Ein Gastbeitrag von Michael Duttlinger
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie genau ein Wertpapier in ihr Depot kommt, wenn Sie es über eine Börse kaufen? Vermutlich nicht. Falls doch: Haben Sie gewusst, dass jenes Wertpapier niemals wirklich in ihrem Depot ankommt?
Wertpapiere, ihre Emission, Verwahrung und der Handel basieren auf einer zentralen Kapitalmarkt-Infrastruktur: Dabei wird ein Wertpapier zunächst in einer Globalurkunde verbrieft. Diese Urkunde lagert ein Zentralverwahrer, in Deutschland ist das Clearstream, in einem Tresor ein. Was Sie in Ihrem Depot bei Ihrer Hausbank halten, ist dabei niemals das eigentliche Wertpapier, sondern ein elektronischer Nachweis über das Mitgliedseigentum an jener genannten Globalurkunde. Dieses Prinzip nennt sich Girosammelverwahrung.
Zahlreiche intermediäre Parteien wie Issuance Agents, der Zentralverwahrer, diverse Depotbanken und gegebenenfalls Hausbanken nutzen diese zentrale Infrastruktur und erzeugen für ihre jeweiligen Aufwände Kosten. Der Wettbewerb ist hoch und insbesondere kleine Banken müssen um ihre Rolle im System kämpfen. Und gerade sie sind es, die von einer Digitalisierung des Kapitalmarktes profitieren.
Die Definition von „Tokenisierung“
Die innovative Distributed-Ledger-Technologie, genauer gesagt eine Blockchain, und ihr Einsatz im Finanzwesen kommt den Banken, die unter einem enormen Kostendruck leiden, gerade recht: Jene Technologie hat nämlich das Potenzial, die verkrusteten Strukturen im zentralen Wertpapiersystem zu lösen und eine dezentrale Struktur zu schaffen. Die Blockchain ermöglicht dabei durch die Nutzung sogenannter Smart Contracts eine digitale Abbildung von Eigentums- und Ausschüttungs-rechten: ein digitales Wertpapier.
Dass sich die Finanzbranche vermehrt dieser neuen Infrastrukturtechnologie widmet, hat auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu Beginn des Jahres 2019 festgestellt und die Tokenisierung, wie sich die Emission eines digitalen Wertpapiers bezeichnet, definiert.
Zitat Bafin:
Generell gilt: Für die Einordnung eines Finanzinstruments als Wertpapier im Sinne des § 2 Nr. 1 WpPG bedarf es der Übertragbarkeit, der Handelbarkeit am Finanzmarkt und der Ausstattung mit wertpapierähnlichen Rechten. Eine Verbriefung in Form einer Urkunde, die bei klassischen Wertpapieren die Verkehrsfähigkeit von Finanzinstrumenten sicherstellt, ist für die Einordnung eines Tokens als Wertpapier nicht erforderlich.
Einer der ersten Player, der diesen Trend erkannt hat und auf ihn aufsattelt, ist der Frankfurter Wertpapierspezialist Bankhaus Scheich. Zuständig für offizielle Börsenpreisfeststellungen, betreut das Bankhaus Scheich an der Frankfurter Wertpapierbörse die Orderbücher und bietet die notwendige Liquidität für den Sekundärmarkt. Gemeinsam mit dem Frankfurter Fintech Cashlink und dem Verwahrspezialisten Finoa hat das Bankhaus Scheich Anfang 2020 erstmals einen DAX-Wert als zertifikatsähnliches digitales Wertpapier auf die Blockchain gebracht und die Technologie ausgetestet. Inzwischen entwickelt es ein Produkt, welches die Blockchain-Technologie als grundlegende Infrastruktur einsetzt. Das Ziel: ein strategischer Vorsprung!
Die Auswirkungen der Blockchain-Technologie auf die Strategie von Banken sind massiv und begründen sich in der deutlichen Kostenreduktion, die langfristig durch die Nutzung der neuen Technologie entsteht. Einerseits kann die Bank durch die Nutzung digitaler Wertpapiere deutlich günstiger und zusätzlich auch schneller ein neues Wertpapier, beispielsweise ein Derivat, ausgeben. Damit stehen potenziell mehr Produkte zur Verfügung, mit denen sich ein Umsatz erwirtschaften lässt.
