Wer die undankbare Rolle des Party-Crashers einnehmen will, setzt eine beliebige, von Insurtechs voller Stolz gemeldeten Zahl, in das Verhältnis zum Gesamtmarkt. Es spielt keine Rolle, ob es nun Bruttobeiträge, verdiente Provisionen, Policen oder die Zahl der Kund:innen sind. Selbst bei optimistischer Betrachtung und wohlwollender Analyse kommt hier bisher kein Unternehmen auch nur in die Nähe eines tradierten Versicherers. Teilweise schlagen selbst kleinere Maklerpools die Bestände. 

Ohne die individuelle Arbeit der verschiedenen Startups schmälern zu wollen, ist das Gesamtergebnis doch eher ernüchternd. Schließlich sind die jungen Unternehmen inzwischen auch schon eine Weile am Start. 

Es steht also die Frage im Raum, wie es gelingen kann, mehr Relevanz und Traktion zu erreichen. Das könnte ein Ansatz sein, der sich mit „Open Insurance“ fassen lässt. Nur den gibt es so noch nicht. Nur warum ist das so?

Es gibt unzählige Daten – sie fließen nur nicht richtig

Jetzt soll das kein akademischer Vortrag werden. Die Gründe für das Fehlen von Open Insurance haben auch was mit dem komplexen Gebilde Versicherungsvertrieb zu tun. Schauen wir uns mal die Datentöpfe an, in denen Informationen zu einer Versicherung und den Versicherten liegen (können). Im Rahmen eines klassischen Vertriebsmodells über Makler und Vertreter haben wir:

  • Maklerverwaltungsprogramm: Hier verwalten die Maklervertriebe die Daten ihrer Kund:innen. Neben den klassischen Stammdaten in der Regel dann auch eine Kopie der Verträge.
  • Software des Maklerpools oder der Vertriebsorganisation: Jetzt wird es bereits wild. Denn vielleicht arbeitet der Makler nicht allein, sondern hat sich einem Vermittlerpool angeschlossen, um dessen Service zu nutzen. Hier schlummern dann erneut Informationen zu allen Vorgängen. Das könnten dann Einschätzungen und Stellungnahmen eines medizinischen Dienstes sein, um die biometrischen Risiken einzuschätzen. Dazu kommen wenigstens noch die Daten zur Provisionsabrechnung.
  • Systeme des Versicherers: Auf PowerPoint-Folien wird die Versicherung stets als einzelner Block gezeichnet. Faktisch spielen hier aber eine ganze Reihe von Lösungen und Datenbanken eine Rolle. Dort wird nach Abschluss der Police mit den Informationen gearbeitet. Schadenmeldungen, Regulation von Schäden, Einzug von Beiträgen, Verwaltung von Guthaben in der bAV usw.

Nun verschicken weder Makler und Maklerpool noch Versicherer Brieftauben und auch das Fax spielt nur noch selten eine Rolle. Aber, um den Rückfall in Floskeln zu vermeiden, herrscht hier doch eine bunte Vielfalt in Hinblick auf den Datenaustausch. (Bevor sich jetzt die Kollegen der verschiedenen Verbände aufregen, bitte erst weiterlesen.) 

Alle sind zwar mehr oder weniger digital angebunden, aber schon die Übernahme von Daten aus Maklerverwaltung 1 nach Maklerverwaltung 2 kann sich im großen Stil als tückisches Projekt erweisen. 

Open Insurance: Der Versuch einer Definition

Was der Versicherungswelt derzeit noch fehlt, ist eine regulierte Definition für den Datenaustausch, wie es ihn in der Bankenwelt gibt. Open Insurance im Verständnis dieses Beitrags meint standardisierte Datenformate, Prozesse und daraus resultierend APIs, die gemeinsam den Datenverkehr zwischen drei Parteien regeln.

  1. Einem Datenanbieter: Nicht zwangsläufig tatsächlich als kommerzieller Anbieter verstanden, sondern eher im Sinne eines Datentopfes.
  2. Die Nutzer:innen / Versicherten: Die benötigen ja regelmäßig auch Informationen zu ihren Versicherungen oder wollen Policen ergänzen und erweitern.
  3. Dritten: Diese Rolle können Fintechs, Insurtechs oder auch Branchenfremde übernehmen.

