Ein weiteres Jahr endet. Ein Jahr, das wir uns nach zwei Jahren Pandemie sicher alle etwas anders vorgestellt hätten. Doch statt Leichtigkeit wurde das zurückliegende Jahr durch einen furchtbaren Krieg dominiert, der für sehr viel menschliches Leid in der Ukraine sorgt und „eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents“ eingeleitet hat.
Nach einem überaus erfolgreichen Fintech Funding-Jahr 2021 führten die aktuellen politischen Bedingungen auch in unserer Payment-, Banking- und Finanzindustrie zu einer Abkehr von einem „immer weiter so“. Unsicherheiten prägten das unternehmerische Handeln und führten zu einem wirtschaftlichen Umdenken. Für viele Fintechs wurde es enorm schwierig, eine (Folge-) Finanzierung zu erhalten, erfolgreich geglaubte Fintechs mussten in die Insolvenz und viele Mitarbeiter verloren angesichts ausbleibenden Kapitals ihren Job.
Doch nicht alles war schlecht. Aus Krisen erwachsen Chancen und so haben viele Fintechs diese genutzt, haben ihr Produkt geschärft und sind „all in“ gegangen. Für etliche hat sich das ausgezahlt. Wir nutzen die letzten Tage des Jahres 2022 für einen kleinen Rückblick und fragen im Team nach der persönlichen Einschätzung.
Heute: Jochen Siegert, Co-Founder von Payment and Banking
Das war für mich im Jahr 2022 der größte Erfolg
Das Jahr 2022 steht für mich als erster großer Einschnitt in die vorherigen „goldenen“ Anfangsjahre. Die harte Realität hat die Fintech-Industrie eingeholt. Der Fokus hat sich unmittelbar gedreht auf Ertrag/Gewinn und weniger auf ungebremstes Wachstum. Angesichts von vielen irrationalen Stilblüten des „billigen Geldes“ war dieser Reshift aus meiner Sicht der größte Erfolg des Jahres, um Fintech-Modelle auch nachhaltig krisengestärkt zu etablieren.
Positiv gesehen sorgt der Einschnitt für die nachhaltige Etablierung von innovativen Geschäftsmodellen im Markt und für eine gesunde Bereinigung des Rests. Vermeintliche Erfolge von Exitmeldungen und Mergers in diesem Jahr, waren für mich dagegen eher Ausdruck der einsetzenden Konsolidierung und wurden durch die hiesigen Anbieter eher aus einer Position der Schwäche getätigt.
Das hat mich in diesem Jahr besonders überrascht
Die Abgehobenheit einiger Start-ups bzw deren C-Levels hat mich dann doch nochmals negativ überrascht. Insbesondere im Crypto/Defi-Bereich konnte man das beispielhaft erkennen. Vor allem ex-post nach Pleiten, wenn sowohl bei KPIs als auch Prozessen die ungeschminkte Wahrheit herauskommt. Aber auch die Naivität der (namhaften) Investoren in den Boards dieser Companies hat mich sehr überrascht. Entweder hat man vorab keine Due Dilligence gemacht und/oder die C-Levels einfach machen lassen.
Davon hätte ich 2022 mehr erwartet
Jede Krise bietet auch Chancen. In der letzten Finanzkrise wurden viele spannend Start-ups gegründet, die heute groß sind, auch im Fintech-Segment. Ich hätte mehr Gründungen erwartet, die in der aktuellen Krise mit ihren Auswirkungen und Knappheit eine Chance sehen.
Das war für mich 2022 der größte Flop
Für mich der größte Flop war die Stärke des Fintech-Standorts Deutschland. Offensichtlich waren die hiesigen Fintech-Start-ups nicht in der Lage genug Stärke in den Boomjahren aufzubauen und gingen so vergleichsweise geschwächter in die Krise. Sie und damit der Fintech-Standort Deutschland haben die Chance verpasst als Gewinner aus der jetzt gestarteten Konsolidierung herauszugehen.
Wir sahen Insolvenzen in Bereichen, in welchen direkter Wettbewerb von außerhalb schneller und stabiler ein wirkliches Geschäftsmodell etablierte und wir sahen Exits oder besser gesagt „Not-Mergers/Verkäufe“. In Krisen zeigt sich oft die eigentliche Stärke. Es zeigt sich jetzt, dass einige unserer Vorzeige-Fintechs doch eher nur im Marketing und wortgewaltig auf Konferenz-Panels und in Zeitungsfeatures Stärke zeigten, statt operativ bei harten Business-KPIs.
In dieser Reihe bereits erschienen:
- Das war 2022: ein Fintech-Jahr voller Erfolge, Überraschungen und Enttäuschungen – Maik Klotz
- Das war 2022: ein Fintech-Jahr voller Erfolge, Überraschungen und Enttäuschungen – Miriam Wohlfarth