instant messages #18 by Marcus W. Mosen

Marcus W. Mosen kommentiert Payment- oder Bankingthemen auf unterschiedlichen Portalen und erfreut seine Follower auf twitter (@mwmosen) mit pointierten Beiträgen zu Payment, Fintech oder Politik. Ab sofort finden Sie bei uns monatlich seine Gastkolumne „instant messages by…“ zum aktuellen Geschehen im Payment, Banking & Co.

Mehr Fortschritt wagen – das ist ein interessanter Slogan für einen Koalitionsvertrag, den sich die Ampel-Koalitionäre da ausgedacht haben. Das Verb „wagen“ ist in meiner Biografie mit dem Titel eines Buches verbunden, welches 1993 unter dem Titel „Treuhandanstalt – das Unmögliche wagen“ erschien, und an dessen Erstellung ich damals mitarbeiten durfte. Die damalige Treuhandaufgabe der Privatisierung, Sanierung und (leider auch) Abwicklung ostdeutscher Betriebe war in vielen Bereichen ein Vorgehen, für das es keine Anleitung gab.

Fortschritt ist heutzutage selbstverständlich

Und damals wie heute gilt: wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Etwas „Unmögliches wagen“ klingt paradox, aber war vor dem Hintergrund des damals Notwendigen konsequent, zeitkritisch und damit logisch. Die Kombination „Fortschritt wagen“ löst bei mir eher die Assoziation des Zauderns aus. Denn Fortschritt ist in unserer Gesellschaft bereits seit dem Zeitalter der Aufklärung selbstverständlich. Der Fortschrittsgedanke ist jedoch immer auch mit Ideologien verbunden. Das wissen wir seit Kant, der bereits damals feststellte, dass „Fortschritt zum Besseren durch keine Theorie gesichert ist, sondern alleine ein Postulat der praktischen Vernunft ist.“ (vgl. Kants Theorie der Geschichte, M. Merseburger, ZfPT, 2/2011)

Im allgemeinen Sprachgebrauch unterscheiden wir in der Regel nicht zwischen den Begriffen Wagnis, Risiko, Gefahr oder Abenteuer. Es wird daher interessant zu verfolgen sein, in welcher Konsequenz eine Umsetzung des Vertrages zu mehr gesellschaftlichem Wertgewinn bzw. Sinnfindung oder zu mehr Opfern (Abgaben, Steuern, Inflation) oder Einschränkungen (Regulierung, Vorgaben, Reglementierung) führen wird.

Was können wir aus Sicht der Payment- und Fintech-Branche von diesem Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition an Wagnissen erwarten? Werfen wir einen Blick in den Vertrag!

Rahmenbedingungen für Level Playing Field müssen stimmen

Dort heißt es schon in der Präambel: “Die Welt ist am Beginn eines Jahrzehntes im Umbruch, deshalb können wir nicht im Stillstand verharren.“ Schön formuliert, nur ist zumindest die etablierte Payment- und Banking-Community bereits seit mindestens einem Jahrzehnt im Umbruch. Die fortschreitende Digitalisierung der Branche fördert und fordert die traditionellen Strukturen und Prozesse in der Bereitstellung der Finanzdienstleistungsprodukte sowie in weiten Teilen auch das Serviceverständnis des Handels. Vor diesem Hintergrund sind in der letzten Dekade sehr viele eCommerce- und Fintech-Unternehmen entstanden, die eben nicht im Stillstand verharren. Und wenn es dann weiter unten im Koalitionsvertrag heißt, dass unser „Wohlstand in der Globalisierung“ eng damit verknüpft wird, dass wir (in Deutschland) „wirtschaftlich und technologisch weiter in der Spitzenliga spielen und Innovationskräfte unserer Wirtschaft entfalten“ dann sehe ich diese Antriebsfedern und Fähigkeiten primär bei den neuen Playern in unserer Branche.

Wenn im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition der Begriff des „internationalen Systemwettstreits“ bemüht wird, dann sollten sich die Koalitionäre darüber im Klaren sein, dass Deutschland im Payment und Banking von morgen nur eine Rolle spielen werden, wenn die Rahmenbedingungen für ein Level Playing Field zumindest in der Europäischen Union geschaffen werden. Diese Erkenntnis der Ampel lässt sich daraus ableiten, dass der angestrebte digitale Aufbruch nur „in einem fortschrittlichen europäischen Rahmen gelingen“ (S. 15) wird. Wir dürfen daher gespannt sein, ob die Strahlkraft der Ampel auch auf unsere Nachbarländer ihre Wirkung entfalten wird.

Ampel-Koalition sollte mehr Nähe zu den Fintechs wagen

Aus Paymentsicht ist bemerkenswert, dass die Koalition sich als besonders förderungswürdige Branche ein Segment ausgesucht hat, mit dem die ehemalige Wirecard u.a. ihre frühen „Fundings“ selbst erwirtschaftete. Unter der Überschrift „Digitale Wirtschaft“ finden wir den Satz: „Wir stärken den Games-Standort Deutschland und verstetigen die Förderung.“ (Seite 19). Da sind die Lobbyverbände der Gamingbranche offensichtlich während den Koalitionsgesprächen zur Höchstform aufgelaufen. Wollen wir hoffen, dass die Regierung ihre ambitionierten Ziele für den Technologiestandort auch auf andere Tech-Branchen pointierter auszuweiten wagt. 

