Schon das Wort Inkasso löst selbst bei Menschen, die bei Unternehmen oder Gläubigern nicht in der Kreide stehen, Unbehagen aus. Wie geht es erst Schuldnern, die eh schon in den Miesen sind und dann auch noch Geld an ihre Gläubiger zahlen sollen? Wer nicht zahlt, bekommt in der Regel erst einmal eine Standard-Mahnung. Nett klingen die nie, denn statt freundlicher Worte stehen darin unmissverständliche Formulierungen, dass zu zahlen ist, sonst – tja, was sonst? Ist eigentlich auch egal, denn das Problem dieser Mahnungen: sie helfen oft wenig.
Pair Finance geht da einen anderen Weg und setzt bei der Schuldneransprache auf Behavioral Science, einer Forschungsrichtung innerhalb der Psychologie. Doch was hat ein technologisches und datengetriebenes Unternehmen im Bereich Inkasso und Forderungsmanagement damit zu tun?
Kooperation statt Konfrontation mit dem Schuldner
„Im Inkasso geht es darum, mit Menschen zu arbeiten und zu kontaktieren, die völlig unterschiedliche Bedürfnisse haben und Gründe, warum sie der Forderung nicht nachkommen können“, sagt Minou Ghaffari, Head of Behavioral Science bei Pair Finance.
Um das zu verstehen, sollen Methodiken der Psychologie dabei helfen, die Schwierigkeiten der Schuldner zu verstehen, um einerseits den besten Kommunikationsweg zu nutzen, anderseits auch, um die richtige Lösung anzubieten. Wie und auf welchem Weg erreiche ich den Kunden und wie kann er das Geld am besten zurückzahlen?
KI hilft dabei, Schuldnertypen zu identifizieren
„Wir stimmen die Ansprache an die Kunden sehr fein mit den Daten, die uns in der Regel von den Mandanten überlassen werden, ab, um zu entscheiden, wie wir an die Kunden herantreten“, sagt Ghaffari. Die Palette ist dabei groß und reicht vom kumpelhaften ‚Hey, du hast deine Schulden noch nicht bezahlt‘, bis hin zu sehr formellen Ansprachen. Auch das Schreiben wird über verschiedene Wege ausgespielt – je nach Profilanalyse des Kunden. Eine KI hilft dabei, die Schuldnertypen zu identifizieren. Denn: Kein Schuldner gleicht dem anderen. Was bei dem einen hilft, um die Schulden zu bezahlen, hilft bei dem anderen noch lange nicht.
Angesprochen werden die Schuldner also dort, wo sie die Nachricht am ehesten wahrnehmen: entweder per Mail, WhatsApp oder SMS und eben nicht per Post. Das macht Sinn, denn wer online shoppt, so die Denke, ist digital affin und klickt eher auf die angebotenen Zahlungslösungen, z.B. Ratenzahlungen, als dass er einen Überweisungsträger zur Bank trägt.
Unterschied zwischen Männern und Frauen
Anhand der Analyse von Alter, Geschlecht und auch der Forderungshöhe sowie vieler weiterer Paramenter versendet Pair Finance aktuell fünf verschiedene Anschreiben. Was zum Beispiel gut funktioniert: der Appell an das eigene Gewissen – und damit ein ganz „alter“ Trick der Psychologie. „Wir haben gesehen, dass dieses Vorgehen bei Frauen besser funktioniert als für Männer“, sagt die Psychologin.
In regelmäßigen Abständen überprüft das Team um Ghaffari dennoch die Methodik, um darzustellen, inwieweit die offenen Forderungen weiterhin effizient, schneller und gleichzeitig kundenorientiert sind.
Die Psychologie ist eine lukrative Sache
„Mit dieser psychologischen Herangehensweise ist das Berliner Startup bislang das einzige in der Inkasso-Branche“, sagt Ghaffari. „Es kann aber dazu beitragen, das schlechte Image des Inkasso-Verfahrens zu verändern, z.B. indem wir lösungsorientiert arbeiten.“ Ein Ansatz, der sich auszahlt: Verglichen mit dem Marktdurchschnitt ist Pair Finance um bis zu 15 Prozent erfolgreicher, als andere Inkasso-Firmen. Da Pair Finance eine Gebühr an den Forderungen, die es zurückholen kann, verdient, klingt das nach einer durchaus lukrativen Sache.
Für 300 Firmen treibt Pair Finance auf diese Weise bereits das Geld ein, darunter Kunden Home24, das Payment-Unternehmen Klarna und Zalando. Der Berliner Modehändler legte im vergangenen Jahr zwei Millionen Euro Funding an Pair Finance nach, die Bewertung stand im Juni 2020 bei 60 Mio. Euro.