Gerade vergeht kein Tag in meiner Blase, in dem ich nicht die Kombi aus Worten wie PSD2, Bancassurance, Versicherung, Open Banking oder Hackathon lesen darf. Was passiert da und warum? Und was erwarten sich die Nutzer dieser Begrifflichkeiten in der Zukunft? Gibt es vielleicht sogar schon etwas Derartiges in der Realität?
Allfinanz oder auch Bancassurance ist eigentlich nichts Neues und wird in klassischen Kombinationen/Kooperationen schon seit Jahrzehnten gelebt (Sparkassen mit Provinzial, neue Leben und S-Versicherung, Genossen mit R&V etc). Nahezu jede Versicherung hat einen Bankpartner und andersherum. Manchmal exklusiv, manchmal in einem ‚Marktplatz Modell‘.
Seine vermeintliche Hochzeit hatte das Thema wohl Anfang der 2000er mit der dann doch nur kurzzeitigen Übernahme der Dresdner Bank durch die Allianz (2001-2008). Seit einigen Jahren erleben wir nun neue Player in der Versicherungs-wirtschaft. Angefangen bei den Maklern wie Clark oder wefox, über neue Versicherungen wie Coya, Element oder ottonova.
Aber leben diese neuen Player auch den Begriff der Bancassurance? Also der echten Kombination und Nutzung der Daten und der Touchpoints beider Welten. Bisher sehe ich das, mit Anfängen bei der Ausnahme CHECK24, nicht wirklich. Bei einer der letzten Entwicklungen spielte wieder die Allianz eine Rolle.
Die Versicherungsprodukte in der wohl erfolgreichsten Neo-Bank Europas, N26, kommen, wie auch Teile der letzten Finanzierungsrunden, aus München.
Was sind die Treiber für das Thema Bancassurance?
- Alltagsrelevanz:
- ist bei den allermeisten Versicherungen nicht wirklich gegeben und daher müssen die Vertriebsanlasse anderswo gesucht und gefunden werden
- positive Ereignisse
- in den meisten Fällen sind Versicherungen dann im Spiel, wenn irgendetwas unerfreuliches geschehen ist bzw. etwas positiver, wenn ein negatives Event korrigiert wird
- Daten:
- sind wie überall in der digitalen Welt hilfreich für die passenden Angebote. Da Versicherer wenig Alltagsrelevanz haben, verfügen sie aktuell auch noch über wenige Daten (Ausnahme wohl Krankenversicherung). Das kann und wird sich durch nutzungsbasiertere Versicherungsangebote und schlauere Versicherungen in Konsumprozessen in der Zukunft verändern.
- Provisionen / gerade die aus dem Bestand:
- sind ein wesentlicher Treiber für die Kooperationen
Die größten Hürden?
- keiner will sich wirklich gern mit Versicherungen beschäftigen
- Versicherungen haben keine Erfahrung mit digitaler User-Experience
- Versicherungen sind kein Spaß-Thema
Wir haben mal in unserer Runde nach Meinungen sowie Erfahrungen und versuchen mal den aktuellen Stand herauszubekommen.
Maik Klotz:
„Ich gestehe: Ich nutze als Dienst Clark und gestehe auch, dass ich es wirklich mag. Was daran liegt, dass ich jede Versicherung bei einem anderen Anbieter habe. Früher wäre es sicher bequemer gewesen, alles bei einer Versicherung im Rahmen von Bancassurance zu haben, aber Versicherungen sind außerhalb des Bedarfsfalls ein völlig unemotionales Produkt, für das ich aber im Zweifel jeden Monat / Jahr viel Geld bezahle.
Das Girokonto kann bei Versicherungen, insbesondere beim Onboarding oder Wechsel der Versicherung, eine Rolle spielen. Aber wie immer im Leben geht es darum, welchen Nutzen der Konsument hat.
Die digitale Welt steigert nicht die Alltagsrelevanz und eine Verbindung zwischen Banking und Versicherungen, wie wir es zum Beispiel bei Outbank oder Check24 gesehen haben, hilft sicher beim Onboarding oder Wechsel. Aber eben auch nur dort. Der digitale Weg zur Versicherung ist am Ende genauso sterbenslangweilig wie der Analoge.
Intelligente Bedarfsanalyse fehlt
Was fehlt, ist hier nicht nur die Verbindung zwischen Konto und Insurance, sondern vor allem eine Intelligenz im Banking. Eine Intelligenz, die anhand meines Bankings erkennt, dass sich meine Lebenssituation geändert hat, nun Kinder dazu gekommen sind oder die Mietzahlungen sich geändert haben. Um dann passend dazu, entsprechende Versicherungen anzubieten. Es braucht weniger Lösungen welche den Konsumenten darauf hinweisen, dass er eine Versicherung wechseln kann. Das weiß er im Zweifel selbst. Es fehlt eine intelligente und faire Bedarfsanalyse. Die Daten im Banking und PSD2 mit XS2A können dazu sicher einen Teil beitragen, aber die Königsdisziplin, eine intelligente Bedarfsanalyse anhand der Konto-Daten zu liefern, fehlt.
