Seit 20 Jahren gibt es den bundesweiten Aktionstag, den Girl’s Day, um Mädchen einen praktischen Einblick in Berufsfelder zu ermöglichen, in denen Frauen bisher unterrepräsentiert sind. Dazu zählt auch die Fintech-Szene und so haben wir uns unter ausgewählten Unternehmen einmal umgehört, welchen Beitrag sie dazu leisten, mehr Mädchen und Frauen für die Finanzbranche und das Unternehmertum zu begeistern.

In einem Hollywood-Film der späten 90er-Jahre heißt es provokant im Titel „Mädchen an die Macht“. Gute 20 Jahre später sind sie davon zwar immer noch weit entfernt, dennoch hat sich seither viel getan. Immer mehr Mädchen und junge Frauen erobern sich ihren Platz auch zwischen den einst so Männer-lastigen Berufen und werden Schornsteinfegerin, Lokführerin, Fliesenlegerin oder manchmal sogar Gründerin ihres eigenen Unternehmens – aber das ist weiterhin die Ausnahme.

Nur 24 Prozent Frauen in IT und Naturwissenschaften

„In der Fintech-Branche ist der Gründerinnenanteil noch einmal geringer als im gesamten Startup-Ökosystem. Dabei sind insbesondere Fintech-Startups starke Zugpferde für Innovation und Wachstum“, sagt Franziska Teubert, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutsche Startups. Studien zeigen auch, dass Mitarbeitende erfolgreicher Startups häufig selbst Startups gründen.

Diesen Kreislauf sollten wir verstärkt nutzen, um mehr Gründerinnen zu gewinnen: Indem wir in Startups und insbesondere in Scaleups mehr Frauen in Managementpositionen fördern, werden wir zukünftig erfolgreichere Unternehmen und mehr Gründerinnen sehen“, sagt sie weiter.

20 Jahre Girl’s Day: Fintech ist keine reine Männerdomäne mehr - Teil 1

Aktuellen Zahlen zufolge werden jedoch soziale und kulturelle Dienstleistungen weiterhin zu 74 Prozent von Frauen ausgeübt, während in der IT und Naturwissenschaft Frauen nur rund 24 Prozent der Angestellten ausmachen. „Wenn ich meine Sozialisation als junger Mensch mit der meiner Kinder vergleiche, kann ich eine positive Veränderung feststellen. Trotzdem: Wir sind noch lange nicht am Ziel und besonders in der Bildung bedarf es noch viel Veränderung, wenn es um Rollenklischees und Geschlechterstereotypen geht“, sagt Nina Pütz des Berliner Unternehmens Ratepay.

Einige Fintechs fördern Mädchen und junge Frauen

Wer kennt es nicht noch von sich selbst: Schulabschluss in der Tasche, und was dann? Man kennt die klassischen Berufsbilder wie Arzt, Lehrer, Handwerker. Doch es braucht eine bessere Aufklärung und eine engere Verzahnung von Praxis und Theorie, also von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik mit der Bildung. „Nur so können wir Schülern aufzeigen, wie sie ihre Begabungen und Interessen im Berufsleben einsetzen können“, so Pütz weiter.

Seit genau 20 Jahren findet daher jährlich der so genannte Girl’s Day statt, ein bundesweiter Aktionstag, an dem Schülerinnen in ihrem Berufsorientierungsprozess Unterstützung bekommen können. Die Aktion ermöglicht ihnen einen praktischen Einblick in Berufsfelder, in denen Frauen bisher unterrepräsentiert sind. Mädchen im Alter zwischen 15 und 19 können an diesem Tag durch den Besuch von Unternehmen und Betrieben, Hochschulen, Forschungszentren oder Behörden einen Eindruck vom Arbeits- oder Studienalltag erlangen und durch – in diesem Jahr Corona-konforme (digitale) – Mitmach-Angebote ihre praktischen Fähigkeiten entdecken.

20 Jahre Girl’s Day: Fintech ist keine reine Männerdomäne mehr - Teil 1

Am heutigen Donnerstag ist es wieder soweit und Payment and Banking hat sich in der Branche umgehört. Wir möchten wissen, wie sehr sich die Fintechs ihrer Verantwortung in Sachen Nachwuchsförderung, insbesondere für Mädchen und junge Frauen, stellen. Und welchen Beitrag sie dazu leisten, den Frauenanteil in ihren Unternehmen zu stärken. Denn viele Studien beweisen: diverse Teams sind erfolgreicher!

