunden” registriert haben. Kaufmännisch gerundet heisst das wohl maximal 1,4 Mio. Kunden. Schaut man sich die recht lineare historische Wachstumskurve an, sind es wohl derzeit ca. 1,3 Mio. Kunden. Zieht man die Kurve linear weiter und unterstellt keinen weiteren (temporären?) Rückgang, wie wohl derzeit bei den Sparkassen, so landen wir zum Jahresende 2017 bei ca. +-2 Mio. Registrierungen. Wie die ersten Händlererfolge so wären +- 2 Mio. Registrierungen auch eine beachtenswerte Entwicklung die kein anderes Verfahren der vielen Paypal-Kopien in so kurzer Zeit in Deutschland schaffte. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass diese Zahl gewonnen würde, obwohl Banken und Sparkassen sich bei Paydirekt für eine reiner Follower-Strategie, mit einem einfachen me-too Produkt in einem bereits komplett gesättigten Markt entschieden haben, bei der die unternehmerische Verantwortungen für Produkt, Marketing und Vertrieb nicht einmal in einer Hand liegen.
Die leider jetzt schon vorhersehbare Paydirekt PR-Lücke zwischen den realistischen 2 Mio. Registrierungen und dem geplanten Ziel wird am Jahresende 2017 bei voraussichtlich 5 Mio. fehlenden Kunden/Registrierungen liegen. Es ist absehbar, dass deswegen am Jahresende, Mitten im wichtigen Weihnachtsgeschäft, wieder mehr über verpasste Ziele geschrieben und gesprochen wird, statt positiv über das Erreichte zu berichten. Die 2 Mio. Registrierungen kommen trotzdem nicht automatisch: Das setzt voraus, dass das Wachstum wie bisher durch die (mittlerweile zurückgefahrenen Werbemaßnahmen wie TV-Spots) unterstützt wird und die Bankkunden auch während der traditionell mauen Sommermonate sich weiter für Paydirekt anmelden.
Wie stark müßte Paydirekt aber ab sofort wachsen um das selbst ausgerufene Ziel doch noch zu erreichen? Von heute bis zur Zielmarke 7 Millionen müssten die Banken und Sparkassen insgesamt ca. 5,7 Mio. weitere Kunden überzeugen, sich für Paydirekt zu registrieren. So müsste das, derzeit angeblich schwächelnde, Wachstum von ca. 100.000 Kunden pro Monat sich ab sofort verachtfachen (!) auf mindestens 820.000 Neuregistrierungen. Das entspricht kumuliert allen Registrierungen seit Paydirekt-Start vom Sommer 2015 bis Ende 2016 – und das ab sofort in jedem einzelnen Monat bis zum Jahresende.
Fazit
Hat Paydirekt ohne grundlegendem Pivot für eine solche Hockeystick-Entwicklung, die man durchaus auch von sehr erfolgreichen StartUps kennt, das nötige Momentum, ein Produkt mit dem Anspruch, Attraktivität und Relevanz im Markt um die Kunden zu überzeugen? Haben die Banken und Sparkassen alternativ die (mindestens achtfachen?) Marketingbudgets ein solches Wachstum teuer einzukaufen? Die Antworten auf diese Fragen kann sich der geneigte Leser, auch angesichts des Berichts im Bargeldlosblog, vermutlich selbst geben.
Bei allen Zahlenspielen gilt jedoch weiterhin: Registrierungen sind nur eine Seite der Medaille. Abgewickelte Transaktionen ist die andere, viel maßgeblichere Metrik. Den Paydirekt-Beteiligten sei ein erfolgreiches zweites Halbjahr gewünscht, die Wiedervorlage erfolgt am Jahresende.
Update 12.06.17 Wie aus den öffentlich einsehbaren Unterlagen eines regionalen Verbands der VR-Banken hervorgeht plant Paydirekt im Jahr 2020 bei Registrierungen auf Augenhöhe mit PayPal in Deutschland zu sein. Paypal hat in Deutschland nach eigenen Aussagen mehr als 19 Mio aktive Kunden und entsprechend vermutlich zwischen 25 und 30 Millionen Registrierungen in Gänze. Auf eine Kalkulation was das an monatlichen Neuregistrierungen von Paydirekt bedeutet um in 2,5 Jahren auf diese Masse zu kommen verzichte ich an dieser Stelle.
Update 15.1.18: In der Paydirekt-Pressemitteilung zum neuen Paydirekt CEO spricht Paydirekt selbst von 1,6 Mio registrierten Kunden gegen Mitte Dezember 2017. Paydirekt hat damit, wie hier im Blog richtig vorhergesagt, das eigene 2017er Ziel von 7 Millionen Kunden mit einem recht gewaltigen Abstand verpasst. Aber auch ich lag mit meiner Prognose von 2 Mio registrierten Kunden am Jahresende 2017 knapp daneben. Die 400.000 fehlenden Kunden lassen sich durch eine weitere Schwächung des Wachstums von Paydirekt im 3. und 4. Quartal erklären. Aber offensichtlich ist das verpasste Jahresziel bei den Kunden kein so gravierendes Problem für die Gesellschafter von Paydirekt. In der oben bereits verlinkten Pressemitteilung zum neuen CEO läßt sich Torsten Daenert, Commerzbanker und Vorsitzender des Verwaltungsrats wie folgt zitieren: „paydirekt hat sich dank der sehr guten Arbeit der bisherigen Geschäftsführung und der Mitarbeiter beachtlich entwickelt“. Man fragt sich nur, wie das Zitat formuliert gewesen wäre, hätte Paydirekt das eigene Zeil von 7 Millionen Kunden tatsächlich geschafft.
Jochen Siegert ist Co-Founder von Payment & Banking, Unternehmer, Investor und erfahrener Experte für digitale Transformation. Er schaut zurück auf knapp 25 Jahre Erfahrung in Einführung und Management von Innovationen / digitalen Finanzprodukten. Jochen begleitete senior Führungspositionen bei globalen Paymentanbietern, Fintechs und Banken. [mehr]