instant messages #20 by Marcus W. Mosen

Wenn wir in diesen Tagen morgens aufwachen, schauen wir in der Banking/Payment/Fintech-Bubble nicht mehr als Erstes darauf, was die Journalisten Dohms & Kirchner von Finanz-Szene alles so in den Vortagen recherchiert haben, noch reißen uns die Exklusivmeldungen von Finance Forward vom Hocker. Jetzt schauen wir als Erstes auf die „Breaking News“, die das Smartphone via Pushmeldungen nachts empfangen hat oder – wir Älteren – schalten den Fernseher ein, um uns über die letzten schrecklichen Nachrichten vom Krieg in der Ukraine ein Bild zu machen. Und so richtig fassen können wir das alle noch nicht…

Zahlreiche neue Begriffe sind uns aus Politik und Medien in den letzten Tagen vermittelt worden. Wer hätte z.B. beim ersten Hören des Wortes „Friedensdividende“ adhoc sagen können, was damit gemeint ist. Bekanntlich werden Dividenden an Aktionäre gezahlt, wenn das Unternehmen Gewinne erwirtschaftet hat. Die Friedensdividende haben wir hingegen wie selbstverständlich in Form von Wohlstandsgewinnen mitgenommen, da wir der Auffassung waren, dass eine Verteidigungsarmee bestenfalls noch als Nothilfe bei Unwetterkatastrophen zum Einsatz kommen sollte. Einsätze in Ländern wie Mali oder bis vor kurzem in Afghanistan wurden im allgemeinen Verständnis als Friedenseinsätze abgespeichert.

Jetzt sind wir alle aufgewacht! Ein wake-up call in vielerlei Hinsicht war sicherlich die Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 27. Februar 2022 – an einem Sonntag, wo doch eigentlich parlamentarisches Wochenende ist. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte an diesem Tag an, dass im Bundeshaushalt 2022 ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro geschaffen werden soll, mit dem die marode Bundeswehr aufgepäppelt werden soll. Hand aufs Herz: dem ein oder anderen Paymentstrategen in der Deutschen Kreditwirtschaft wird bei dieser Rede ein kurzer Gedankenblitz durch den Körper gefahren sein.

Denn erst vor wenigen Wochen glühten die Drähte zwischen den Bankenverbänden, Banken und Sparkassen zum Bundesministerium der Finanzen oder zur Bundesbank, mit dem Ziel, eine Subventionierung des bis vor kurzem wichtigsten europäischen Zahlungsverkehrsprojekt „EPI“ (European Payment Initiative) zu erhalten. Wie wir dann jedoch aus einem Handelsblatt-Artikel am 9. Februar erfahren konnten, hatte der Finanzminister Christian Lindner diesem Wunsch eine klare Absage erteilt. Auch aus heutiger Perspektive – die vor dem Hintergrund des Putinschen Angriffskriegs die staatliche Geldallokation sicherlich in einem anderen Licht erscheinen lässt, ist diese Entscheidung nur logisch. Denn in den vielen Reden, Artikeln und Kommentaren, die von den EPI-Initiatoren in den vergangenen zwei Jahren zu hören und zu lesen waren, wurde immer wieder betont, dass es um den „Kampf“ der Kundenschnittstelle oder um eine Alternative zu den internationalen Schemes geht. Jedoch ist die Sicherstellung der Kundenbeziehungen im Bankgeschäft oder das Generieren von Neugeschäft nicht wirklich Aufgabe des Staates und damit des Steuerzahlers.

Eines hat der Krieg in der Ukraine uns schon jetzt vor Augen geführt: Kommunikationsdienste im Zahlungsverkehr wie SWIFT oder Zahlungsverkehrsinfrastrukturen, wie sie von Mastercard oder VISA betrieben werden, stellen ein scharfes Schwert für Sanktionen dar. Sie sorgen zugleich auch für Transparenz, bzw. unterstützen die Demokratisierung. Jetzt wird sich mancher vielleicht fragen, warum digitales Bezahlen die Demokratisierung unterstützt. In einem Land wie Russland trägt die Sanktion der Suspendierung dieser Zahlungsmethoden auch dazu bei, dass das Volk merkt, dass ihr Präsident sie hinters Licht führt. In vielen Ländern ist das Bargeld noch die weit dominierende Form des Bezahlens – mit allen Nebeneffekten wie Korruption oder Geldwäsche. Die Durchdringung eines Landes mit digitalen Paymentlösungen hat daher neben den wirtschaftlichen Aspekten auch einen demokratisierenden und damit sozialen Aspekt.

