Im Banking gibt es immer mehr Lösungen für dedizierte Nutzer:innen-Gruppen. Historisch betrachtet sind Verticals jedoch gar nichts Neues. Während etwa die Deutsche Bank eher Besserverdiener:innen und Unternehmer:innen ansprach, galten die Sparkassen und Volksbanken als Bank des „kleinen Mannes“. Dieses Image hält sich zumindest in Teilen bis heute. Aber so wenig VW Autos für das einfache Volk baut, so wenig gilt das für die Banken. Anders ausgedrückt: die Retailbanken versuchen im Grunde Lösungen für ein breites Kundensegment zu bieten. Und vielleicht ist das am Ende gar nicht so schlecht.

Vertical Banking ist keine neue Erfindung

Bereits vor 120 Jahren wurde die Apobank gegründet. Grund dafür war die seinerzeit schwierige wirtschaftliche Situation der Apotheken und bis heute adressiert die Bank in erster Linie Mitarbeiter in Heilberufen und deren Familienangehörige. Ähnlich verhält es sich mit der PSD Bank (Post-Spar- und Darlehnsverein). Dem Anfang des 20. Jahrhunderts gegründete Verein konnten nur Postangestellte Mitglied beitreten.

Jahrzehntelang boten die etablierten Retailbanken bis auf wenige Ausnahmen einen Einheitsbrei und eine One-Size-Fits-All Lösung, die zu einer jüngeren Zielgruppe jedoch nicht mehr so richtig zu passen schien. Hilfe nahte. 2015 wurde mit dem Start der Neo-Bank N26 zum ersten Mal eine jüngere Zielgruppe in der Breite angesprochen. Bis heute sind über 60 Prozent der Nutzer:innen der Berliner Neo-Bank jünger als 35 Jahre. Mit Revolut, Vivid oder Tomorrow kamen weitere Neo-Banken hinzu, die eine vornehmlich jüngere, hauptsächlich digitale Zielgruppe adressieren.

Nuri richtet sich mit ihrem Claim „New Reality Banking“ an eine Krypto-affine Zielgruppe, die eine einfache Möglichkeit sucht, in Kryptowährungen zu investieren. Tomorrow sieht sich als digitale, Nachhaltigkeits-Bank, Vitamin möchte gezielt Finanzdienstleitungen für Frauen bieten, Pockid will Standard für junge Menschen und Eltern sein und Brygge bietet ein Frontend für (ältere) Menschen sein, die bisher keine oder kaum Erfahrung im Online-Banking haben.

Weitere Banken sind:

  • Triodos (seit 1980) mit Fokus auf Nachhaltigkeit
  • GLS Bank (“Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken” seit 1974) mit Fokus auf Nachhaltigkeit
  • Ethikbank (Tochter der Volksbank Eisenberg) mit ethisch-ökologischen Grundsätzen
  • PAX Bank (gegründet 1917) Genossenschaftlich organisierte, christliche Bank.
  • Getinsha (gegründet 2018) Muslimisches Fintech auf Basis der Solarisbank
  • Kontist (gegründet 2016) Banking für Selbstständige und Freelancer:Innen

Das Problem mit den Verticals

Ziegruppenorientierte Lösungen sind so lange gut, solange es die Zielgruppe gibt und diese groß genug ist. Schwierig aber wird es dann, wenn Dienstleistungen auf Lebenszeit angelegt sind und sich dabei selbst untergraben. Ein Kinderfahrrad ist für ein Kind auch nur so lange interessant, bis es ein neues braucht.

Anders als ein Fahrrad sind Bankprodukte wie Versicherungen, die im besten Fall auf eine lebenslange Laufzeit ausgelegt sind. Einmal Bank XY, immer Bank XY. Aber: Je spezifischer eine Lösung ist, desto größer ist auch die Gefahr, dass die Kunden abwandern. Denn: Interessen und Haltungen können sich im Laufe der Jahre ändern.

Was beispielsweise passiert, wenn Kinder zu alt für ein dediziertes Bankkonto werden? Was macht der Anhänger muslimischen Glaubens, der zum Katholizismus konvertiert? Oder auch: Was macht eine Ökobank-Nutzer:in, die im Garten eine Ölquelle findet? Und auch umgekehrt gedacht entstehen Fragen. Als lebenslanger Hipster mag man sich über sein N26 Konto freuen, aber wie, bitteschön, adressiert eine Neo-Bank künftig dann die kommende Generation?

Totgesagte leben länger

Natürlich kommen (die meisten) Neo-Banken nicht im Hello Kitty Look & Feel um die Ecke. Und nur, weil Early Adopter einer solchen Bank im Altersdurchschnitt sehr viel jünger sind, wird das nicht so bleiben. Auch das iPhone wurde anfänglich nicht von Oma und Opa gekauft, doch der aktuelle Digitalindex D21 zeigt, dass auch die Gruppe der über 60-Jährigen nicht mehr mit Brieftauben ihre Bankgeschäfte betreiben. Über alle Generationen hinweg sind wir längst digital geworden.

Es ist kein Geheimnis, dass insbesondere Neo-Banken zunächst die Menschen adressiert, die ihre 35 Jahre noch nicht überschritten haben. Ob diese Fokussierung langfristig jedoch die richtige Strategie ist? Denn was passiert, wenn ich nicht (mehr) ins Raster der Bank passe? Konto wechseln oder bleiben? Am Ende könnte hier die These stimmen, dass eine traditionelle Bank wie die Volksbanken und Sparkassen am Ende gut aufgestellt sind, da sie doch eben alle Zielgruppen neutral adressieren.

Fazit:

Vielleicht wünschen sich Menschen Dienste, die flexibel mitwachsen. Statt eigenständige Bankprodukte für jede Gruppe zu entwickeln, sollten die Banken versuchen, mit den Kunden gemeinsam Lösungen zu finden. Oft kommt es nicht darauf an, wo man sein Konto hat, sondern wie es bedient wird. Vielleicht braucht es am Ende statt Verticals nur ein anderes Frontend, wie es von Finzanzblick, Outbank oder Brygge kommt. Letzteres Unternehmen machen es sich zur Aufgabe, „Generationen zu verbinden“. Ich könnte mein Konto bei N26 und der Sparkasse behalten, aber endlich altersgerecht meinen Bankgeschäften nachkommen. Das wäre dann sozusagen die Lesebrille fürs Online-Banking.

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