Tijen Onaran auf der Transactions 19

Es ist augenscheinlich, dass gerade in der Finanz- und Technikbranche noch einmal weniger Frauen arbeiten, als ohnehin schon in der deutschen Wirtschaft. Was sind die Gründe hierfür? Haben Frauen etwa generell ein geringeres Interesse an der FinTech-Branche, oder liegt es an der Dominanz der männlichen Vorbilder? Was ist zu tun und wie kann Politik das steuern? Immer mehr Unternehmen bemühen sich um Diversität, aber gefühlt bleibt es nur bei der Bemühung. Der Anteil weiblicher Rolemodels in Tech-Berufen der Digitalwirtschaft steigt ebenfalls nur marginal. Viele Konzerne, Mittelständler und Startups unterschätzen die Förderung von Vielfalt am Arbeitsplatz nach wie vor stark. Welche konkreten Maßnahmen helfen, die Diversität organisationsübergreifend und zukunftsorientiert zu etablieren?

Frauen sind in der Digitalwirtschaft sicher keine Seltenheit mehr, aber gemessen an ihrem Anteil in der Gesellschaft noch immer unterrepräsentiert. Das betrifft Start-ups genauso wie große Tech-Unternehmen. Apple, Facebook, Google und Microsoft veröffentlichen jährlich Berichte zur Diversität in ihren Unternehmen, die diese Herausforderung deutlich machen.

Der Frauenanteil in den vier Unternehmen liegt zwischen 29 und 37 Prozent und der Trend zeigte in den vergangenen Jahren stetig nach oben. Schaut man jedoch auf die Rollen, die Frauen in diesen Unternehmen einnehmen, ergibt sich ein anderes Bild.

Diverse, wissenschaftliche Erhebungen haben Unternehmen mit Frauen in den obersten Führungslevels analysiert. Diese haben festgestellt, dass diejenigen Firmen, die einen höheren Frauenanteil haben, finanziell erfolgreicher sind. Tatsächlich spielen Frauen in der Digitalisierung eine ausschlaggebende Rolle, weil sie klassische Unternehmenskulturen eher hinterfragen und kollaborative Arbeitsweisen mehr in den Vordergrund stellen. Um Frauen in der Digitalisierung sichtbar zu machen und sie stärker miteinander zu vernetzen, hat Tijen Onaran die Organisation „Global Digital Women“ ins Leben gerufen. Für sie ist Diversität mehr als nur ein „Nice-to-have-Faktor“, sondern essentiell, damit Unternehmen im digitalen Zeitalter wettbewerbs-, überlebens- und innovationsfähig bleiben. Natürlich mit dem Bewusstsein, dass Diversität nicht nur Geschlechtervielfalt beinhaltet.

Was macht Global Digital Women? Zum einen geht es um das Vernetzen. Und warum Frauen? Weil mich Frauen inspiriert haben und ich etwas zurückgeben wollte. Männer sind übrigens herzlich willkommen.

Diversität – für viele eher ein Schlagwort, aber Onaran lebt dieses Wort. Sie hat die Community „Global Digital Women“ gegründet, um den Austausch von Frauen aus der Digitalbranche zu erleichtern. Mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Digitalbranche ist ihr Ziel, dazu hat sie auch einen Podcast und die Content-Plattform „FemaleOneZero“ gestartet und erklärte in ihrer Keynote, wie man „Mit mehr Diversität zu mehr Innovation“ kommt.

Mit mehr Diversität zu mehr Innovation

Denn Diversität ist für Unternehmen eine Möglichkeit, Fachkräfte oder neue Talente zu gewinnen. Experten haben analysiert, worauf die jungen Talente, die jetzt in die Jobs kommen, bei der Arbeitgeberwahl Wert legen. Der ausschlaggebende Punkt ist Diversität. Sprich: Junge Talente achten bei der Arbeitgeberwahl darauf, wie divers Unternehmen aufgestellt sind. Geschlecht ist hier eine Komponente – Diversität meint aber auch Nationalitäten, Branchen und Altersklassen. Divers zusammengestellte Teams sind innovativer und bieten eine umfangreiche Expertise im Team.