Es braucht auch Regulatorik

Nun dürfte an der Kreativität von Softwareentwicklern und Gründer:innen kein Zweifel bestehen, Schnittstellen zu entwickeln. Der Datenaustausch muss aber zwangsläufig einer Regulatorik unterworfen sein. Schließlich handelt es sich bei den Daten, die Versicherungen so verarbeiten, um schützenswerte Informationen, die ähnlich sensibel wie Bank- und Transaktionsdaten sind. 

Kein Versicherter, der ordnungsgemäß einmal die Gesundheitsfragen beantwortet hat, dürfte besonders erpicht darauf sein, dass der Anbieter der frisch installieren neuen Fancy-App, problemlos in den Besitz der Info gelangt, dass einmal eine eher peinliche Erkrankung behandelt werden musste. 

Datenschutz und Datensicherheit sind schon allein deshalb wichtig, weil ein solches System offener Schnittstellen nur mit entsprechendem Vertrauen genutzt werden wird. Zur Regulatorik gehört auch die Einbeziehung von Institutionen wie dem GDV oder dem BaFin. 

Haben wir das nicht schon? Was ist mit BiPRO?

Von BiPRO-Normen dürfte kein Versicherter jemals gehört haben. Das Thema Daten und vor allem der Datenaustausch und dessen Probleme beschäftigt die Branche bereits seit einiger Zeit. 2006 wurde der BiPRO e. V., das Brancheninstitut für Prozessoptimierung, gegründet, um genau an diesen Themen zu arbeiten. 

Was BiPRO so ist: Kurz erklärt

Inzwischen wurde auch eine ganze Menge in Form der verschiedenen BiPRO-Normen erreicht. Insofern könnten diese auch eine mögliche technische Basis für „echtes“ Open Insurance sein. Sofern die Branche denn wollte. 

Um einem Laien verständlich zu machen, welchen Herausforderungen sich der eher kleine Gründerkreis von BiPRO zu Beginn gegenübersah. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der es nicht einen Standard für E-Mails gibt. Sondern unzählige Dialekte. 

Diese Formate übernehmen zwar alle die gleiche Aufgabe und enthalten die gleichen Informationen, nur leider brauchen sie dafür jeweils ein eigenes Programm, können nur den Nutzer:innen schreiben, die das gleiche Programm verwenden und wenn sie an andere eine Nachricht übermitteln, ist es Glückssache, was dabei herauskommt. Ersetzen Sie „E-Mail“ durch Schadenmeldung oder Bestand – dann haben Sie eine Vorstellung davon.

Und was hätten wir (alle) davon?

Definierte und regulierte Schnittstellen würden innerhalb der Versicherungswirtschaft den Datenaustausch erleichtern und effizienter machen. Es wäre für Dritte viel einfacher, eigene Services zu entwickeln oder sich als Lösungsanbieter schneller an Systeme der Versicherer anzubinden. Indes dürften die Versicherer selbst zunächst einmal genauso verschnupft wie die Banken reagieren, weil ja die Datenhoheit geschmälert würde.

Um sich einen Blick über alle Versicherungen zu verschaffen, bleibt den Versicherten meist nur der Griff zu Akten.

Vorteile gäbe es indes auch für uns alle, also die Versicherten. Das Marketing-Buzzword „360 Grad Ansicht“ kennen Sie bestimmt. Übertragen auf eine Welt mit Open Insurance wäre das tatsächlich möglich. Nehmen wir nun einmal das gern verdrängte Thema Altersvorsorge:

Wie hoch sind die Einkünfte mit Eintritt in das Rentenalter? Die Ausgangswerte, mit denen sich Prognose errechnen, und vor allem der aktuelle Stand abbilden könnte, wären ja vorhanden. Nur der Blick in den Dokumentenordner hilft hier nicht weiter.

Wer alles mitgenommen hat und auch noch selbst spart, kommt auf eine Reihe von Datentöpfen:

  • Punktestand bei der Rentenversicherung
  • die Police der Direktversicherung des Arbeitgebers im Rahmen einer bAV
  • die eigene Riester-Police
  • eine eigene fondsgebundene Lebensversicherung
  • der ETF-Sparplan

Der Status aller dieser Absicherungen ist Teil des aktuellen Vermögens. Und lägen die Basisinformationen vor, könnten Sie in einer schicken App per Schiebereglern mögliche Renditen und Inflationsraten berücksichtigen, um sich so besser einen Überblick zu verschaffen.

Nur diese Datentöpfe sind isoliert. Also gibt es einen solchen Rentenrechner leider noch nicht. 

Open Insurance würde genau solche Probleme lösen und neue Use Cases schaffen. Der Gedanke müsste nur mehr Fahrt aufnehmen. 

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