Warum das Geschrei nach IPOs vergebens ist

Tamaz Georgadze Foto: Fukas Schramm

Immer wieder gibt es Berichte, dass Deutschlands Vorzeige-Fintechs angeblich an die Börse gehen wollen. Dran ist an diesen meistens gar nichts. Warum ist die Szene so besessen von Börsengängen?

Ist es endlich so weit? Öffnen sich die Tore und strömen deutsche Fintechs in den kommenden Monaten an die Börse?

Dieser Eindruck konnte vergangene Woche zumindest entstehen. Denn die Investmentbank Drake Star veröffentliche eine Liste europäischer Fintechs, die es angeblich bald an die Börse zieht, wie FinanceFWD berichtete. Auf dieser fanden sich auch einige deutsche Schwergewichte. Raisin soll angeblich bereits nächstes Jahr an die Börse wollen, N26 irgendwann ab 2027, auch Trade Republic und Scalable stehen drauf, wenn auch ohne konkretes Datum. Ein Wahnsinn: die neue deutsche Finanzelite, endlich börsennotiert?

Leider nein, denn mehr als ambitionierte Spekulation scheint die Liste nicht zu sein, wenn man sich bei den angeblichen IPO-Kandidaten umhört, bekommt man relativ einhellig zu hören: Nichts dran, nichts zu vermelden. Trade Republic und Raisin etwa verweisen auf frühere Statements ihrer Gründer, die konkrete Planungen für einen Börsengang verneinten. Scalable Capital schließt einen Börsengang zwar nicht aus, will sich aber darüber hinaus nicht äußern.

Jetzt könnten natürlich alle Start-ups mauern – oder aber die Drake-Star-Liste ist mal wieder viel Lärm um nichts. Und das passiert ständig, seit Jahren kommen alle paar Monate Spekulationen um IPOs deutscher Vorzeige-Fintechs auf. Erst diesen Sommer berichtete etwa das Handelsblatt unter Verweis auf informierte Kreise, dass ein Raisin-IPO in der Planung sei. Warum aber wird das Thema ständig wieder nach oben gespült? Und was sagt das über den Fintech-Standort Deutschland im Jahr 2024 aus?

Alle wollen IPOs

IPOs sind Big Business. Nicht nur für das emittierende Unternehmen. Investmentbanken, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer verdienen unter anderem mit. Für all diese Leute herrscht zumindest in Deutschland seit einigen Jahren Saure-Gurken-Zeit. Laut dem aktuellen IPO-Barometer  der Unternehmensberatung EY ließen sich dieses Jahr bisher 94 Unternehmen an europäischen Börsen listen – lediglich vier davon in Deutschland. Im dritten Quartal ging lediglich der Industriedruckerhersteller BigRep an die Börse. Ein Start-up oder gar Fintech ist der natürlich nicht.  In den beiden Vorjahren sah es sogar noch schlechter aus, mit lediglich drei (2023) beziehungsweise einem (2021) IPO im Prime Standard, der Champions League der Börse.

Entsprechend versuchen an IPOs interessierte Firmen immer wieder, das Thema auf die Agenda zu heben. Das hat dann allerdings nicht immer etwas mit der Realität zu tun.

Der Börsengang ist das große Finale

Auch die Fintech-Szene selbst lechzt nach Börsengängen. Denn kaum eine andere Branche ist so narrativgetrieben. Firmenentwicklungen müssen eine Geschichte erzählen, von der genialen Idee in der Garage hin zum Multimillionen-Exit oder -IPO. Nur hat sich das Finanzierungsklima für Start-ups in den vergangenen Jahren so abgekühlt, dass es deutlich weniger Exits gibt. Für die Beobachter der Szene ist das frustrierend, denn so viele Start-up-Storys fühlen sich unvollendet an. Es ist wie das Warten auf die finale Staffel der eigenen Lieblingsserie.

Besonders schmerzhaft ist dieses Warten, weil keine guten neuen Storys nachkommen, ebenfalls ein Nebeneffekt der schwierigen VC-Situation. Das nächste große Ding in Start-up- und Fintech-Deutschland lässt leider auf sich warten. Also klammern sich alle an die bekannten Akteure und hoffen, dass die bald noch einen draufsetzen, dann per IPO.

Warum Unternehmen warten

All das bedeutet natürlich nicht, dass Börsengänge langfristig ausgeschlossen sind. Aber gerade für die aufgelisteten Kandidaten ist es keine unbedingte Notwendigkeit. Sie haben nämlich den Schritt in die Gewinnzone geschafft (Raisin, Trade Republic) oder stehen kurz davor. Der Kapitalbedarf ist nicht so hoch, dass sie nun schnell an die Börse müssten. Auch weil das VC-Klima sich etwas verbessert hat, gerade für Firmen, die zeigen können, dass sich mit ihrem Geschäftsmodell Geld verdienen lässt.

Zu guter Letzt: Trotz gebetsmühlenartiger Wiederholung vonseiten der IPO-Befürworter sind die Bedingungen für Börsengänge nach wie vor nicht besonders attraktiv. Geopolitische Unsicherheiten (Naher Osten, US-Präsidentschaftswahl) und hohe Inflationsraten erschweren es, klare Prognosen für die kommenden Wirtschaftsjahre zu erstellen. Das kann sich zwar 2025 oder 2026 ändern – bis dahin wird es aber an der IPO-Front ruhig bleiben.

Autor

  • Lars-Thorben Niggehoff ist freier Journalist und Gründer des Journalistenbüros dreimaldrei. Er schreibt über Finanzthemen, Mittelstand und den Immobilienmarkt, neben Payment & Banking unter anderem auch für Brand Eins, Capital, Welt und Wirtschaftswoche.

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