Der Erfolg von Global Digital Women verdeutlicht: Unternehmen machen sich auf den Weg, diverser zu werden und engagieren sich, um zukunftsfähig zu bleiben. Auch ist Diversität im digitalen Zeitalter für Unternehmen ein entscheidender Wettbewerbsfaktor– auch angesichts des Fachkräftemangels. Gerade die Digitalbranche hat aber paradoxerweise noch Nachholbedarf. Denn hier dominieren bisher die Männer.

Gründe dafür sind, dass es besonders in der Tech-Branche sehr viele Start-Ups gibt. Diese jungen Unternehmen sind eben noch sehr männerdominiert. Der ausschlaggebende Punkt ist aber, dass in der Schule schon Stereotype fabriziert werden – genau in dem Zeitraum, in dem man die Weichen für die Zukunft stellt. Jungen Mädchen wird weniger zugetraut, eines Tages in einem Digital-Job zu landen, als Jungs. Sie stellen sich selbst infrage bzw. trauen sich nicht zu, künftig in einem Tech-Unternehmen zu arbeiten. Das muss dringend angegangen werden. Einige Schulen beschäftigen sich damit, indem sie digitale Vorbilder einladen.

Eine besondere Ehe voller Missverständnisse

Diversität und Digitalisierung – das ist eine Ehe mit hohem Maß an Frustrationstoleranz! Und es ist ein sehr emotionales Thema. „Ich habe das auch erlebt, ich dachte, ich bin die weltoffenste Person der Welt“, gesteht Onaran. Sie wurde vor kurzer Zeit ausgewählt, Teil einer internationalen Organisation zu werden und mit anderen Frauen aus allen Ländern durch die USA zu reisen. „Und ich war noch nie so deutsch wie auf dieser Reise – ich war immer die Erste am Bus, ich habe sogar die anderen diszipliniert, nicht durcheinander zu reden. Dabei werde ich in Deutschland gar nicht als so typisch deutsch wahrgenommen.“

Der besondere Moment war, als sie auf Dina traf, eine Frau aus Ägypten mit Schleier. Und plötzlich hatte sich Onaran bei eigenen Vorurteilen ertappt gefühlt. Es hatte lange gedauert, bis die beiden ins Gespräch kamen und Onaran ihre Fehler erkannte – und aus den beiden enge Freundinnen und inzwischen arbeiten sie sogar an gemeinsamen Projekten.

Wir haben alle Vorurteile – wichtig ist, seine Fragen auszusprechen. Was sind deine Werte, warum agierst du so, wie du das tust? Diversität ist kein Esoterik-Trip, sondern das Stellen von Fragen.

Diversität vs. Unsichtbarkeit

Männer sind zielstrebig, Frauen multitasking-fähig und gut fürs Team – meist holt gerade das Sprechen über Vorurteile diese überhaupt erst heraus. Onaran ging einen anderen Weg: Führungsetagen wurden angesehen, und es stand fest: progressive Führung hatte mehr Frauen dabei. Und es gab den Wunsch nach weiblichen Role Models – und das speziell für Frauen ab 50.

„Die meisten Talentprogramme hören ab 35 auf – das ist ein Aspekt von Diversität, der gar nicht in der Agenda vieler Unternehmen vorkommt“, kritisiert Onaran. Und wer nicht sichtbar ist, findet nicht statt – das ist Basis von allen Überlegungen.

Diverse Teams, diverse Kunden

Digitalisierung ist dabei das entscheidende Thema – aber eigentlich hofft Onaran, dass man ihre Organisation irgendwann nicht mehr braucht, weil Frauen in der Digitalisierung selbstverständlich geworden sind. Ein weiterer Schwerpunkt sind die Digital Female Leader Awards, um besondere Frauen auszuzeichnen. „Wir sind außerdem eure Quelle, um Expertinnen zu finden“, betont Onaran.

Man berät aber auch Unternehmen im Bereich Diversität. Denn diverse Teams haben einen Mehrwert, selbst wenn sie manchmal oder zumindest anfangs anstrengend sind. Denn mit diversen Teams kann man diverse Kunden ansprechen. Tatsächlich achten auch junge Bewerber darauf, wie divers das Team ist, für das sie sich bewerben: „Macht eure Leute zu Botschaftern eures Teams!“

Netzwerke sind das A und O – mit ihnen kann viel mehr gelingen als alleine.

