Die von der europäischen Kommission verbotene Fusion von Siemens und Alstom führte in den vergangenen Wochen zu Diskussionen um eine europäische Industriepolitik. In der Debatte vorne dran: der Bundeswirtschaftsminister Altmaier mit seinem französischen Kollegen Le Maire.

Manchmal ist es im Leben wie mit einem Unfall. Man sieht, dass es gleich kracht und man kann nichts tun außer zuzuschauen. Und wenn es dann passiert ist, kann man auch irgendwie nicht weggucken. Genauso fühlt man sich gerade in der Diskussion um eine neue europäische Industriepolitik. Angesteckt oder inspiriert durch die “Sinophobie” aus den USA versuchte die Politik mit dem kruden Argument eines europäischen Champions die Fusion von Siemens und Alstom zu einem europäischen “Eisenbahn-Champion” zu forcieren, weil man ja sonst nicht konkurrenzfähig sei, gegen die chinesischen Anbieter.

Protektionismus oder Innovation?

Nahezu zeitgleich machte dieses Video in den sozialen Netzwerken die Runde. Dies zeigt eine batteriebetriebene Straßenbahn, die innerhalb weniger Wochen in Betrieb genommen werden kann, weil sie keine Infrastruktur (Oberleitungen oder Schienen) benötigt, sondern nur eine “Fahrbahnmarkierung”.

Des Weiteren kann die Straßenbahn komplett mit Ökostrom geladen werden (was übrigens auch die Empfehlung des chinesischen Herstellers ist). Eine schnelle Google-Suche findet bei keinem der Partner des “europäischen Champions” auch nur ansatzweise ein vergleichbares Konzept, geschweige denn ein fertiges vergleichbares Produkt.

Europas Industriepolitik-Desaster

Was also genau außer Protektionismus soll mit einem Zusammenschluss erreicht werden? In der Mathematik gilt: Minus mal Minus ergibt Plus- aber sicherlich nicht bei Innovationen. Die Diskussion um den ebenso abstrusen Merger von Deutscher Bank und Commerzbank ersparen wir uns lieber, da gab es schon genug Meinungen zu und gucken uns lieber “verwandte” Bereiche an.

In der Diskussion um Industriepolitik kommt man derzeit dann auch nicht um das Thema Huawei herum. Auch hier schießt man sich mal wieder mit Absicht selbst in den Fuß. Der Diskussion darum, ob Huawei nun eine Backdoor für die chinesischen Sicherheitsdienste darstellt oder nicht, seien nur folgende Sätze gewidmet: Die russischen Telekom-Netze nutzen Huawei und deren Sicherheitsdienste haben das Equipment geauditet, selbst die UK Dienste haben bestätigt, dass das Risiko managebar sei.

Digitale Infrastruktur: „Europa ist hinten dran“

Inzwischen scheint ja zumindest Trump auch etwas moderater zu werden, obwohl es natürlich wieder bizarr ist, wenn er von 6G spricht (die Pillen von dem will ich nicht haben). Trotz dieser Abstrusität hat Trump (ausnahmsweise) mal einen validen Punkt (unfassbar). Wettbewerb gewinnt man durch Innovation und nicht durch die Ausgrenzung / Protektionismus.

Einer der größten Profiteure aus dem Huawei-Fiasko sollte Ericsson sein. Als einer der wenigen übrig gebliebenen Netzwerk-Ausrüster sollte man meinen, dass deren CEO gerade vor Freude nicht weiß, wohin mit sich selbst. Stattdessen sagt Herr Ekholm der FT, dass diese Unsicherheit eher zur kompletten Lähmung geführt hat, weil jetzt niemand irgendwas macht. Im gleichen Artikel wird er zitiert mit: “Bei 5G sind wir in Europa wieder einmal hinten dran” und ”5G-Ausbau ist volle Fahrt voraus in den USA und Asien und in Europa haben die meisten Staaten noch nicht mal angefangen das Spektrum zu verkaufen”. Weiterhin warnt er, wie auch Trump: “Wenn wir Angst vor Konkurrenz haben, dann kommt Innovation zum Erliegen”. Er schließt ab mit “wir haben keine positive Investment-Umgebung in Europa, das ist das Problem”.

Ausverkauf von europäischem Wissen?

Europas Industriepolitik-Desaster

Was ist also jetzt mit diesem Verlangen nach europäischen Champions? Was mit der “Gefahr” durch Big Tech und die Chinesen? Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel im Bereich AI / BigData. Jeder Politiker hat jetzt als Reflex sofort das Wort “Kuka” auf den Lippen.

Der Hersteller von Industrie-Robotern wurde 2017 durch einen chinesischen Investor übernommen. Es folgten endlose Diskussionen um den “Abverkauf” von deutschem/europäischem Know-how. Es lässt sich eine direkte Linie ziehen von der Kuka-Diskussion über die geplatzte Alstom/Siemens-Übernahme bis hin zu den abstrusen Vorschlägen von Altmaier und Le Maire, Übernahmen zu erschweren oder gar zu blockieren.

