Eine Welt ohne Schein

Eine Welt ohne Schein

Die friedliche Revolution des Zahlungsverkehrs – die Zukunft kennt kein Bargeld mehr?!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Berliner Zeitung. Mit dieser Finanz-Kolumne in der Berliner Zeitung werden wir regelmäßig einen Blick in die nahe Zukunft der Finanz- und Bankenwelt werfen und wird hier ebenfalls abgebildet. Dieser Beitrag von André M. Bajorat ist der Auftakt.

Vor 30 Jahren erreichte eine der beeindruckendsten friedlichen Revolutionen mit dem Mauerfall ihren Höhepunkt. Von jeher bezeichnet der Begriff Revolution eine Umwälzung von bestimmenden Strukturen. Und somit sind wir schon beim Thema: Auch in der Finanzwelt wird immer wieder von Revolutionen, oftmals sogar Disruptionen gesprochen, die für Experten Logik und Konsequenz haben, für die Laien aber viele Jahrzehnte oder Generationen brauchen, um sie nachzuvollziehen.

So wie die Revolution, die eher schleichend, aber vor allem friedlich in unseren Geldbörsen und Smartphones stattfindet: eine Welt, die sich des Bargelds entledigt.

Was auffällt, wenn man sich mit Deutschland, dem Mauerfall und dem Geld beschäftigt, ist, dass die damalige Währung, die Mark, sehr emotional belegt war und bei vielen sogar als starkes Symbol der Freiheit galt. Hier kommen wir zu einem wichtigen Punkt, der die Liebe der Deutschen zum Bargeld (egal ob Westmark, D-Mark oder heute den Euro) erklärt. 

Wie kaum ein zweites Land hängen wir Deutschen an unseren Scheinen und Münzen. Die Deutschen verspüren regelrechte Ängste, wenn es um eine Abschaffung von Bargeld geht. Woher die Angst kommt und warum sie in Deutschland stärker ausgeprägt ist als in anderen Ländern, darüber kann man sicherlich streiten.

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Bargeld bietet Übersichtlichkeit

Ein Blick in die Geldbörse genügt, um zu sehen, wie viel ich ausgegeben oder noch übrig habe. Man hat dann zumindest ansatzweise ein Gefühl dafür, ob man sich etwas leisten kann. Es ist dieses psychologische Kontrollsignal, das die Deutschen so am Bargeld schätzen. Kontrollverlust bedeutet, dass die Bürger vom Staat oder den Banken kontrolliert werden können. Davor fürchteten sich die Deutschen.

Hinzu kommt, dass man mit dem Inhalt im Portemonnaie einen direkten Gegenwert hat, der die Kontrolle natürlich um ein Vielfaches vereinfacht. Und ein dickes Bündel aus Geldscheinen war lange Zeit das Symbol schlechthin für Wohlstand und Unabhängigkeit.

Doch was wäre, wenn wir diese emotionale Beziehung zu unserem Geld aufgeben würden? Geht uns etwas verloren oder gewinnen wir gar etwas, wenn wir plötzlich kein Bargeld mehr in Hosentasche und Portemonnaie haben sollten?

Lassen Sie uns zurück auf die Wendezeit schauen: Stand die D-Mark zur Wendezeit wohl vor allem für die Freiheit reisen und kaufen zu können, wohin man will und was man will, so ist dies heute doch lange nicht mehr so. Ganz im Gegenteil: Bargeld behindert und reduziert unsere Möglichkeiten in einer immer digitaleren Welt. Eine Reise, einen Flug mit Bargeld bezahlen? Kaum noch möglich? Netflix schauen oder Spotify hören und Münzen nach Stockholm oder in die USA senden? Eher nein.

„Bargeld reduziert unsere Möglichkeiten in einer immer digitaleren Welt.“

Geld ist geprägte Freiheit

Bargeld bietet also nicht nur vermeintliche Vorteile, schon gar nicht in Zeiten, in denen über Digitalisierung als Fortschritt gesprochen wird. Die Nachteile liegen im wahrsten Sinne des Wortes auf der Hand. Bargeld ist teuer, zu den Kosten, die der Betrieb von rund 58 000 deutschen Geldautomaten mit sich bringt, kommen die Kosten der Bargeldversorgung (und -Entsorgung) des Einzelhandels. Hier sprechen wir von 7 Milliarden Euro.

Geld ist sprichwörtlich dreckig. Eine DNA-Analyse von 80 Banknoten brachte 3 000 Arten von Bakterien zum Vorschein, von denen einige den Wissenschaftlern sogar unbekannt waren. Dazu gesellten sich Spuren von Milzbrand, Diphtherie und verschiedener Drogen. Bargeld eignet sich hervorragend für die Bezahlung krimineller Dinge, sei es der Kauf von waffenfähigem Plutonium beim Dealer seines Vertrauens oder für sonstige Schwarzgeldzahlungen.

