Die europäische Super-App wird schon bald das Leben prägen

Die europäische Super-App wird schon bald das Leben prägen

Ein Gastbeitrag von Björn Goß

AliPay, PayPal, Google Wallet oder doch Square – Der Wettlauf um die Banking-Super-App in Europa und warum eine europäische Super-App nur noch eine Frage der Zeit ist.

Wir wissen schon lange, dass die Finanzwelt auf massive Veränderungen zusteuert. 2020 war daher zwar nur eine Beschleunigung der schon angestoßenen Entwicklungen – und was für eine! Mit Erfolg: die Menschen schätzen den Wert und die Bequemlichkeit digitaler Dienstleistungen.

Was bedeutet das also für die Zukunft der Finanzdienstleistungen?

Was wir aber bisher gesehen haben, ist, dass sich vor allem bestehende Modelle ins Digitale verlagert haben. Darunter natürlich auch Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen. Statt am Schreibtisch lokaler BankberaterInnen, werden Bankgeschäfte nun immer stärker mobil erledigt. Doch Video-Chat heißt nicht modernes Banking. Abgesehen von der Verlagerung auf das Mobiltelefon hat sich das Konzept des Bankings bis jetzt eigentlich kaum verändert.

Die wirklich fundamentale Disruption fängt gerade erst an: die Finanz-Super-App steht vor der Tür. Super-Apps, wie wir sie aus China kennen, bahnen sich ihren Weg auch in die westliche Welt. Eine Super-App ist im Wesentlichen eine App, die ein ganzes Pot­pour­ri von Dienstleistungen bereithält, die nicht nur den Unternehmen zugute kommen, sondern allen voran den optimalen Komfort für VerbraucherInnen bieten.

Wie funktionieren Super-Apps?

Ein gewisses Portfolio an Services ist essentiell, um den KundInnen einen Mehrwert zu geben. Jedoch ist die wesentliche Voraussetzung für eine Super-App ständige Berührpunkte mit den NutzerInnen zu haben. Im Fall von WeChat aus China ist Messaging ein Anwendungsfall, der die Leute immer und immer wieder in die App zieht.

Die europäische Super-App wird schon bald das Leben prägen

Diese häufigen Kundenkontaktpunkte bewirken gleich mehrere Dinge. Zu aller erst schmiegen sich die Services in den Alltag der NutzerInnen ein. Dadurch binden sich die User an den Dienst und bauen ein Vertrauen dazu auf, da die App immer und überall reibungslos im Alltag funktioniert.

Nutzer haben sich an Convenience längst gewöhnt

Nun ist die Implementierung weiterer Dienste eine willkommene Zugabe, da sich die Nutzer bereits an ein einheitliches Erlebnis gewöhnt haben und die gewonnene Convenience mit zusätzlichen Diensten, wenige Fingertipps entfernt, den Alltag erleichtert. Kein Herunterladen neuer Apps, kein Erstellen unzähliger Accounts. Die Touchpoints sind quasi kostenlose Marketingmöglichkeiten, um den NutzerInnen zu zeigen, dass zusätzliche Dienste genutzt werden können, ohne etwas für die Kundenakquise ausgeben zu müssen.

Kurz gesagt: Wenn ein Dienst innerhalb der App, die häufig genutzt wird, nur einen Klick entfernt ist, dann liegt es sehr nahe, dass NutzerInnen diese Dienste auch nutzen. Nur um ein Beispiel zu nennen, mit dem sich vielleicht jeder identifizieren kann: Wie oft hat man noch Yelp genutzt, nachdem Google Maps die Funktionen rund um Restaurants weiter ausgebaut hat?

Wie macht man nun eine Finanz-App „Super”?

Wie oben beschrieben gilt auch hier: es gilt möglichst viele Kundenkontaktpunkte zu schaffen. Im Finanzbereich ist der häufigste Anwendungsfall das Bezahlen. So ist im Grunde genommen jede Plattform, auf der BenutzerInnen ihre Zahlungskarten mit einer App verknüpfen können, der erste Schritt zur Bereitstellung weiterer Finanzdienstleistungen. Denn ein Bankkonto zu besitzen, das den Zweck hat, Geld aufzubewahren, ist mehr oder weniger das Gegenteil eines hochfrequenten Anwendungsfalls. Genau da kommen die traditionellen Banken aber leider her.

