„Compliance-Anforderungen nehmen einen immer breiteren Raum ein. Man benötigt schon sehr spezifisches Branchen-Know-how“, sagt Ralph Schuler, CEO und Vorstandsvorsitzender der SHS Viveon AG, einem Unternehmen, das bereits seit 1991 am Markt agiert. Wir haben ihn gebeten, unseren beliebten Fragebogen auszufüllen.

Seit vielen Jahren stellen wir Akteuren und Gesichtern der Branche unsere Fragen. Dabei erfahren wir eine Menge Insights, darunter unter anderem auch, warum sich Fintechs längst etabliert haben und was aus seiner Sicht die Transformation des Finanzwesens damit zu tun hat und warum er daher auch gerne Sam Altman, dem Erfinder von ChatGPT, treffen würde.

Dürfen wir vorstellen: Ralph Schuler von der SHS Viveon AG.

Wer bist Du, was machst Du?

Ich bin Ralph Schuler, und seit 2018 CEO und Vorstandsvorsitzender der SHS Viveon AG. Wir sind ein an der Münchener M:access Börse notierter, führender Anbieter einer modularen Plattform für die Digitalisierung von Risk-, Fraud- und Compliance-Prozessen, mit einer Vielzahl global operierender Kunden. Das Unternehmen SHS Viveon gibt es schon seit 1991, es ist also einer der frühen Vorreiter in der Fintech -Finanzwelt, das bis heute sehr erfolgreich am Markt agiert.

Wie sieht ein klassischer Tag in Deinem Leben aus?

Bei uns im Haus wird Innovation ganz besonders großgeschrieben. Wir verbessern unsere umfassende Lösung kontinuierlich. Denn mit dieser Lösung werden alle Prozesse des Kredit- und Riskmanagements bis hin zur Lieferketten-Überprüfung durchgängig und für alle relevanten Weltmärkte konsistent abgebildet. Die Weiterentwicklung ist ein sehr agiler Prozess, in dem unsere bewährten Lösungen wie DebiTEX, Riskpilot oder SCC (Supply Chain Compliance) sowie ESG-Compliance (Environment, Social, Governance) Schritt für Schritt zu einem integrierten und flexibel anzupassenden Gesamtsystem verbunden werden. Dabei decken wir verschiedene Einsatzbereiche unserer hochkarätigen Kundschaft ab: in der Public Cloud wie z.B. Azure, AWS, in der SHS Viveon eigenen Cloud, oder der Kunde betreibt die Lösung selbst “on Premise”.

Neben der klassischen Arbeit als Vorstand eines Unternehmens mit über 100 internen und externen Mitarbeitern bin ich deshalb viel in Abstimmungen mit unseren Kunden und unseren Projekt- wie Vertriebsteams sowie unseren EntwicklerInnen, um gemeinsam die besten Lösungen zu verfolgen. Ein weiterer Arbeitsbereich ist die intensive Kommunikation mit dem Kapitalmarkt und den Aktionären für Fragen der Kapitalisierung, aber auch der weiteren strategischen Ausrichtung.

Was waren Deine ersten Berührungen mit der Payment- und Banking-Industrie?

Im Privaten natürlich schon immer durch die Nutzung von E-Commerce Dienstleistungen und bekannten Bankdienstleistungen. Im geschäftlichen Sinne bin ich dann sehr tief durch meinen Eintritt in die SHS Viveon AG in das Thema eingestiegen. Dabei konnte ich dann meine aus früheren Engagements geschärfte Gesamtsicht auf Kundenprozesse und Customer Experience ergänzen durch die Themen Kreditrisiko, Betrugsprävention und regulatorische Compliance. Beides gehört im Sinne von profitablen und erfolgreichen Kundensituationen eng zusammen.

Wann hast Du das Wort Fintech das erste Mal wahrgenommen?

Eigentlich schon vor langer Zeit. Es geht hier insgesamt nicht nur um die Transformation des klassischen Bankenwesens, sondern auch um die Vielzahl neuer Geschäftsmodelle wie z.B. Vergleichsportale, Crowdfunding und weiterer völlig neuer Anwendungen. So ist übrigens die SHS Viveon AG schon seit über 30 Jahren ein Fintech, lange bevor dieser Begriff sich etabliert hat.