„Wir sehen aber nicht nur beim Gründen und Finanzieren neuer Ideen einen erheblichen Mehrwert durch Perspektivenvielfalt in Deutschland: Auch auf der politischen und gesellschaftlichen Seite würde sich sicher vieles zum Positiven ändern“, sagt Dr. Lea Maria Siering von finleap. 

Und das sagen die Unternehmen:
Dr. Lea Schroeder, Vice President Talent & Culture bei Raisin
Chris Plantener, Gründer und Geschäftsführer von Kontist
Dr. Lea Maria Siering, Chief Risk Officer bei Finleap connect
Franziska Teubert, Geschäftsführerin Bundesverband Deutsche Startups
Nina Pütz, CEO von Ratepay
Susanne Leiding, Business Development Managerin Retail Banking der DKB

Heute werden Jungen Erzieher, Mädchen IT-Spezialistinnen. Spielen Rollenklischees und Geschlechterstereotypen überhaupt noch eine Rolle in unserer Gesellschaft?

Lea Schroeder: „Geschlechterstereotypen beeinflussen leider noch immer die Berufswahl in MINT-Fächern. So sind Frauen nach wie vor in Branchen wie IT oder Finanzen eine Minderheit.“

Chris Plantener: „Leider ist bisher nur jeder siebte IT-Spezialist eine Frau, von daher sind Geschlechterprägungen noch nicht ausgemerzt. Viele Frauen sagen, dass ihnen weibliche Vorbilder fehlen, um den Schritt in eine bisher männerdominierte Branche zu wagen. Jungs geht es umgekehrt wahrscheinlich ähnlich. Deswegen setzen wir uns bei Kontist für weibliche Rolemodels ein und verweisen hiermit stolz auf unseren Frauenanteil von 50 %.“

Lea Maria Siering: „Leider spielen Rollenklischees immer noch eine sehr große Rolle in unserer Gesellschaft. Das sollte aber nicht der Fall sein, aber so lange Begriffe wie Working Mom oder Powerfrau noch kursieren, haben wir noch viel vor uns. Sie verdeutlichen, dass Geschlechterstereotype noch fest in unserem Denken, Handeln und der Kommunikation verankert sind.

Gesichter Lea Maria Siering
Lea Maria Siering

Wir sind der Auffassung, dass solche immer noch fest verankerten Klischees und Stereotypen nicht nur Frauen schaden, sondern auch Männern sowie die gesamte LGBTQIA+ Community betroffen sind: Sie bedingen „Toxic Masculinity” und können etwa dazu führen, dass Männer nicht offen und ehrlich über ihren Emotionen reden können, Fehler eingestehen und sensibel sein dürfen.“ 

Wie tragt ihr dazu bei, jungen Menschen eine Orientierung im Berufsleben zu geben, welches ja bekannterweise nicht immer geradlinig verläuft?

Lea Schroeder: „Wir empfinden es für die berufliche Orientierung unverzichtbar, schon jungen Menschen einen Einblick in die spannende (Berufs-)Welt der Finanztechnologie zu geben. Wir engagieren uns auf Jobmessen, ermöglichen im Studium Praktika und Werkstudentenstellen. Zudem unterstützen wir junge Menschen finanziell durch Stipendien dabei, sich ganz auf ihr Studium konzentrieren zu können und die Finanztechnologie schon früh kennenzulernen.“

Nina Pütz: „Wir sind ein offizielles Ausbildungsunternehmen. Damit wollen wir nicht nur mehr Ausbildungsplätze schaffen, sondern als frauenstarkes Tech-Unternehmen insbesondere jungen Frauen aufzeigen, dass Tech keine reine Männerdomäne ist.“

Chris Plantener: „Wir bei Kontist und insbesondere die Kollegen der Kontist-Stiftung werden nicht müde, sich für bessere Rahmenbedingungen und mehr Aufklärung rund um die Selbstständigkeit einzusetzen. Das betrifft natürlich auch den Schulunterricht: Wenn es um Berufsperspektiven geht, wird Selbstständigkeit in Deutschland oft noch als eine Art Notlösung abgetan oder umgekehrt mit einer Start-up-Gründung gleichgesetzt, für die man erst mal 5 Millionen Euro Startkapital auftreiben muss. Dabei gründen gerade Frauen ganz anders, oft als Einzelunternehmerin, und das sehr erfolgreich.