Das alles findet heute leider nicht statt. Deshalb ist es für mich alles noch Hype und die Realität, wie oben beschrieben, langweilig.“
Kilian Thalhammer:
„Das Thema Versicherungen habe ich komplett “outgesourced” – ich will mich nicht damit beschäftigen. Alltagsrelevanz maximal vermeiden. Es gibt den “Makler meines Vertrauens” (ein Widerspruch) – der kümmert sich darum. Bin ich dadurch “überversichert”? Vermutlich. Aber mir ist es die Zeit wert. Die Verknüpfung mit Bank/Banking sehe ich da noch nicht. Sie ist etwas künstlich – soweit meine persönliche Sicht.“
Wenn ich nun die “Allianz Brille” aufsetze, sieht die Sache anders aus. Hier sehe ich durchaus den Need und auch die Chance einen zweiten Versuch im Bereich Allfinanz zu starten. Der Kontakt zum Kunden ist wichtig. Aber für eine Industrie, deren Kunden das eigentlich vermeiden wollen, nicht so einfach.
Der “Daily Kontakt” zu seinem Versicherungsunternehmen ist etwas, was man sich nicht so richtig vorstellen kann. Daher ist Banking das “trojanische Pferd” – besser noch Payment. Aber auch da besteht der Zielkonflikt. Payment verschwindet gerade aus dem “relevant Mindset” der Kunden und wird unsichtbar. Banking bis zu einem gewissen Grad auch. Und nun will man es wieder “aus dem Keller hervorholen”.
„Payment verschwindet gerade aus dem ‚relevant Mindset‘ der Kunden und wird unsichtbar.“
Ein Trade Off – die Argumentation muss über echte Mehrwerte erfolgen und ggf. auch über einen ganz anderen Weg. Und schon sind wir beim Plattformgedanken.“
Nicole Nitsche:
„Versicherungen sind für mich ein Schmerzthema und ganz oft mit unangenehmen, aufdringlichen und in die Jahre gekommenen Maklern konnotiert, die natürlich auch immer zu einem persönlichen Gespräch nach Hause kommen müssen. Als ob ich dafür die Zeit hätte.
Ab wann braucht man eigentlich eine Versicherung? In welchem Lebensabschnitt ist welches Modell sinnvoll? Versicherung ist deswegen Schmerz, weil man gefühlt immer für etwas zahlt, was man nie in Anspruch nimmt. Und sollte der Worst-Case eintreten, ist der darauf folgende Prozess ebenfalls steinig und meistens wenig digital. Ich habe bei mir irgendwie längst den Überblick verloren und bin felsenfest überzeugt, überversichert oder falsch versichert zu sein. Wann, wofür, wie lange? Kann ich das nicht irgendwo gesammelt eintragen und werde regelmäßig daran erinnert?
Für und wider „Allfinanz“
Klar könnte jeder sagen, kannst du doch auf deinem Konto einsehen. Aber wer studiert denn jeden einzelnen Zahlungsposten mit den unterschiedlichsten Zahlungszielen? Und natürlich könnte mir meine Bank ein maßgeschneidertes Modell anbieten, aber bin ich wirklich diejenige, die am meisten davon profitiert?
Und da sind wir beim Thema Allfinanz. Möchte ich eigentlich eine allumfassende Betreuung durch meinen/einen Finanzdienstleister? Ein vollständiges Produkt-und Leistungsangebot an Versicherungs- und Bank-produkten? An bedarfsgerechter Beratung und bequemem Zugang zu Bankfilialen, Agenturen und mobilen Finanzberatern? Nö.
Was, wenn ich dann mit einer der vielen Leistungen unzufrieden bin? Dann bin ich gleich alles wieder los? Da setze ich letztendlich dann doch auf Vergleichsportale, die zumindest ansatzweise eine Unabhängigkeit suggerieren.
Versicherungen sind eben auch nicht die Kernkompetenz meiner/einer Bank. Aber auf das Pferd aufzuspringen, ist für sie vielleicht sinnvoll.“
Miriam Wohlfarth:
„Mir ist es egal, wer mir letztendlich eine Versicherung verkauft. Das kann eine Bank oder eine Versicherung sein. Es könnte aber auch ein Vergleichsportal oder ein Techunternehmen wie Google oder Amazon sein. Am Ende gewinnt das beste Produkt mit der höchsten Alltagsrelevanz und der besten Vertriebspower. Als Kunde wünsche ich mir eine automatische und neutrale Analyse meines wirklichen Bedarfs und einen Abgleich mit dem Ist-Zustand. Das verbunden mit Preis- und Leistungsverbesserungen und einem konkreten Angebot, welches ich komplett online abschließen kann.