Wie definierst Du Fintech?

Ich würde diesen Begriff eher weit als zu eng fassen. Mit dem Aufkommen von Zahlungsverkehrs-Apps, Depot-Verwaltungslösungen und neuen, stärker konsumentenorientierten Finanzdienstleistern reklamierte zunächst eine sehr junge Szene an Gründern und IT-Experten den Begriff zu sich. Ich denke aber, dass der Begriff eher auf die Gesamtheit der Unternehmen passt, die sich mit Technologie-Prozessen im Finanzsektor beschäftigen. Dazu gehört die klassische automatisierte Kreditentscheidung genauso wie eine Harmonisierung von Kernbanken-Systemen, die ja teilweise seit Jahrzehnten im Einsatz sind und mit entsprechend veralteten, aber immer noch tadellos funktionierenden Software- und Hardware-Umgebungen ausgestattet sind.

Und mittlerweile nehmen Compliance-Anforderungen einen immer breiteren Raum ein. Man benötigt schon sehr spezifisches Branchen-Know-how, um in diesem Segment erfolgreich als Dienstleister tätig sein zu können und seine Kunden behutsam in die Zukunft zu führen, und genau dieses Wissen macht für mich ein FinTech aus.

Was machen deiner Meinung nach etablierte Unternehmen besser als FinTechs?

Ich denke nicht, dass man Fintechs nur als hippe, von jungen Menschen geführte Start-ups definieren sollte. Generell kann man sagen, dass mit zunehmendem Wachstum eines Unternehmens die Inhouse-Prozesse immer wichtiger werden. Das konnte man unter anderem hervorragend beim Entstehen des Facebook-Universums sehen. Am Anfang geschieht vieles auf Zuruf, und die Motivation speist sich vor allem aus dem „Gründerfieber“.

Mit der Zeit wollen aber auch Gründer ein geregeltes Leben führen und sich darauf verlassen, dass ihr wachsendes Unternehmen nicht von einem Tag auf den anderen zusammenstürzt, weil ein führender Kopf sich länger krankmelden muss. Klar definierte Abläufe und Prozesse, Job-Beschreibungen, ein Stück weit auch eingespielte Hierarchien und Verantwortlichkeiten, und natürlich ein abgestimmter Kurs bei der Unternehmensführung – daran erkennt man ein Unternehmen, das aus den allerersten Kinderschuhen erfolgreich herausgewachsen ist.

Was kann man von Fintechs lernen?

Fintechs sind extrem datengetrieben und arbeiten in alle Regel mit hochsensiblen (Bank)-Informationen ihrer Kunden. Das ist eine enorme Herausforderung und eigentlich nur zu bewerkstelligen, wenn man alle Prozesse von Anfang an extrem sauber aufsetzt und dabei alle möglichen Schwachstellen berücksichtigt. Lernen kann man also vor allem, dass Neu- oder Weiterentwicklungen nicht unbedingt „quick and dirty“ aufgesetzt werden müssen, nur weil man Investoren oder der eigenen Fanbase schnell Erfolge präsentieren will.

Wer FinTech-Entwicklungen beherrscht, kann von sich sagen, am offenen Herzen der Finanzbranche zu operieren – mit allen Gefahren, aber eben auch mit sehr großem Impact auf die Branche. Und man kann lernen, das Bewährte erfolgreich mit dem Neuen zu verbinden. Kein großer Finanzdienstleister wird einfach seine ganze IT über den Haufen werfen, nur weil sie nicht mehr völlig state-of-the-art ist. Dafür ist die Finanzbranche auch viel zu stark reguliert. Behutsame Modernisierung unter ständigem Blick auf den „Herzschlag“, das ist die große Kunst im FinTech-Segment.

Wieso tun sich etablierte (große) Unternehmen bei der Digitalisierung eigentlich so schwer?

Ein Aspekt fällt uns immer wieder auf: praktisch jedes Unternehmen „leidet“ an Personalengpässen im IT-Bereich. In Verbindung mit schwierigen und kostspieligen IT-Transformationen in der Vergangenheit, schätzen nun jedoch viele die Herausforderungen falsch ein, wenn es darum geht, eine schlanke und einfach zu integrierende Lösung zum Einsatz zu bringen. Denn diese darf nicht isoliert, sondern muss integriert als Prozesslösung neben und mit dem Altbewährten existieren und abgestimmt sein. Das ist die Herausforderung.

