Aktien sind ohne Alternative, liest man überall. Doch bei so manchem Anleger setzt nun das große Flattern ein: Atemlos angesichts der Aktienturbulenzen – etwas frei nach Helene Fischer. Wie also tickt der Anleger derzeit, wie ist es um dessen Seelenzustand beschaffen? Der Behaviorist und Finanzexperte Manfred Hübner im Gespräch über das FOMO-Phänomen, die Folgen der Tokenisierung – und die Frage, wie Finanzhäuser in ihrer Kundenansprache reagieren.

Manfred Hübner, Börsenpsychologe, hat sich mit seinem Unternehmen Sentix auf Sentimentanalyse und Behavioral Finance spezialisiert. Damit ist er nicht nur nah dran am Puls der Börse, sondern auch am Bauchgefühl der Investoren.

Befeuern steigende Kurse und Bewertungen die Angst – oder die Gier?

Prinzipiell entwickelt sich die Stimmungslage immer entlang der Preiskurve. Steigende Preise befeuern demnach den Optimismus. Investieren die Anleger auch entsprechend und werden diese vom Markt belohnt, entsteht meist eine euphorische Stimmung. Langhaltende Bullenmärkte führen zum dagegen auch gerne zum Phänomen der „gelernten Sorglosigkeit“. Beides sind kritische Stimmungsentwicklungen und können gieriges Anlegerverhalten begünstigen.

Welche Strahlkraft haben Themen wie Kryptowährungen, Nachhaltigkeit und Tech-Firmen?

Jeder Marktzyklus, ob Hausse oder Baisse, wird von Themen und Modeerscheinungen begleitet bzw. geprägt. Die Strahlkraft bestimmter Themen ist also das Ergebnis des herrschenden Narrativ bzw. der Begleitumstände. So sind Bitcoin & Co. als sehr spekulative Märkte nicht nur ein Modethema, sondern auch ein Gradmesser für die im Markt vorherrschende Risikofreude. Etwas anders verhält es sich mit den Technologiewerten. Diese stehen bei Anleger als Synonym für Zukunft und Fortschritt. Jede Investition der Anleger ist eine Zukunftsinvestition.

Kein Wunder also, das Technologiewerte per se im Fokus der Anleger stehen. Aktuell sind sie aber auch Teil einer starken Verengung des Investmentspektrums. Die 6 wertvollsten Aktiengesellschaften der Welt, alles US-Werte, reflektieren mit einer Gesamtmarktkapitalisierung von knapp 10.000 Milliarden US-Dollar mehr als 10 Prozent der weltweiten Marktkapitalisierung. Eine solche Konzentration führt zu Eigendynamiken und auch zusätzlichen Risiken aus dieser Verdichtung von Kapital.

Technologie sorgt dafür, dass Assetklassen wie Private Equity (PE) oder Immobilien teilweise „tokensiert“ werden und damit die Mindestanlagesummen sinken. Was für Folgen hat das für die „Anlegerseele“?

Prinzipiell gar keine. Es handelt sich nur um neue Märkte und neue Zugangsformen. Die Grundprinzipien des Investierens, die Beeinflussbarkeit von Menschen und deren Abhängigkeit von Emotionen in der Anlageentscheidung werden nicht verändert. Themen, Technologien und Moden bleiben – der Mensch und seine Art zu denken, zu fühlen und zu handeln, verändern sich dagegen praktisch nicht.

Wie lässt sich FOMO in den Griff bekommen?

FOMO steht für „fear of missing out”, also die Sorge, in einer Marktrallye nicht dabei zu sein und auch keinen guten Einstieg mehr zu erlangen. Da möchte ich ein Bonmot des Altmeisters André Kostolany zitieren, der einmal sagte: „Bei Aktien ist es wie mit der Straßenbahn. Wenn du sie verpasst hast, laufe ihr nicht hinterher. Warte und sei geduldig, die nächste kommt bestimmt“.