Wir fangen an in Europa einige Fortschritte zu machen und die Realität zu akzeptieren, dass die Banken den Kontakt zu KundInnen verlieren. Folglich beginnen einige von ihnen, mit Produkten zu experimentieren, die sie im Alltag ihrer KundInnen relevanter machen. So versuchen sie mehr Dienstleistungen im Zusammenhang mit Einkäufen, beispielsweise mit Shopping und Rabatt-Plattformen, anzubieten. Allerdings sind diese Ansätze noch sehr zaghaft. Das könnte langfristig problematisch sein.

Alles nur noch eine Frage der Zeit

Denn konzentrieren sich andere Apps auf ein deutlich besseres Einkaufs- und Zahlungserlebnis, sind diese auf einem guten Weg, all die Kontaktpunkte ungebunden von der Hausbank abzugreifen. Bis sie den Banken zusätzlich noch die attraktivsten Teile der Wertschöpfung aus der Hand reißen, ist nur noch eine Frage der Zeit. So hat es WeChat getan, obwohl sie mit einem Messenger ursprünglich sehr weit von Finanzdienstleistungen entfernt waren.

„Bis die Apps den Banken die attraktivsten Teile der Wertschöpfung aus der Hand reißen, ist nur noch eine Frage der Zeit.“

Anbieter von Zahlungsmethoden rücken in den Vordergrund

Gleichzeitig sehen wir auch, dass Anbieter von Zahlungsmethoden versuchen, in den Vordergrund zu rücken, da sie vor einem ähnlichen strategischen Problem stehen wie Banken. Sie leben derzeit auf den Checkout-Seiten der Händler neben anderen Zahlungsmethoden und sind darauf angewiesen, dass KundInnen eine bestimmte Zahlungsmethode gegenüber einer anderen vorziehen. Was aber, wenn der Kampf um die Bezahlmethode viel früher gewonnen wird als beim letzten Schritt der Customer Journey?

Die Übernahme der Shopping- und Prämienplattform Honey durch Paypal für 4 Mrd. USD oder der starke Vorstoß von Klarna in Richtung ihrer Shopping-App, Zahlungskarten und der kundenorientierten Marke basieren auf dieser Logik. Entscheidend für das Unternehmen und damit auch für Banken und Fintechs ist es, die häufigsten Kunden-Touchpoints zu besetzen.

Es gilt herausfinden, welche Bankdienstleistungen neben dem Shopping am meisten nachgefragt werden, um dann diese Kunden-Touchpoints zu monetarisieren. Eine Sache, die in diesem Kampf um den Kundenzugang oft nicht oft genug erwähnt wird, ist die Usability: Je höher die Frequenz eines Use Cases, desto wichtiger ist die Convenience – und sie wird einer der Erfolgsfaktoren sein. Auch wenn traditionelle Banken hier in den letzten Monaten Abstand wett gemacht haben, ändert das die Gesamtsituation nur wenig: So lange Banken Finanzdienstleistungen aus der Sicht einer Bank denken, konkurrieren sie darum, wer am Ende das Geld aufbewahren darf und nicht um den Kundenzugang selbst. Kundenerfolg wird durch Usability, Häufigkeit und Sichtbarkeit getrieben.

Banken bleiben trotz Super-App relevant

Die europäische Super-App wird schon bald das Leben prägen

Natürlich spielen auch Banken in Zukunft eine nicht zu unterschätzende Rolle. Fintech-Dienste werden weiterhin Kapital für die Finanzprodukte der Kunden benötigen und daher mit Anbietern zusammenarbeiten, um Dienstleistungen zu übernehmen und mit einem White-Label zu versehen.

Trotzdem ist es nicht zu weit her gegriffen, dass für KundInnen die Bank nur etwas im Hintergrund ist und die Super-App die Plattform im Alltag ist, die das Leben einfacher und bequemer macht.

Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die nächsten Jahre entwickeln. Wenn uns die letzten Monate jedoch eines gezeigt haben: neue Dienste und Produkte können schneller adaptiert und in den Alltag integriert werden als man denken mag. Daher werden Super-Apps schon bald unser Leben prägen.

Autor

  • Björn Goß ist gebürtiger Heidelberger. Er studierte an der Uni Mannheim und der London School of Economics. Im Jahr 2012 rief Björn Goß gemeinsam mit seinen Kollegen David Handlos und Florian Barth das Unternehmen Stocard ins Leben, und baute es zum heute führenden Mobile Wallet auf. Um Stocard zu gründen, brach Goß seinen PhD ab und verließ McKinsey. Björn ist als Geschäftsführer für die Fintech-Themen bei Stocard zuständig.

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