Auf Seite 166 finden wir im Absatz zur „Bekämpfung Steuerhinterziehung und Steuergestaltung“, dass eine „aggressive Steuergestaltung“ mit „größtmöglicher Konsequenz“ verfolgt und unterbunden werden soll. Hier gäbe es eine ganz simple Lösung: die gesetzliche Verpflichtung des Handels und der Gastronomie zur Akzeptanz von digitalem Bezahlen! Dies bringt nicht nur die Kundenorientierung am POS schlagartig nach vorne, sondern schafft im Handumdrehen Steuerehrlichkeit durch eine verpflichtende Kartenakzeptanz. Nebeneffekt für die Kassenbetreiber und Paymentdienstleister ist zwar keine „verstetigte Förderung“, aber zumindest eine einmalig unterstützende Vermarktungsinitiative.

Die Verbände der drei Bankengruppen in Deutschland haben traditionell einen engen Austausch mit allen demokratischen Parteien. Dass das „Drei-Säulen-Modell“ im Koalitionsvertrag damit unter Denkmalschutz gestellt wird (S. 168), überrascht nicht wirklich. Der neuen „vierten Säule“ – den Fintechs, InsurTechs, Plattformen und NeoBrokern hat die Ampel die Rolle des „Ideengebers“ zugedacht. Das ist sicherlich nett gemeint, wird aber der strategischen Rolle und Relevanz dieser neuen Unternehmen in der vor uns liegenden Wagnis-Legislaturperiode in keiner Weise gerecht.

Aber vielleicht ist der Kenntnislevel vieler Ampelianer noch zu sehr mit dem ehemalig bedeutendsten (fälschlicherweise als Fintech bezeichneten) „High-Risk Bankinstituts“ in Aschheim verbunden?! Der Ampel empfehle ich daher unbedingt etwas mehr Nähe zu wagen – zu den neuen Fintech-Spielern in unserer Republik.

Politik als taktierender Beobachter

Auch das EPI-Projekt hat es zumindest mit dem Satz „Europa braucht zudem eine eigenständige Zahlungsverkehrsinfrastruktur und offene Schnittstellen für einen barrierefreien Zugang zu digitalen Finanzdienstleistungen für alle Verbracherinnen und Verbraucher sowie Händler“ in den Ampelvertrag geschafft. Der Begriff „barrierefrei“ ist sicherlich ein Seitenhieb auf Apple und seine NFC-Schnittstelle. Dies in einen engen, kausalen Zusammenhang mit EPI zu bringen zeigt aber auch, dass die Autoren der Ampel-Koalition die Gesamtzusammenhänge im digitalen Payment nicht ganz durchdrungen haben bzw. zu vereinfachen suchen. Wer soll es ihnen auch verübeln?

Dass sich inzwischen nur Bankengruppen von 2-3 Ländern hinter die anstehende Finanzierungsrunde von EPI stellen, wird die Gesellschafter vor die Herausforderung stellen, die Positionierung eher auf eine innovative Paymentplattform zu „reduzieren“, der sich bei Erfolg weitere Banken oder Länder anschließen können. Dies müsste dann eher in einem marktorientierten statt in einem Zahlungsinfrastrukturansatz erfolgen. Vielleicht hält das „Christkind“ ja noch eine Überraschung parat…. Die Politik wird eher ein taktierender Beobachter bleiben, denn zumindest für die Ladesäulen der e-Mobility sind die traditionellen Zahlungslösungen offenbar mehr als ausreichend.

Ampel-Koalition hat noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft

Aus Sicht der Payment- und Fintechbranche bleibt der Koalitionsvertrag weit hinter seinen Möglichkeiten und Chancen zurück. Payment – sei es digital oder bar – spielt eine wesentliche Rolle bei allen bestehenden und neuen Geschäftsmodellen. Eine „konstruktive Begleitung“ (S. 172) der Einführung des digitalen Euros (als Ergänzung zum Bargeld), klingt nicht nach Fortschritt wagen, sondern eher nach zögerlichem Abwarten auf das, was noch kommt. Auch zum „Brauchen einer neuen Dynamik gegenüber den Chancen und Risiken aus neuen Finanzinnovationen, Kryptoassets und Geschäftsmodellen“ (S. 172) stellt sich die Branche die Frage, was dies denn beinhalten mag. Das griechische Adjektiv „dynamiké“ steht für „mächtig“ und „Kraft“. Etwas mehr Dynamik nicht nur „brauchen“, sondern engagiert nach vorne treiben stehen der Politik und auch dem einen oder anderen Teil des Payment & Banking Ecosystem sicherlich gut zu Gesicht.

Der neuen Ampel-Koalition ist in Bezug auf die Payment- und Fintech-Branche jedenfalls mehr Mut und Offenheit zu wünschen. Denn die notwendige Transformation – und nicht nur Fortschritt – ist erst dann zu schaffen, wenn das Unmögliche gewagt wird. Denn nichts ist unmöglich!

Fotocredit „Kant“: Copyright: imageBROKER/GabrielexThielmann iblgth05090646.jpg

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