Dass die Diskussionen sich überhaupt um Kuka und Siemens drehen zeigt, wie falsch die Denke überhaupt schon ist. Potentielle Champions sind nicht Großkonzerne mit hunderten oder tausenden von Mitarbeitern (und Wählern).

Der Fall Data Artisans

Im Januar 2019 wurde in Berlin ein relativ unbekanntes Start-Up namens Data Artisans von Alibaba übernommen. Data Artisans waren die treibende Kraft hinter Apache Flink, einer Technologie, mit der Daten in Echtzeit ausgewertet werden können (Stream Processing). Die Kunden von Data Artisans sind das „Who is Who“ der Daten-Ökonomie: Uber, Airbnb, Zalando und natürlich irgendwann auch Alibaba. Jeder, der also an die These glaubt, dass eher mehr als weniger Daten anfallen werden und dass Echtzeit-Verarbeitung von Daten in Zukunft ein Muss darstellt, hätte also erkennen können, dass dieses Unternehmen das Potential zu einem Champion darstellt. Die Investoren in Data Artisans waren Btov, Intel und Tengelmann. Später stieg Alibaba auch schon als Investor ein.

Ist das Unternehmen auch nur irgendwo auf dem Radar von Industriepolitikern? Exakt. Wie denn auch? Solange die Politik sich weiterhin auf die Überbleibsel der “Deutschland AG” fokussiert, wird das mit den europäischen Champions nichts werden. Stattdessen philosophiert man gern über ein europäisches Payment Scheme.

Der Fall Data Artisans zeigt recht eindrucksvoll die Misere. Das Unternehmen hat ein enormes Potential, was frühzeitig von Investoren erkannt wurde. Der Exit an Alibaba war sicherlich nicht nur monetär getrieben, sondern vielmehr bietet Alibaba dem Unternehmen und den Gründern eine Umgebung, die sonst vermutlich nur ein BigTech-Konzern hätte bieten können.

Europas Industriepolitik-Desaster

Jetzt sind wir also beim Henne-Ei-Problem angekommen. Wenn man keinen europäischen Champion hat, dann kann man auch solche High-Tech-Unternehmen nicht absorbieren. Aber ist das wirklich so?

Faszinierend ist, dass sich in der Kundenliste von Data Artisans erstaunlich wenige europäische Großkonzerne wiederfinden. Man sollte meinen, dass von der Automobilindustrie bis hin zum Energie- und Telko-Sektor alle Unternehmen die Stream-Processing-Technik hervorragend hätten nutzen können/müssen. Solange diese Großkonzerne aber lieber Zeit in Proof-of-Concepts mit Start-Ups verschwenden, statt neue Technologien dieser Innovatoren produktiv einzusetzen, werden diese Start-Ups einfacher und schneller Kunden außerhalb von Europa finden und damit auch dort auf das Übernahme-Radar geraten.

Singapur: erfolgreiche Industriepolitik

Interessanterweise hat die deutsche Politik bereits ein Vehikel, um eigentlich am Puls der Zeit zu sein – den High-Tech-Gründerfonds (HTGF). Dieses, seit 2005 bestehende Investmentvehikel schreibt sich auf die Fahnen: “Mit Know-how, Entrepreneurial-Spirit und Leidenschaft, durch ein erfahrenes Team aus Investment-Managern und Startup-Experten, die besten Unternehmen auf ihrem Weg von der Gründung bis zum Erfolg zu begleiten. Dabei liegt der Fokus auf Start-Ups mit Growth-Potential…“ Leider ist der HTGF aber nur ein Frühphasen-Investor und kein Growth-Investor, den es eigentlich bräuchte um potentielle Champions wie Data Artisans langfristig zu begleiten.

„Leider ist der HTGF nur ein Frühphasen-Investor und kein Growth-Investor. Den bräuchte es eigentlich, um potentielle Champions wie Data Artisans langfristig zu begleiten.“

Erfolgreiche Industriepolitik außerhalb der chinesischen “Blase” sieht man am Besten in Singapur mit dem Temasek Investment-Vehikel oder mit dem nicht-staatlichen SoftBank Vision Fund. Champions, insbesondere potentielle Champions, brauchen keinen Protektionismus und neue Regeln, sondern, wie der Ericsson-CEO so schön formulierte: Ein “positives Investment-Klima” mit den richtigen Vehikeln. Ein deutscher 3 Mrd. AI Fond, der auf Abruf zur Verfügung steht, hilft keinem. Es bedarf aktivem Investment-Managements á la Temasek in Zukunftstechnologien mit den richtigen europäischen Mitteln (und nicht nur Einzelstaaten-Budgets) in der richtigen Höhe. Allein bei der Vorstellung, was daraus für ein bürokratisches Monster entstehen könnte, wird einem angst und bange. Man sollte es “falsch” machen und dem Vehikel nicht die notwendigen Freiheitsgrade geben. Ohne solch einen “europäischen HTGF-Growth-Fond” wird europäische Industriepolitik, die europäische Champions hervorbringt, schwierig.

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