Vorteile Banken
Vielmehr jedoch ermöglicht es die Tokenisierung der Bank, neue Märkte zu erschließen. Durch die geringere Kostenstruktur werden nun nämlich insbesondere solche Assets zum Wertpapier, bei denen sich die Abbildung des Assets als Wertpapier zuvor nicht gelohnt hat: Beispiele hierfür sind Nischenmärkte wie das Investment in Schiffe und Schiffscontainer, bestimmte Immobilien oder Oldtimer.
Was Banken jedoch beachten sollten: Auch andere Player können durch die Tokenisierung nun einfach ein Asset als digitales Wertpapier ausgeben. Möglicherweise verschiebt sich somit die Wertschöpfungskette der Banken, denn wenn sie nicht mehr gebraucht werden, um ein Wertpapier zu emittieren und zu verwahren, braucht man sie beispielsweise als Liquiditätsquelle: Wenn Banken daher früh eine strategische Entscheidung dahingehend treffen, als Market Maker für digitale Wertpapiere zu agieren, haben sie gute Chancen darauf, innovative Assets exklusiv zu listen.
Und einen weiteren Vorteil bringen die Banken mit: Das regulatorische Know-how, eine tiefgreifende Erfahrung mit Compliance-Prozessen und nicht zuletzt ihre Banklizenz können die Banken für sich strategisch gewinnbringend in Partnerschaften nutzen. Auch ihre Erfahrung mit Prozessen und der Zugang zu Unternehmen, die eine Emission anstreben, verschwindet nicht in kürzester Zeit. Ebenfalls zu beobachten ist, dass klassische Banken sich mit der Verwahrung digitaler Werte befassen.
Die Verschiebung der Leistungen in der Wertschöpfungskette durch die digitale Transformation hat für Banken zusätzlich einen weiteren Vorteil: Die Transaktion von digitalen Wertpapieren ist sehr günstig, da sie automatisch von den Smart Contracts durchgeführt wird. Im aktuell herrschenden Preiskampf rund um Transaktionen, der durch die in den Markt eintretenden und nach amerikanischem Vorbild agierenden Neo-Broker wie Trade Republic oder Scalable Capital noch befeuert wird, können die etablierten Banken durch die schlanke Kostenstruktur weiterhin für ihre Kundschaft attraktiv bleiben. Dieser Trend des Zero Commission Trading nimmt in den USA gerade stark zu und man kann damit rechnen, dass er auch hierzulande weiter fortschreitet. Wer sich also bereits früh mit kostensenkenden Infrastrukturen, wie der Blockchain, beschäftigt, wird sich langfristig in führender Position etablieren können.
Aus strategischer Perspektive gilt es zudem zu beachten, dass die in Wertpapieremissionen und -transaktionen involvierten Parteien durch eine digitale Infrastruktur nicht mehr voneinander abhängig sind. Die Bank benötigt den Zentralverwahrer nicht mehr und auch der Einsatz von Depotbanken verlagert sich hin zu regulierten Walletanbietern. Kostenstrukturen vereinfachen sich dadurch enorm und es entsteht Raum für neue Geschäftsmodelle. Durch die Verlagerung der zentralen Infrastruktur hin zu einem dezentral organisierten Kapitalmarkt ändern sich die Aufgaben der verschiedenen Parteien und damit auch die strategische Zukunftsfähigkeit der Geldinstitute, die sie nicht verschlafen sollten.
Über den Autor: Michael Duttlinger
Co-Gründer & CEO von Cashlink
Michael Duttlinger ist Mitgründer und Geschäftsführer von Cashlink, einer der europaweit führenden Tokenization-as-a-Service-Lösungen. In seiner Rolle als CEO orchestriert Duttlinger die verschiedenen Bereiche des Unternehmens und forciert die Vision, durch Tokenisierung den Zugang zu Kapital zu vereinfachen und damit möglichst viele Innovationen zu fördern. Als erfahrener Unternehmer hat Michael Duttlinger zuvor einen Payment-Service für KMU aufgebaut und sich intensiv mit regulatorischen Anforderungen des Kapitalmarktes auseinandergesetzt. Duttlinger spricht als Experte über den Einsatz der Distributed-Ledger-Technologie im Finanzbereich und steht mit staatlichen Institutionen im Austausch zu diesem Thema.