Vom russischen Dichter Dostojewski stammt das Zitat: Geld ist geprägte Freiheit. 2019 müssen wir uns fragen: Ist die Abschaffung von Scheinen und Münzen der Garant für grenzenlose Freiheit? Nein, allerdings immer und überall digital oder auch mit Plastik bezahlen zu können, erweitert unsere Möglichkeiten und schafft eine Grenzenlosigkeit, die wir so mit Bargeld nicht hatten und haben werden. Eine kürzlich gewonnene private Erfahrung zeigt das: Ich bin in diesem Sommer durch acht europäische Länder mit fünf unterschiedlichen Währungen gereist, ohne einmal darüber nachdenken zu müssen, ob ich Bargeld benötige, da ich immer und überall die Wahl hatte, bargeldlos zu zahlen. Es war großartig und gab mir ein sehr großes Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit.

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In Vorbereitung für diesen Text habe ich vor einigen Tagen meine Twitter-Gemeinde gefragt, was die Gründe für das Festhalten am Bargeld sind. Das Ergebnis hat mich ehrlicherweise in bisschen überrascht. Die drei gängigsten Antworten: Tradition, Schwarzgeld, Datenschutz. Klar, Bestechung und Hinterziehung sind vor allem mit Bargeld möglich. 

Der deutsche Staat würde jährlich 35       Milliarden Euro mehr einnehmen, wenn nach Abschaffung des Bargelds die Schattenwirtschaft eingedämmt würde. Das schätzen Forscher der Steinbeis-Hochschule. Ein Bargeldverbot würde Schwarzarbeit erschweren, aber auch   Drogenhandel, Prostitution und illegales Glücksspiel.

Gerade deswegen ist dieser Punkt ein weiteres und starkes Argument für mich, so schnell wie möglich die Wahlfreiheit zwischen bar und bargeldlos überall zu haben, da mit Sicherheit ein Wandel im Verhalten hin zum Bargeldlosen stattfinden wird.

Erste Schritte sind getan, eine Menge bleibt zu tun

Auffällig ist, dass ein nachhaltiger Wandel im Verhalten oft Rahmenbedingungen braucht, die wir beim Thema Bargeldlosigkeit inzwischen in Deutschland erreicht haben: Discounter wie Aldi, Lidl und Rewe akzeptieren längst bargeldloses Bezahlen, da das immer angeführte Kostenthema nicht mehr vorhanden ist. Die im Alltag omnipräsenten Giganten Apple und Google sind mit ihren Payment-Lösungen auch bei uns angekommen. Die Infrastruktur bei den meisten Händlern ist modern und dank Berliner Unternehmen wie SumUp auch bei vielen kleinen Unternehmen vorhanden. Banken rüsten alle Kunden mit modernen Zahlkarten aus. Jeder Kunde, der auch ein Girokonto besitzt, hat dazu auch eine Girocard oder sogar eine Kreditkarte. Und ist somit mit einem modernen, legalen und praktischen Zahlungsmittel jenseits von Bargeld ausgestattet. Mit dem Einsatz und der Einführung von Kartenterminals im Einzelhandel in den Nullerjahren, hatten wir plötzlich die Möglichkeit, frei zu entscheiden, wie wir unsere Einkäufe bezahlen wollen, und die Rahmenbedingungen für eine Gesellschaft mit weniger Bargeld wurden so geschaffen.

Leider haben diese positiven Rahmenbedingungen in Deutschland länger auf sich warten lassen als in anderen Ländern. Erste Schritte sind getan, aber wir haben eine Menge zu tun, um gegenüber anderen Nationen aufzuholen, geschweige denn in die Poleposition zu gelangen.

Deutschland hat in vielerlei Hinsicht eine Vorreiterrolle. Im Sinne der Digitalisierung sind wir allerdings im internationalen Vergleich ziemlich abgeschlagen. Seit der Einführung des Euro 2002 bezahlen wir zusammen mit 23 anderen Staaten in der gleichen Währung. Wir nutzen also eine „europäische Währung“, fallen aber im gesamteuropäischen Vergleich mit unseren Nachbarländern im Sinne der Digitalisierung total ab – und ein Aspekt davon ist unser Festhalten am Bargeld.

Mein letzter Urlaub hat es mir noch einmal vor Augen geführt, unsere Nachbarländer machen es ganz anders. Nehmen wir das Extrembeispiel Schweden. Als ein Land mit hoher technologischer Affinität, positioniert sich Schweden als Experte für bargeldloses Leben. Im Durchschnitt zahlt jede Person in Schweden 207-mal jährlich mit einer Karte.

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Im Vergleich dazu wird die Zahl in Frankreich auf 142 geschätzt. Das schwedische Zahlungssystem ist so konstruiert, dass Bargeld leicht vermieden und das Papiergeld in der Geldbörse vergessen werden kann.  Egal, ob Sie mit dem Bus fahren oder frische Früchte von Straßen-verkäufern kaufen möchten – in Schweden kann man alles per Karte oder dem Handy bezahlen.

