Die Hälfte des Jahres 2019 ist vergangen und insbesondere die letzten Wochen waren für deutsche FinTech-Unternehmen besonders aufregend. Eine Jubelmeldung über ein Mega-Investment folgte der nächsten. Allen voran Berliner Unternehmen wie N26 oder Raisin ließen das Herz der Szene vor Freude hochhüpfen.

Doch was bedeutet diese Entwicklung? Sind die mageren Jahre nun endgültig vorbei und wird sich der digitale Finanzdiensleitungssektor auch in der zweiten Hälfte 2019 über solche Rekord-Fundings freuen können? Etwas genaues weiß man natürlich nicht, aber die Chancen stehen nicht schlecht, denn schon in 2018 sah es für deutsche FinTechs so gut aus wie noch nie zuvor.

Peter Barkow, Gründer von „Barkow Consulting“, einem Beratungs- und Analysehaus mit Spezialisierung im Finanzsektor, das jährlich die FinTech-Studie der comdirect begleitet, zieht Zwischenbilanz. Was wir lernen: deutsche FinTechs sitzen international am Erwachsenen-tisch. Internationale Investoren haben die deutschen Anbieter längst auf dem Radar.

“N26 ist ein Glücksfall für den gesamten deutschen Sektor”

Aber Vorsicht ist geboten: Gerade bei amerikanischen Geldgebern gilt bei einer Abkühlung von Konjunktur, Investmentumfeld oder Kapitalmarkt aber auch schnell wieder „America First“. Und: andere Regionen werden mittelfristig von den Mega-Runden in Berlin profitieren.

Unglaubliche 330 Millionen Euro hat das deutsch-britische Payment-Startup SumUp erhalten, 25 Million Euro für Raisin, 30 Mio. Euro für das Factoring-Startup Billie und zuletzt weitere 152 Millionen Euro für die junge Berliner Bank N26. Wie bewerten Sie diese Meldungen der letzten Wochen?

Deutschland holt auf. In einem jungen Technologie-Sektor ist es normal, dass das Fundingvolumen insgesamt und auch die einzelnen Deals immer größer werden. Erfreulich sind die Größenordnungen, die deutsche FinTechs erreicht haben, natürlich auf jeden Fall. Sie belegen, dass der Sektor insgesamt auf dem richtigen Weg ist.

Gehören die mageren Funding-Zeiten für deutsche FinTechs damit endgültig der Vergangenheit an?

Es ist stimmt optimistisch, dass auch im deutschen FinTech-Sektor Mega-Deals, also Deals mit $50m Funding-Volumen oder mehr, stattfinden. Lange Zeit waren diese Deals in Deutschland allgemein sehr, sehr selten. Gerade im laufenden Jahr konnten wir aber eine Rekordanzahl dieser großen Transaktionen registrieren. Glücklicherweise sind hier eben auch FinTechs mit dabei. Bedenklich stimmt nach wie vor, dass diese großen Runden fast ausschließlich von ausländischen, oft amerikanischen, Investoren angeführt werden. Bei denen gilt bei einer Abkühlung von Konjunktur, Investmentumfeld oder Kapitalmarkt aber auch schnell wieder „America First“.

Womit erklären Sie sich das gestiegene Interesse der Investoren, die Geldbörse nun deutlich weiter aufzumachen, als noch im letzten Jahr?

“N26 ist ein Glücksfall für den gesamten deutschen Sektor”

Die internationalen Investoren sitzen einfach auf extrem viel Geld, das in der Vergangenheit eingesammelt wurde und jetzt investiert werden muss. Man denke nur an Softbanks Vision-Fonds, der $100Mrd. groß ist. Nach kurzer Zeit wird nun schon ein zweiter Fonds geplant. Die monetären Anreizsysteme der VC-Fonds führen auch dazu, dass das eingesammelte Geld zügig investiert wird.

