DSW: „Wenn die BaFin warnt, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen“

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (kurz: DSW) besteht seit 1947 und hat rund 30.000 Mitglieder. Vom Sitz in Düsseldorf aus arbeitet die Zentrale mit acht Landesverbänden zusammen. Sie vertritt Anleger, die falsch informiert, fehlerhaft beraten oder betrogen wurden – unter anderem jene Anleger, die in den Skandal-Finanzdienstleister Wirecard investiert hatten. 

In Zeiten, in denen sich auch Neulinge auf das Handelsparkett wagen, sprechen wir mit Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler über deren Arbeit, die Herausforderungen und was Banken und Fintechs wie Neobroker besser machen müssen und können, damit Anleger abgesichert sind.

Herr Tüngler, wovon sollte ich als Anleger:in zurzeit am dringendsten die Finger lassen?

Auf dem Grauen Kapitalmarkt sollten Anleger weiterhin aufpassen, und zwar gerade, wenn man sich lange mit einer Anlage bindet. Viele unterschätzen das, denn dort gibt es keinen Börsenkurs, der einen laufend über Erfolg und Misserfolg informiert. Manche wiegt das in Sicherheit, doch es ist das Gegenteil.

Sie warnen vor Gefahren und Risiken, sind aber nicht dafür da, den Erfolg einer Kapitalanlage zu garantieren. Ist das den Menschen klar, die sich an Sie wenden?

Wir sind sicher keine Vollkaskoversicherung, das ist richtig. Wir merken aber schon, dass da eine enorme Erwartungshaltung besteht, zum Beispiel im Fall Wirecard, wo wir 20.000 Anleger betreuen. Wir sind aber nicht dafür da, mit Schnellschüssen nur Effekte zu produzieren, sondern gemeinsam zu kämpfen und auch Druck auszuüben durch die Breite und Tiefe an Kampagnen sowie Aktivitäten. Jeder Einzelne, der die Gruppe größer macht, ist dabei wichtig – wir orchestrieren das. Da ist nicht die DSW, die Anleger schützt, sondern die Anleger SIND die DSW.

Was sind denn typische Fälle, in denen sich Mitglieder an Sie wenden?

Uns erreichen im Jahr rund 35.000 Anfragen, also pro Werktag im Schnitt 150. In Spitzenzeiten sind es aber deutlich mehr. Wenn irgendwo irgendetwas passiert, bekommen wir das sehr schnell mit, eben weil sich die Anleger bei uns melden. Das ist ein gutes Frühwarnsystem. Dadurch, dass wir dann viele Anfragen in der gleichen Sache haben, können wir sammeln und informieren per Rundschreiben, weil wir das mit individuellen Kontakten sonst gar nicht mehr schaffen.

Manchmal würden wir uns aber wünschen, dass die Anleger früher merken, wenn etwas nicht stimmt und sich auch früher bei uns melden. Wieder Beispiel Wirecard: Schon im Frühjahr 2019 haben wir ein Compliance-Problem gesehen und auf der Hauptversammlung gesagt, wir entlasten den Vorstand und Aufsichtsrat nicht. Das wollten die Anleger aber nicht hören! Jeder, der Zweifel hatte oder fragte, ob das alles so sein kann, wurde isoliert und auch attackiert. Dabei ist es eine unserer Hauptaufgaben, die Anleger auf Hauptversammlungen zu vertreten und den Finger in die Wunde zu legen. Das ist Präventivarbeit.

„Durch die Neobroker werden viele neue Anleger an die Branche herangeführt. Beide Seiten müssen aber noch erwachsen werden.“

In der Pandemie fanden und finden viele Hauptversammlungen nur online statt. Wie kann man da überhaupt interagieren?

Das ist eine Katastrophe. Die Hauptversammlung ist ja für die Aktionäre da, da geht es ausschließlich um die Eigentümer. Das Wichtigste dort ist der Austausch. Die Leute lassen erkennen, was sie denken und bieten andere Blickwinkel auf das Unternehmen. Das geht online flöten: Wir sind darauf reduziert, zu fragen und dann Antworten zu bekommen. Damit wird die Kontrollfunktion des Aktionärs ad absurdum geführt.

Das heißt aber auch: Diejenigen, vor denen Sie Anleger schützen müssen, sind bei weitem nicht nur klassische Betrüger mit Schnellballsystemen, sondern auch existierende, börsennotierte Unternehmen.