Ansonsten gilt: Es gibt viele mittelständische und auch große Unternehmen, die bereits hervorragend digitalisiert sind. Das Problem ist, sobald man die Ballungsräume außen vorlässt, oftmals die fehlende Infrastruktur. Hier haben wir in Deutschland noch immer viel aufzuholen. Wenn es trotz guter Anbindung an der Umsetzung im Unternehmen scheitert, dann oftmals deshalb, weil vor lauter Technikbegeisterung vergessen wurde, die MitarbeiterInnen auf den Weg mitzunehmen. Je größer ein Unternehmen ist, desto bedeutender werden professionelle Change Prozesse, um Ängsten und Vorbehalten zu begegnen und eine konsistente Verpflichtung in allen Bereichen des Unternehmens zu gewährleisten.

Klar, es gibt immer Bremser – aber so viele sind das am Schluss meistens gar nicht. Menschen lieben ja auch das Neue, die Verbesserung, den Fortschritt. Wenn jemand sagt „Das haben wir doch immer schon so gemacht“, dann will er damit eigentlich sagen: Ich vertraue der neuen Lösung noch nicht richtig. Das, was ich bisher gemacht habe, hat doch gut funktioniert. Digitalisierung ist aber eben meistens der Schritt von „gut“ zu „noch besser“.

Was macht deinen Job täglich interessant?

Es ist die Herausforderung, in einem etablierten Unternehmen mit großen, international tätigen Entwicklungspartnern wie u.a. TIBCO und Microsoft spannende Innovationen auf die Straße zu bringen. Am Schluss entscheidet immer der Kunde, ob wir mit unserer Entwicklung richtig liegen. Sei es in Verbindung mit langjährigen Kundenbeziehungen oder aber auch dem neuen Kunden. Sich dieses Gespür zu bewahren, die Sinne dafür immer wieder neu zu schärfen – das ist das Salz in der Suppe.

Was würdest Du beruflich machen, wenn Du nicht in der Payment- und Banking-Industrie arbeiten würdest?

Ich würde mich da nicht festlegen wollen. Ein persönliches Credo war und sind immer gesamtheitliche und innovative Lösungen zu gestalten und im Sinne meiner Kunden einzusetzen.

Worauf bist du stolz?

Darauf, mit einem innovativen Team der SHS Viveon und unseren Kunden in einem interessanten und innovativen Wachstumsmarkt zusammenarbeiten zu können. Dabei sind wir „am Puls der Zeit“ mit den Themen wie z.B. AI, Cloud, Compliance Management, ESG Compliance und Riskmanagement.

Wieso gibt es nicht mehr Frauen in der Tech-Branche?

Ich glaube, der Männerüberhang hat immer noch mit den traditionellen Ausbildungswegen von früher zu tun. Es ist noch gar nicht so lange selbstverständlich, dass Frauen verstärkt in MINT-Berufen Fuß fassen. Computertechnik war in den 80ern und auch noch in den 90ern eine absolute Männerdomäne, der weibliche „Nerd“ war die Ausnahme. Das hat sich zum Glück längst geändert, und deshalb denke ich auch, dass wir hier in Zukunft kein so großes Problem mehr haben werden. Ich kann aus eigener Erfahrung auch sagen, dass der Fachkräftemangel uns zu vielen kreativen Herangehensweisen zwingt.  Althergebrachte Rollenklischees haben da heutzutage überhaupt keinen Platz mehr, abgesehen davon fand ich sie aber auch schon immer unpassend.

Bei welchem Unternehmen würdest Du gerne mal einen Tag arbeiten?

Gerne in der Strategie-Abteilung der EU zu dem Thema Digitalisierung, um zu verstehen, warum wir insgesamt nicht mutiger und schneller sind in Europa mit diesen so wichtigen Zukunftsthemen für uns alle.

Mit wem würdest Du gerne ein Bier trinken?

Mit Sam Altman, dem Erfinder von ChatGPT, als Vertreter für eine sehr weitreichende nächste Stufe der Technologie-Transformation.

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