Also der klare Appell ruhig zu bleiben. Emotionen, besonders solche wie Angst, Gier, Panik oder FOMO, sind dem Anlageerfolg im Regelfall abträglich. Und wenn der Anleger partout in den Markt einsteigen will, soll er seine Anlagesumme einfach aufteilen und gleichmäßig über zum Beispiel 3 oder 6 Monate investieren. So ist er teilweise sofort dabei, investiert aber gezielt nach, sollte ein Rückschlag kommen. Zudem sollte sich jeder Anleger bewusst machen, ob kurzfristig spekulieren oder langfristig investieren will. Je länger der Anlagehorizont ist, desto weniger entscheidend ist der Einstiegszeitpunkt.

Kurstreiber Nachhaltigkeit?

Sprechen wir kurz über Nachhaltigkeit: Die Erkenntnis der Anleger ist da, dass das Thema Not tut. Aber in der Umsetzung scheitern viele. Warum?

Das Thema Nachhaltigkeit wird den Anleger zunehmend durch die Investmentbranche abgenommen. Durch die Regulierung sind alle Investmenthäuser sowie die Börsen-Unternehmen gezwungen, die Themen Nachhaltigkeit, Governance und sozial-ethische Standards stärker zu berücksichtigen. In einigen Jahren wird es nur noch Investmentvehikel geben, die „compliant“ sind. Anleger können natürlich Portfolioschwerpunkte bilden, indem sie etwa gezielt in erneuerbare Energien oder ähnliches investieren. Dabei sollten Anleger jedoch auch daran denken, dass auch diese Themen Moden unterworfen sind – und Modeaktien generell teurer sind. So könnte der größere künftige Ertrag für einen Anleger zum Beispiel auch bei einem Rohstoffproduzenten liegen, der seine Prozesse jetzt erst nachhaltig gestaltet und wegen bisher fehlender Nachhaltigkeit niedrig bewertet ist.

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Was bedeutet das für die Kommunikation von Finanzunternehmen?

Es gilt, was schon immer für gute Kommunikation galt: proaktiv und transparent kommunizieren.

Inwiefern verschleiern scheinbar unemotionale Produkte wie ETF oder Quant-Fonds den Blick auf die Macht der Emotionen?

Mit einem ETF investiert man in einen Markt, muss sich als Anleger also keine Gedanken um die Aktienauswahl machen. Es gibt keinen Fondsmanager, der durch ungeschickte Aktienauswahl das Ergebnis negativ beeinflusst. Dennoch wird der ETF von einem Menschen gehalten. Das Anlageergebnis des ETF wirkt sich auf die Gewinn- und Verlustrechnung des Anlegers aus und erzeugt bei diesem entsprechend für Freude oder Bedauern. Eine Entkopplung findet deshalb nicht statt. Gleiches gilt auch für Quant-Produkte, also Ansätze, die stark regelgebunden sind oder direkt durch Algorithmen gesteuert werden. Dort ist der Faktor Mensch im Investmentprozess ausgeschaltet oder stark reduziert. Aber es sind letztendlich Menschen, welche die Modelle und Programme bedienen und entwickeln. Und es sind Menschen, welche die Folgen der Entscheidungen des Computers zu tragen haben. Die Emotionalität verschiebt sich also bestenfalls um eine Ebene.

Sehen Sie derzeit eine Anlageklasse, die Emotionen weniger ausgesetzt?

Prinzipiell nicht. Wo Menschen entscheiden und handeln, greifen die Prinzipien der Behavioral Finance. Allerdings setzt das auch die Möglichkeit freier Entscheidungen voraus. Am Rentenmarkt ist diese freie Entscheidungsfähigkeit durch die massiven geldpolitischen Eingriffe der Notenbanken sowie die Regulatorik stark eingeschränkt. Wir erkennen in unseren Daten, dass die Anleger ihre tatsächliche Haltung nicht frei umsetzen können. Seit Jahren spiegeln uns die Anleger, dass sie das aktuelle Zinsniveau für viel zu niedrig halten. Das würde eigentlich zu einer starken Unterinvestierung führen. Tatsächlich werden Anleger aber durch gesetzliche Bestimmungen teilweise gezwungen, an ihren Positionen festzuhalten.

Headerfoto: Bildnachweis: Portra

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