Videoident ist tot! Wo ist bitte die nächste Postfiliale?

person holding black iphone 5

30 Minuten in der Warteschlange, technische Probleme und wieder neu: Die Versprechen von Videoident-Verfahren sind tot. Ich gehe wieder zur Post. Ein (leicht genervter) Erfahrungsbericht.

Die Payment and Banking-Szene ist unzweifelhaft niemals langweilig. Kein Monat vergeht, ohne dass neue Produkte, Banken, Fintechs und Payment-Lösungen auf den Markt kommen. Aber wer braucht das eigentlich alles und muss man das alles gut finden? Unser Autor Nils Wischmeyer beleuchtet in seiner Kolumne „Nils nörgelt“ ab monatlich ein Produkt, Thema oder eben den „letzten heißen Scheiß“. Etwas zu meckern gibt es schließlich (fast) immer.

Drei Nachrichten waren es, die mich an diesem Sonntag zur absoluten Weißglut brachten. Die Erste noch war vergleichsweise harmlos, wenn auch schon nervig: „Dies kann einige Minuten dauern. Bitte haben Sie etwas Geduld“. Mit „Dies“ meint die nette Nachricht die Video-Identifikation für mein neues Konto, mit „etwas Geduld“ erst einmal zehn Minuten. Dazu ein Hinweis: Die beste Uhrzeit für eine Identifikation sei 13 bis 17 Uhr. Aha, denke ich, schau auf die Uhr und, ach ja, 13:30 Uhr. So viel zur künstlichen Intelligenz. 

Videoident immer noch zu fehlerhaft

Noch denke ich mir aber nichts dabei. Ich sitze schließlich im Wohnzimmer, einen Kaffee neben mir, und die Sonne scheint. Da kann man gern mal zehn Minuten warten. Es taucht schließlich auch die zweite Nachricht auf, die mir bescheinigt, dass ich mit einem Mitarbeiter verbunden werde. Nur leider folgt dann die Dritte: Identifikation fehlgeschlagen. Bitte, was? Ich schaue verdutzt auf den Bildschirm, ärgere mich, fluche so etwas wie „Scheiß Technik“ – und versuche es erneut.

Diesmal dauert es deutlich länger, doch am Ende schaffe ich es bis zu einer Dame, die in einem viel zu lauten Call-Center sitzt und mir nach wenigen Sekunden sagt: „Entschuldigen Sie, Ihre Webcam ist zu schlecht. Das geht so nicht.“ Nach einem verbalen Schlagabtausch über meine nigelnagelneue HD-Webcam lege ich entnervt auf. Das soll jetzt die Verbesserung gegenüber dem
PostIdent-Verfahren sein? Was ein Witz – und ein schlechter noch dazu. 

Einfallstor für Kriminelle

Denn, liebe Anbieter, blicken wir der Wahrheit in ihre hässliche Fratze: Video-Ident-Verfahren funktionieren allenfalls unregelmäßig, sind mit hohen Hürden verbunden und dauern oft länger als der Weg zur nächstgelegenen Postfiliale, in der Frau Müller mir dann meinen Personalausweis einscannt. Dass sie zudem ein Einfallstor für Kriminelle sind, die so an Konten für Neobanken kommen, brauche ich da gar nicht erwähnen, auch wenn das gern abgestritten wird.

Es geht also durchaus um einen Sicherheitsaspekt, doch will ich den vernachlässigen. Denn nein, es interessiert mich nicht einmal, ob das jetzt um 1,76 Prozent sicherer ist oder eben nicht. Ich will doch als Kunde einfach nur ein Verfahren, dessen Handhabung fehlerfrei von meiner Couch aus funktioniert. Dieses Versprechen hat mir Videoident gegeben und dieses Versprechen hat Videoident gebrochen. 

Fachkräftemangel auch im Service von Videoident-Verfahren bemerkbar

Denn ja, es kann tierisch ärgerlich sein, wenn man auf die Öffnungszeiten der Post angewiesen ist. Erst einmal muss ich den Coupon ausdrucken, dann nach der Arbeit dorthin hetzen und vielleicht stehe ich mit 20 weiteren Menschen in der Schlange, von denen mich die Hälfte hasst, weil so eine Identifikation eben ein paar Minuten länger dauert, als Briefmarken zu kaufen. Entsprechend großer Fan war ich in der Anfangszeit von der Idee des Video-Ident-Verfahrens, das – zumindest gefühlt – in den ersten Monaten nach Einführung auch relativ gut funktionierte. In meiner Erinnerung kam ich gut durch und auch meine Mittelklasse-Webcam reichte aus, um mich einmal durch den Prozess zu manövrieren. Läuft es so, bin ich eigentlich euer Fan, liebe Video-Ident-Anbieter. 

Aber in den vergangenen Wochen habe ich jede Hoffnung in euch verloren, wirklich, es ist ein Desaster. Ich habe gleich mehrere Anbieter für verschiedene Dienstleistungen ausprobiert, habe versucht Depots zu eröffnen, Bankkonten, Kreditkarten und oh weh, das ist wirklich ein Trauerspiel. Meist dauert es recht lange, bis eine Mitarbeiterin oder Mitarbeiter zur Verfügung steht.

yellow mailbox on brown wall bricks

Das ist, auch mit Blick auf den Fachkräftemangel, jetzt erst einmal nicht ungewöhnlich und die Schuld liegt sicherlich nicht am – meiner Erfahrung nach – sehr effizienten Mitarbeiterstamm. Wenn aber das Versprechen ist, schneller als der Weg zur Post zu sein, muss man sich als Unternehmen eben ein wenig ins Zeug legen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Höhere Gehälter und andere Maßnahmen dürften ungewöhnlich, aber nicht unbekannt in der Branche sein. Oder doch? 

Wenigstens die App funktioniert

Schafft man es dann tatsächlich zu einer der wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, gibt es gleich mehrere Fallstricke, über die ich alle gefallen bin. Nummer Eins: Es liegt ein technischer Fehler vor, etwa, weil man den Mitarbeiter nicht sieht oder er einen nicht. Ergebnis: alles auf Anfang. Nummer Zwei: der gleiche Spaß mit Ton. Nummer Drei: Die Webcam ist leider nicht gut genug. Und ja, Nummer Eins und Zwei akzeptiere ich noch. Irgendeine Wirre der Technik oder des Internets ist vollkommen in Ordnung. Aber meine nigelnagelneue Webcam mit einer optimalen Auflösung soll nicht ausreichen für euer Verfahren? 

Der Clou kommt aber noch: Mit den Apps der jeweiligen Anbieter läuft es einigermaßen flüssig und deutlich besser als im Web. Aber, und dieses Aber möchte ich großgeschrieben wissen, ABER ich hab auf so viele Arten und Weisen keinen Bock darauf, für eine einzige Identifikation alle paar Monate eure App herunterzuladen, die dann irgendwo auf meinem Smartphone dümpelt und den Speicher verstopft. 

Also habe ich einige Tage später eine Alternative genutzt, habe mir den Coupon ausgedruckt, bin in der Sonne zur Post geschlendert und habe mich in unter zehn Minuten identifiziert. Das Konto ist mittlerweile eröffnet, kein einziges Problem trat auf.

Autor

  • Nils Wischmeyer ist Gründer des Journalistenbüros dreimaldrei und schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Wirtschaftswoche und die brandeins. An der Finanzbranche findet er (fast) immer was zum Nörgeln.

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