Definitiv. Als die Unternehmen in der Corona-Pandemie Dividenden gestrichen haben, haben sich viele unserer Mitglieder Sorgen gemacht. Da sind wir dann Sparringspartner und überlegen gemeinsam, welche Folgen sich aus bestimmten Entscheidungen und Szenarien ergeben. Was wir nicht machen dürfen, ist die klassische Finanzberatung: Die Frage, ob man kaufen, verkaufen oder halten soll, werden wir nie beantworten. Wir versuchen, den Anleger schlauer zu machen, damit er selber die richtigen Entscheidungen trifft.

Wie grenzen Sie sich zu den Verbraucherschutzzentralen ab?

Die Verbraucherschützer haben das Thema Aktien weniger auf dem Radar, das ist eben unser Metier. Aber wir tauschen uns aus, ergänzen uns und sind keine Konkurrenz. Und wenn es einen geeigneten Fall gibt, arbeiten wir auch zusammen.

Außerdem werden wir in Berlin vom Gesetzgeber zu bestimmten Vorhaben gehört. Da können wir uns in einer Anhörung von mehreren Seiten den Problemen widmen. Denn am Ende des Tages schützen wir als DSW auch Verbraucher, nur eben die etwas speziellere Form der Anleger.

Wie schauen Sie auf Neobroker und Fintechs, die sich in der Branche tummeln?

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Wahrscheinlich positiver, als Sie ahnen. Wir freuen uns über jeden Impuls, durch den das Thema Anlegen in der Bevölkerung mehr und breiter verankert wird. Neobroker spielen da eine große Rolle in den letzten Jahren. Allerdings haben wir schon die Sorge, dass wir Menschen, die sich der Sache eher spielerisch nähern, auch schnell wieder verlieren, wenn die erste Krise kommt. Durch die Neobroker werden viele neue Anleger an die Branche herangeführt. Beide Seiten müssen aber noch erwachsen werden.

Was wünschen Sie sich denn von den jungen Unternehmen?

Mehr Education und Information. Es ist existenziell, dass die Neobroker erklären, wer Geld daran verdient, wenn ein Anleger eine Order platziert. Wenn sie das nicht tun, macht es jemand anderes. Und wenn erstmal die ESMA (Anm.: Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde) oder die BaFin sich des Themas annimmt, kommt der Argwohn. Die Fintechs müssten viel besser erklären, wie ihr Geschäftsmodell funktioniert – und welchen Mehrwert sie dem Anleger bieten.

Und worauf sollten Anleger mehr achten?

Wir sind gerade in einer ganz gefährlichen Phase. Seit 2009 gehen die Börsenkurse fast nur nach oben. Selbst den Corona-Dip haben wir wieder aufgeholt und nun Rekordstände. Wer also in den letzten Jahren eingestiegen ist, hat fast ausschließlich positive Erfahrungen. Und das macht blind für Risiken. Das werfe ich den Anlegern nicht vor, aber ihre Sinne sind nicht geschärft. Schön wäre, wenn sich schlechte Erfahrungen durch Aufklärung vermeiden ließen und niemand im Wortsinn Lehrgeld zahlen muss.

Aufklärung könnte ja auch Sache der Aufsichtsbehörden sein. Klappt das aus Ihrer Sicht?

Die BaFin wird gerade verstärkt und das verstärkt auch die Erwartungshaltung bei den Bürgern. Ich habe aber die Sorge, dass sie dem nicht nachkommen kann, weil sie sich nicht öffnet. Die BaFin müsste viel früher und stärker kommunizieren. Denn wenn sie jetzt warnt, ist ja das Kind schon in den Brunnen gefallen. Dabei hat sie als staatliche Stelle auch zukünftig viel mehr Möglichkeiten, einzugreifen, und diese Karte sollte sie meiner Meinung nach spielen. Es wäre schön für alle, wenn die BaFin transparenter agiert, mehr interagiert und sich so besser in den Kreis DSW – Verbraucherschützer – Aufsicht einfügt.

Marc Tüngler ist Jurist und seit 2011 Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzervereinigung für Wertpapierbesitz.

Header iStock: Bildnachweis: peterschreiber.media

Autor

  • Katharina Kutsche schreibt für die Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung, die Hannoversche Allgemeine Zeitung und andere Auftraggeber – am liebsten über Kriminalität, Arbeitsthemen, Lokales und die Gründerszene. Sie ist gelernte Kriminalbeamtin, absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München und hat einen Master in Journalismus.

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