Die Banken hätten die notwendigen Daten, mir ein solches Angebot zu unterbreiten. Die Technologie-Kompetenz traue ich Ihnen nicht zu. Hier sehe ich viel eher Google oder Amazon, wo ich heute schon eine passende Geräteversicherung zu meinem Kauf abschließen kann.“
Sebastian Langrehr:
„Als Head of Digital Bancassurance darf ich seit 2016 genau dieses Thema bei Friendsurance treiben. Ich bin also vielleicht etwas gefärbt :-) Das, was man unter Multi-Banking und Account-Aggregation versteht, geht für Versicherungskunden genauso: alle Verträge auf einen Blick, komplett digital, mit wenigen Klicks.
Wir waren 2016 die ersten, die so einen digitalen Bank-Account-Check im Versicherungs-Kontext angeboten haben – übrigens mit aboalarm und figo. Das hilft Kunden beim Onboarding, weil sie ihre Verträge nicht raus kramen müssen. Banken und Versicherern fehlt es allgemein an cooler digitaler User Experience im Versicherungs-Kontext. Es ist ein Teufelskreis: die UX ist schlecht, weil die Kunden nicht nachfragen. Und die Kunden fragen nicht nach, weil die UX schlecht ist. Klar, dass es dann aktuell noch wenige Online-Abschlüsse gibt. Und warum auch: jeder Deutsche hat bereits über fünf Versicherungen. Da suche ich nicht gleich die nächste.“
Moderne Bancassurance-Lösungen
Von 2009 bis 2018 hat sich die Zahl der Smartphone Nutzer von sechs Millionen auf fast 60 Millionen verzehnfacht. Die Nachfrage nach mobilen Diensten macht auch vor den Versicherungen nicht halt. Über 50% der Online-Banking-User können sich vorstellen, ihre Versicherungen aus dem Online-Banking heraus zu managen.
Ich frage mich ja: warum geht das nicht mit meinen Versicherungen? Warum lande ich mit simplen Anfragen bei einem Berater? Warum soll ich mich an Öffnungszeiten halten? Warum wird mir bei einer Nachfrage nach meiner Hausratversicherung auch noch ein Vorsorge-Vertrag angeboten? Brauche ich wirklich eine weitere Versicherungs-App?
„Warum soll ich mich an Öffnungszeiten halten?
Brauche ich wirklich eine weitere Versicherungs-App?“
Moderne Bancassurance-Lösungen schaffen nun endlich die Brücke zum Konto der Kunden und nutzen so die vorhandene Smartness aus Bankkonten. Dadurch entsteht der richtige Kontext:
- Ein Kind ist geboren und anhand der Kindergeldnummer wird eine staatliche Zulage von 300€ beantragt
- Mein Einkommen hat sich geändert und ich erhalte eine Info, wie ich meine BU-Rente anpassen kann
- Ich habe ein Fahrrad gekauft, die Hausrat deckt Diebstahl ab und die Versicherung schickt mir einen Push aufs Handy „gute Fahrt“
Digital Bancassurance, also die Kombination aus Banking und Versicherung, ist so hilfreich: Banken runden ihr digitales Angebot ab, Versicherer profitieren von der Alltagsrelevanz von Banking und Kunden sind entscheidungsfähig in wenigen Klicks. Realität? Noch nicht ganz! Hype? Nein, Game-Changer!
Jochen Siegert:
„Ich habe das Allfinanz-Konzept noch nie verstanden! Schon immer war ich ein Rosinenpicker und habe die Produktanbieter stets getrennt. Die preislich teuren, aber bei den Leistungen maximal mittelmäßigen Kreditkarten meiner Banken haben mich nie interessiert, sondern immer die attraktiven Karten mit Rewards. In der Anlage habe ich natürlich immer einen großen Bogen um die riesigen Ausgabeaufschläge der schlechtperformenden Fonds der Fondsgesellschaften meiner Hausbanken gemacht, sondern immer Drittfonds (heute ETFs) genutzt.
Meine Baufi lief über Interhyp und der parallele Versuch bei meiner damaligen Hausbank, war ein augenöffnendes Erlebnis. Denn der Berater wollte mir unbedingt eine, für seine Provision besser geeignete Lebensversicherung zur Teilfinanzierung andrehen.
Diese Bank ist seitdem nicht mehr meine Hausbank. Genauso behandele ich meine Versicherungen, die über sämtliche Gesellschaften gestreut sind. Auch hier erfolgt Rosinenpicken bei Preis/Leistung über Vergleichsportale.
Allfinanz ist, dank der heute viel besseren Markttransparenz und Vergleichbarkeit, ein Konzept aus dem letzten Jahrhundert und übervorteilt nur die Kunden. Allfinanz ist daher längst tot und Vergleichsportale schon lange die Sieger. Einzelne Marktplayer haben das im Kundensinne durchaus schon verstanden! Ich musste sehr staunen, als ich mitbekam, daß mit der Sparkasse Bremen ausgerechnet eine Sparkasse im “Kernprodukt” Barkredit mit einem Vergleichsportal zusammenarbeitet und an die eigenen Kunden Kredite der direkten Wettbewerber wie Postbank und Co. vermittelt. Beeindruckend und höchsten Respekt für diesen Mut, denn nur so wird es richtig gemacht: Selbstkannibalisierung, bevor es andere machen.