Die Ausgangslage ist klar. Fest verzinstes Geld wirft derzeit kaum etwas ab. Nach Abzug der Inflation schon gar nicht mehr. Helfen kann ein Umdenken in Sachen Geldanlage. Ist das die Stunde einer neuen Geldkultur in Deutschland?

Die Sorge um den deutschen Anleger? Bestand über Jahrzehnte darin, sie abseits der Börse stehen zu sehen – und damit mit ihrem Vermögensaufbau ohne die langfristige Wucht des Kapitalmarkts zu scheitern. Und jetzt das: Erleben wir eine neue deutsche Anklagekultur, fragte sich vor einiger Zeit schon die „Wirtschaftswoche“. Oder stürzen sich die Deutschen vom Bausparvertrag gleich in Bitcoin & Co.?

Immerhin: Die Botschaft ist angekommen

Mit dem Sparbuch ist kein Staat mehr zu machen. Das liegt zum einen an den niedrigen Leitzinsen etwa der Europäischen Zentralbank (EZB), aber auch an der Inflation. Bei einem Wert von vier bis fünf Prozent sorgt sie dafür, dass die Kaufkraft von 10.000 Euro in zehn Jahren auf gut 6700 Euro sinkt. Kein Wunder also, wenn sich die Deutschen jetzt nach Alternativen umsehen.

Tatsächlich betrugen die Mittelzuflüsse etwa in die Kryptowährung Bitcoin zwischenzeitlich allein in einer Woche 95 Millionen Dollar, rund 83 Millionen Euro. Bei Kryptowährungen sorgt, vereinfacht gesagt, die Sorge vor einer ausufernden Inflation für eine steigende Nachfrage. „Die Leute erkennen jetzt, dass es wahrscheinlich nicht gut ist, sich nicht zu engagieren, selbst wenn es nur ein kleiner Betrag ist“, sagt Matthew Dibb vom Krypto-Asset-Manager Stack Funds auf „Spiegel Online“.

Genau so zog es die Menschen vor, während und nach dem Lockdown in Aktien. Oder gesagt in einen Kreuzzug gegen Hedgefonds. Das funktioniert über Plattformen wie Reddit, wo marktenge Titel identifiziert und gekauft werden – und damit jene Hedgefonds erst ins Schwitzen und dann ins Taumeln gebracht werden, die auf fallende Kurse gesetzt haben.

Neue Geldkultur: Anfrage wird weiter steigen

In die gleiche Richtung weisen die Zahlen der bislang weniger verbreiteten Anlageklasse Private Equity, also das Investment in Unternehmen bereits vor ihrem Börsengang. Stiftungsfonds der renommierten Universitäten wie Harvard oder Yale etwa setzen seit Jahren auf diese Anlageklasse. In Harvard zum Beispiel steckten zuletzt ein gutes Drittel der Gelder in Private Equity. Dieser Portfolioanteil schaffte ein Jahresplus von über 70 Prozent.

Bei der Plattform Moonfair zum Beispiel beobachtet man eine steigende Nachfrage nach Private Equity auch in Deutschland aus einer Reihe von Gründen. „Da ist hauptsächlich natürlich die Suche nach unkorrelierten Erträgen“, sagt Yuri Narciss, Managing Director des Unternehmens. „Dazu kommen die niedrigen Leitzinsen und die Sorge vor einer lang-anhaltenden hohen Inflationsrate.“ Er geht davon aus, dass die Nachfrage andauern wird. Eine Studie von Oliver Wyman gibt ihm recht. Quer durch alle Kundengruppen sagt sie bis 2025 steigende Nachfrage nach Private Equity voraus.

Neue Assetklassen gewinnen bei der Anlage an Strahlkraft

Ist das nun die Flucht in die Nische – oder eine gesunde Gesamtentwicklung?

Kommt darauf an. Denn auch ein anderer Trend ist zu beobachten: Aktien, Aktienfonds und entsprechend ausgerichtete ETF gewinnen in Deutschland an Strahlkraft. Das zeigen nicht nur die Zahlen vom Deutschen Aktieninstitut (DAI) und Bundesverband Investment und Asset Management (BVI), sondern auch die Beobachtungen der Bundesbank: Einen „rasanten Aufschwung“ der Aktivitäten der Privathaushalte beobachten das Institut.

Und eine Studie der Anlageplattform Wikifolio schreibt ganz einfach: „Aktien sind Zukunftsthema Nummer 1 – mehr als ein Drittel der Anleger möchte zukünftig stärker in Aktien investieren.“ Immerhin gehörten etwa beim Dax die letzten drei Monate 2021 zu den besten an der Börse.

Kryptowährungen sind weniger beliebt als gedacht

Eine gleichfalls beruhigende Nachricht: Die Wikifolio-Studie zeigt auch, dass fast 29 Prozent der befragten Anleger mit bis zu 4 Prozent im Jahr kalkulieren. Nur etwas über 5 Prozent rechnen mit mehr als 10 Prozent. Zocker-Phantasien, übersteigerte Erwartungen gar? Nicht bei der Mehrheit. Das gleiche Bild bei den Plänen: Rund 23 Prozent wollen künftig Aktien kaufen, rund 18 Prozent Investmentfonds, aber nur 6,1 Prozent Kryptowährungen oder 3,4 Prozent die riskanten Hebelpapiere. „Es hat mich positiv überrascht, dass auch die jungen Menschen so sehr auf die Aktie setzen – viel mehr als etwa auf Kryptowährungen“, sagt auf Nachfrage Andreas Kern, Gründer und CEO von Wikifolio.

Mehr Mut zum Risiko bei den Anlegern, aber kein Übermut. Die Exoten wie Private Equity oder Kryptowährungen – warum nicht als Beimischung? Ach, 2022? Sicherlich wird das Jahr nicht weniger fordernd als 2021. Aber langfristige Vorsorgeprozesse verlieren mit diesem Umdenken ein wenig ihren Schrecken.

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