Bargeld scheint auch nicht mehr willkommen: Stockholms Metro hat aufgehört Papierscheine oder Münzen anzunehmen, sodass die Metrokarte nur noch elektronisch bezahlt werden kann. Darüber hinaus haben viele kleine Geschäfte eine gesetzliche Genehmigung erlangt, um kein Bargeld mehr akzeptieren zu dürfen. Nur ein Fünftel der Einkäufe in schwedischen Geschäften wird in bar bezahlt. Der Guardian berichtete, dass in einer Kirche in Stockholm nur 15 Prozent der Spenden im letzten Jahr in bar bezahlt wurden. Noch spannender ist die Tatsache, dass die meisten Spenden nicht mit einer Kreditkarte gemacht wurden, sondern mithilfe einer mobilen App namens Swish. Die App ermöglicht Zahlungen durch das Anschließen eines Bankkontos an die Handynummer. Swish-Transaktionen funktionieren genauso schnell wie das Bezahlen mit Bargeld.

Schweden als glänzendes Beispiel

Die schwedische bargeldlose Kultur geht noch ein Stück weiter: Einen nah gelegenen Geldautomaten zu finden, ist zu einer fast unmöglichen Aufgabe geworden. Sogar wenn Sie das Glück haben, einen zu entdecken, ist dieser meist mit einer Schicht Staub überzogen: 900 von 1 600 schwedischen Bankfilialen halten kein Bargeld bereit, einige von ihnen haben bereits keine Geldautomaten mehr.

Schweden ist ein glänzendes Beispiel für eine bargeldlose Zukunft. Es gibt nur wenige Gründe, warum Bargeld in Schweden nicht vollständig verschwindet. Erstens: Die ältere Generation nutzt immer noch Münzen und Papiergeld. Zweitens: Komplett auf digitale Zahlungsarten umzusteigen wäre ein großer Schritt, der eine ganze Reihe von Entscheidungen und Maßnahmen seitens der Regierung voraussetzt.

„Schweden ist ein glänzendes Beispiel für eine bargeldlose Zukunft.“

Sie sehen also, in Schweden ist die Zahlung ohne Münzen und Scheine keine Revolution, sondern eine Evolution in der Gesellschaft. Damit ist kein radikaler Wandel gemeint, sondern ein Prozess, der sich schrittweise durch Reformen vollzogen hat.

Es gibt Revolutionen auf vielen Ebenen und in unterschiedlichen Kontexten. Diese können gewaltsam oder friedlich vonstatten gehen. Von welcher Revolution wir hier sprechen ist eindeutig. Wenn ich von einer Revolution des Zahlungsverkehrs spreche, dann meine ich bestimmte Stufen einer Entwicklung. Mit der Digitalisierung und dem Fortschritt haben sich neue Möglichkeiten des Bezahlens entwickelt. Heute kann jeder selbst entscheiden, ob er lieber bar, mit Karte, online mit seiner hinterlegten Zahlungsmethode oder sogar mobil mit einem entsprechenden Endgerät bezahlt.

Und genau das ist die eigentliche Revolution. Wir haben uns die Freiheit geschaffen, in einer Gesellschaft zu leben, die uns nicht vorschreibt, wie wir bezahlen müssen oder sollen, sondern wir können darüber frei entscheiden.

Autor

  • André M. Bajorat ist seit fast 30 Jahren in der deutschen Digitalwirtschaft zu Hause. Über die Stationen SK Online, Star Finanz, giropay und Number Four kam er 2012 als Business Angel zu figo. Das Unternehmen führte er von 2014 bis September 2019 als CEO von einer b2c App zu einem von der BaFin regulierten Banking as a Service Provider. Seit 2020 ist er Teil des deutsche Bank Konzerns und seit Mitte 2022 Managing Director bei einem deutschen Assetmanager. Er ist zudem Gründer und Herausgeber des erfolgreichen Branchen-Portals paymentandbanking.com, Podcaster, Investor (figo, Finleap, Loanlink, Sparkdata, Weddyplace, nufin, portify, moss, compa, brygge, embeddedcapital, PlanetA, Naro), Mitglied im Digital Finance Forum des Bundesfinanzministeriums, aktives Mitglied im Bitkom, Herausgeber des Buches “Köpfe der digitalen Finanzwelt” und international gefragter Speaker. Inhaltliche Schwerpunkte sind Banking, Payment, FinTech, API-Banking, digital Assets und Crypto. Außerdem ist er Mit-Initiator und Ausrichter der Wahl zum „FinTech des Jahres” sowie der Eventreihen Bankathon, Payment Exchange, Banking Exchange und Transactions.io.

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