20 Jahre Girl’s Day: Fintech ist keine reine Männerdomäne mehr - Teil 1
Chris Plantener

Hier sollte man jungen Leuten noch viel besser vermitteln, welche Erwerbsformen es so gibt da draußen, was jeweils die ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind, und dass das große Karriereglück nicht zwingend mit einer Festanstellung gleichzusetzen ist. Gleichzeitig sollten wir jungen Menschen die frohe Botschaft überbringen, dass die Arbeitswelt der Zukunft extrem flexibel sein wird und man sich von vorübergehender Orientierungslosigkeit nicht verrückt machen lassen sollte.“

Lea Maria Siering: „Wir haben verschiedene Initiativen gestartet, bei denen wir versuchen, die bestehenden Missstände anzugehen und innerhalb unserer Company proaktiv zu verändern. Wir wollen Vorbild sein, was solchen Themen angeht. Wir merken aber auch, dass es länger dauert als gedacht. Spannend ist insbesondere für junge Menschen unser Mentoringprogramm, welches wir letztes Jahr ins Leben gerufen haben. Wir beschäftigen aktuell fast ein Dutzend WerkstudentInnen, die so aktiv durch unser Mentoringprogramm bei der Orientierung im Berufsleben unterstützt werden. Viele unserer bisherigen WerkstudentInnen sind etwa Junior Manager bei finleap connect geworden oder in anderen Unternehmen im finleap-Ökosystem geblieben. Wir achten auch innerhalb der Teams darauf, dass wir aktiv eine Nachwuchsförderung bieten, indem erfahrene Kollegen und Kolleginnen stets als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zur Verfügung stehen. 

Dazu haben wir eine so genannte Diversity Community Initiative, die von unserem People & Operations Team geleitet wird, und die WomanX Initiative, die gerade erst beginnt; die Initiative richtet sich ausschließlich an Frauen im Finanz- und Technologiebereich inner- und außerhalb des Unternehmens. Wir wollen hiermit Frauen mehr Visibilität verschaffen, aber auch bestehende Klischees, Rollenbilder, Erwartungen und Vorurteile aufdecken, hinterfragen und verändern. Unser Ziel ist es, wenigstens eine 50/50 in allen Bereichen unseres Unternehmens zu erreichen.“ 

Franziska Teubert: Im Startup-Verband bieten wir Gründerinnen verschiedene Bühnen: Unsere Gremien sind paritätisch besetzt und die German Startup Awards vergeben wir bewusst sowohl an Gründer als auch an Gründerinnen in einer eigenen Kategorie. Zudem haben wir die Initiative #startupdiversity gestartet, um zum einen auf Hürden und Hindernisse von Gründerinnen aufmerksam zu machen, Lösungsansätze aufzuzeigen und zum anderen Gründerinnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen.

Susanne Leiding: Wir setzen uns bewusst für Aktionen wie den #girlsday ein, um zu zeigen, welche unterschiedlichen Perspektiven es gibt. Dabei wollen wir den Mädchen gerade zeigen: Es geht heutzutage eigentlich nichts mehr ohne ein technisches Verständnis und geben unter anderem Praxis-Einblicke in den Digital-Products-Bereich, die DKB Code Factory und in den Bereich Business Intelligence.
Kolleginnen mit dem unterschiedlichsten Background zeigen hier ihren Weg und geben einen Eindruck zu ihrer Arbeit. Außerdem setzen wir uns seit mittlerweile zwei Jahren mit weiteren Fintech-Playern für die Hacker-School-Initiative ein. Kinder und Jugendliche lernen von ehrenamtlichen Entwickler*innen (spielerisch) programmieren.

Konkret bieten wir dann verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten selbst an: Ausbildungsplätze, unterschiedliche Trainee-Programme und ein Junior Expert Programm. Dabei entscheidet häufig eher die Motivation und nicht die reine Qualifikation auf dem Papier. Denn der CV – ob geradlinig oder nicht – sagt meiner Erfahrung nach wenig über die Eignung von Bewerber*innen aus.

Was sagen unsere GesprächspartnerInnen zum Thema „weibliche Nachwuchsförderung“? Welche Rollen spielen Wirtschaft und Gesellschaft? Und wieso braucht es mehr Frauen in der Führungsetage? Antworten auf diese und andere Fragen folgen im zweiten Teil von „20 Jahre Girl’s Day: Fintech ist keine reine Männerdomäne mehr.

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