Im deutschen FinTech-Sektor kommt noch hinzu, dass einige Startups mittlerweile eine gewisse Reife haben und auch belegen können, dass sie erfolgreich wachsen und Kunden akquirieren können. Das führt nahezu automatisch zu immer größeren Fundingrunden.

Welches Start-up bzw. was führte Ihrer Meinung dazu, dass internationale Investoren deutsche, digitale Finanzdienstleister nun vermehrt in den Blick genommen haben?

Es gibt eine Reihe von deutschen FinTech-Startups, die internationale Investoren im Blick haben. Eines der wenigen FinTech-Geschäftsmodelle, die in Deutschland „erfunden“ wurden, ist zum Beispiel die grenz-überschreitende Vermittlung von Tages- und Festgeld. Wenn man nur ein Unternehmen herausgreifen möchte, ist dies sicherlich N26. N26 ist eine Ausnahmeerscheinung und ein Glücksfall für den gesamten deutschen Sektor. Das Kundenwachstum, die Höhe des Fundings aber auch der Status als eines der wenigen europäischen FinTech Unicorns haben N26 weit über die deutschen Grenzen bekannt gemacht. Das strahlt letztlich auf den gesamten deutschen FinTech-Sektor positiv ab.

Ausfällig ist, dass vor allem B2C-Modelle die großen Gewinner der Fundings sind. Was ist mit den ganzen B2B-Modellen – werden auch diese zeitnah von dem Geldfluss profitieren?

B2B-Startups profitieren auch von den Geldflüssen in den deutschen Sektor. Allerdings haben B2B-Startups häufig weniger Kapitalbedarf, da sie weniger in Marketing investieren müssen. Der Aufbau einer Marke ist oft weniger entscheidend. Die Zielkunden sind zahlenmäßig weniger und ja in der Regel auch bekannt. Es gibt erfolgreiche B2B-FinTechs, die bislang ganz ohne externes Funding auskommen, entsprechend also komplett durch Bootstrapping finanziert sind.

Die Gelder flossen allesamt in die Region Berlin. Was sagt das über das Ökosystem in Deutschland aus und was müssen andere Regionen nun machen, um von der Entwicklung zu profitieren?

Berlin dominiert in Bezug auf Anzahl der FinTech Startups, Gründungen aber noch viel mehr in Bezug auf Venture Capital. Das ist bekannt und zeigen wir Jahr für Jahr mit der comdirect FinTech-Studie. Berlin hat als einzige deutsche Stadt ein Startup-Ökosystem, das über globale Strahlkraft verfügt, etabliert. Berlin hat quasi damit eine globale Startup-Marke etabliert, die wohl fast jeder internationale VC kennt. Ich denke aber auch, dass andere deutsche Städte davon mittelfristig profitieren können.

„Berlin hat als einzige deutsche Stadt ein Startup-Ökosystem etabliert, das über globale Strahlkraft verfügt.“

Die Finanzszene und die deutschen Medien überschlagen sich vor Freude angesichts der Finanzierungen. Wie berechtigt sind diese Jubelschreie im internationalen Kontext?

Im internationalen Kontext gilt die Reihenfolge: USA vor Asien und Europa. In Europa liegt Großbritannien trotz des Brexit-Chaos immer noch deutlich vor Deutschland. Man könnte also sagen, dass Deutschland international viertklassig ist. Mit der comdirect FinTech-Studie haben wir im letzten Jahr herausgefunden, dass ANT Financial in nur zwei Fundingrunden so viel Geld eingesammelt hat wie alle deutschen Startups (also nicht nur FinTech) in einem vollen Jahrzehnt. Besser kann man die Stellung Deutschlands in der globalen FinTech- und Startup-Szene kaum verdeutlichen.

1 Kommentar

Bernd Freudinger

Aber auch wirklich nur im deutschsprachigen Sektor. Sonst zu nichts zu gebrauchen!!

8. August 2019
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