Aber kommen wir nochmal zurück auf den letzten Tag, als wir noch alle von der Friedensdividende leben konnten und der Begriff „Zeitenwende“ noch keine Rolle spielte. Am 23. Februar machten die Herren Dohms & Kirchner morgens mit der Schlagzeile auf: „EPI nach Geno-Rückzug vorm Aus“. Uns Payment-Insidern hat diese Nachricht nicht unbedingt den Puls direkt auf 180 gebracht, stand die Entscheidung der Genossen doch schon länger aus. Aber ein wenig überraschend war sie dann doch. Und aus heutiger Perspektive müssen sich alle (ehemaligen) EPI Entscheider die Frage gefallen lassen, ob diese Entscheidung denn klug war.

An den finanziellen Möglichkeiten der Institute, die ihr „EPI-Aus“ erklärt haben, kann es nach Ansicht externer Beobachter nicht wirklich gelegen haben. Schließlich haben die Institute der deutschen Kreditwirtschaft in den vergangenen Jahren u.a. Sondererträge aus dem Verkauf von Legacy-Paymentunternehmen erzielt, die man eigentlich in Paymentinnovation investieren wollte. Und bei einem Ergebnis von 3,1 Milliarden Euro vor Steuern bei der DZ Bank hätte im Budget 2022 doch theoretisch etwas für EPI eingeplant werden können. Es stellt sich daher die Frage, was denn, neben den stets betonten betriebswirtschaftlichen, die „anderen“ Gründe für das negative Votum gegen EPI waren. Lag es daran, dass die als erstes Produkt favorisierte P2P Lösung keine „Breaking News“ gewesen wäre? Oder gab es wirklich zu viele Befürworter der guten alten Girocard, die mit stoischer Gelassenheit diese als Plattform-Kern von EPI propagierten? Eigentlich sollten alle (Payment-)Strategen in den letzten Jahren gelernt haben, dass mit Alleingängen in der heutigen Zeit nichts zu gewinnen ist. Aber wer weiß letztlich, was zum Status quo bei EPI geführt hat? Und letztlich ist es jetzt sowieso Vergangenheit.

Seit dem 24. Februar sind wir in einer neuen, definitiv nicht besseren Welt angekommen. Die politisch Verantwortlichen haben jetzt alle Hände voll zu tun, um sich für die Wiederherstellung des Friedens einzusetzen und die Auswirkungen dieses Krieges zu bewältigen. Viele internationale Unternehmen haben in den letzten Tagen ihre Bereitschaft erklärt, die Sanktionen gegen das Putin-Regime zu unterstützen – so auch Mastercard und Visa.

Vielleicht ist dies aber auch ein guter Zeitpunkt für die verschiedenen Akteure im europäischen Banking und Payment wirklich europäische Lösungen neu zu denken. Bei EPI lagen die ablehnenden Entscheidungen möglicherweise an den bisherigen Konzepten, die noch zu sehr auf die alte Payment-Welt Rücksicht nahmen. Oder vielleicht lag es auch daran, dass mit dem Zusatz „Interim-Company“ das Zaudern und Zögern schon bildhaft manifestiert war. Nach diesem „Epochenwechsel“ bietet sich die Chance nochmals in sich zu gehen, um sich zu fragen, wie man das noch niemals so geeinte Europa jetzt auch mit europäisch geprägten Banking- und Paymentangeboten stärken und innovativer aufstellen kann. Und eines sollte uns in den letzten Tagen nochmals bewusst geworden sein: eine Verbindung zu bzw. Zusammenarbeit mit den amerikanischen Angeboten und Plattformen sollte beim Neudenken nicht ausgeschlossen werden.

Hoffen wir, dass dieser Krieg und das damit einhergehende Leid schnellstmöglich ein Ende finden und wir uns in nicht allzu ferner Zukunft wieder mit unseren Banking und Paymentthemen befassen dürfen, statt ohnmächtig Zeuge der Aggression eines unkalkulierbaren russischen Präsidenten zu werden.

Marcus W. Mosen kommentiert Payment- oder Bankingthemen auf unterschiedlichen Portalen und erfreut seine Follower auf Twitter (@mwmosen) mit pointierten Beiträgen zu Payment, Fintech oder Politik. Ab sofort finden Sie bei uns monatlich seine Gastkolumne „instant messages by…“ zum aktuellen Geschehen im Payment, Banking & Co.

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