Diversität in der Bildung

Und das Thema Quote? „Quoten helfen – aber man kann sich nie ganz auf sie verlassen!“, so Onaran. Erst muss sich die Unternehmenskultur verändern, bevor mehr geschehen kann. Denn wenn ein Unternehmen nicht offen ist dafür, bringt auch die Quote nichts.

Und was ist mit der Tech-Branche? Junge Leute und vor allem junge Frauen sollen früh kennenlernen, dass die Digitalisierung wichtig ist – und Möglichkeiten und neue Jobs bietet. Damit muss auch Diversität in den Bildungsauftrag. Junge Lehrer können helfen, Internet und WLAN (und dazu schnelles) sind unumgänglich – und Erfahrung in Unternehmen für die Lehrkräfte, um zu wissen, was morgen auf die Schüler wartet.

Fazit

Wenn man der Finanz-Tech-Branche eins attestieren kann, dann das: Die Finanzbranche braucht dringend mehr Frauen, vor allem in Führungspositionen. Gleichberechtigung und das nicht nur im Job, sollte eine Selbstverständlichkeit, vor allem auch, weil es inzwischen eine allgemeingültige verifizierte Feststellung ist, dass gemischte Teams bessere Ergebnisse erzielen als sehr homogene Gruppen, deren Mitglieder im Zweifelden exakt gleichen Werdegang haben.
Diversität am Arbeitsplatz ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern führt auch massiv zu höheren unternehmerischen Erfolgen. Im Zweifel hilft eine buntere Mischung zumindest der Langeweile im Job vorzubeugen, und auch das ist schon ein Wert an sich.

Mit mehr Diversität zu mehr Innovation

Wenn das Problem doch so deutlich ist, warum fällt eine Lösung und ein Ändern der Situation vielen Unternehmen immer noch so schwer? Ja ich weiß, in der Finanzbranche steigt der Frauenanteil – allerdings in einem Tempo, welches eine annehmbare Situation erst in den nächsten Jahrzehnten vermuten lässt. Noch immer ist das weibliche Geschlecht deutlich unterrepräsentiert, zumindest wenn es um die höheren Positionen auf der Karriereleiter geht.


Wie lässt sich das ändern? Im Zweifel mit der Holzhammermethode, das heißt mit einer festen Quote. Die hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Frauen, die mithilfe der Sitzverteilungsmethode als gute Gewissen Strategie, Karriere machen, müssen sich wohl oder übel mit dem Klischee der Quotenfrau herumschlagen.

Unternehmen sind in der Pflicht neue Wege zu gehen. Ich hätte da ein paar Tipps: wie wäre es mit familienfreundlichen Jobs? Konkret bedeutet dies: flexible und reibungslose Rückkehr nach dem Mutterschutz und Job-Sharing auch in Führungspositionen.

Der beste Tipp und wichtigste Schritt sind allerdings, wenn die männlichen Kollegen in den Berufen Banker, Broker und Vermögensverwalter ihr frauenfeindliches Image, das teilweise immer noch vorherrscht, loswerden.
Der Weg ist noch ein weiter, wer es immer noch nicht glaubt, der muss sich nur mal auf den vielen Konferenzen oder Empfängen unserer Branche umschauen. Dort wird jeder Hauch von Diversität in aller Regel noch immer in einem Meer aus dunkelgrauen Herrenanzügen ertränkt, sowohl auf den Podien als auch in den TeilnehmerInnen-Kreisen. Gut das es demnach solche Frauen wie Tijen Onaran gibt, die immer wieder den Finger in die Wunde legen.

Ihren Vortrag auf unser letzten Transactions könnt ihr euch hier in voller Länge ansehen.


Auch auf unser kommenden Transactions am 19. November 2020 haben wir wieder ganz wunderbare, starke Frauen die Einiges zu sagen haben u.a. Verena Pausder,Aya Jaff oder Kristina Walcker-Meyer. Tickets könnt ihr euch hier sichern.

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