Verändert sich das Anlegerverhalten mit Blick auf die Inflation?

Der Frühling 2022 könnte so schön sein! Ist er aber nicht! Der Ukraine-Krieg kostet nicht nur Menschenleben, sondern auch Wirtschaftskraft. Die Corona-Krise ist gleichfalls nicht ausgestanden. Und die Inflation in Deutschland wie auch in anderen Ländern türmt sich so hoch wie seit Langem nicht. Was macht das mit der Anlagekultur in Deutschland, die zuletzt durch ein stabiles Umfeld, die verbesserte Zugänglichkeit unter anderem dank smarter Anwendungen und etwas mehr Zeit zum Nachdenken im Corona-Lockdown so frühlingsfrisch daherkam? Diese und ähnliche Fragen haben wir Finanzhäusern vorgelegt, Bank wie Fintech.

Inflation als Katalysator einer deutschen Aktienkultur?

Sie war hierzulande kein Thema, die Inflation. Kein Wunder also, wenn Sparbuch & Co. lange beliebt waren. Doch mit steigender Höhe wächst offenbar die Unruhe. „Selbstverständlich beeinflussen die Inflation, unsichere Märkte und die Angst vor steigenden Zinsen das Handeln der Investoren“, sagt Moonfare-Gründer und CEO Steffen Pauls. Das Fintech macht Private Equity größeren Kreisen mit deutlich niedrigeren Anlagesummen zugänglich. „Wir haben jedoch einige unserer bisher stärksten Wochen in diesem Jahr erlebt.“ Kein Wunder: „Inflation bedeutet auch, dass Anleger jetzt bestraft werden, wenn sie ihr Geld auf der Bank liegen lassen (das gilt insbesondere für den Euro).“

Das beobachtet man auch bei Scalable. „Die Inflation führt die Notwendigkeit, zu handeln, noch einmal deutlich vor Augen“, sagt Uwe Passmann, Head of Sales des Unternehmens. „Geld, das nur auf dem Konto liegt, verliert über die Zeit substanziell an Wert. Wir sind jüngst auch in vier weiteren europäischen Ländern gestartet, da das Geld, dass auf dem Sparbuch liegt, nicht nur in Deutschland immer weniger wert sein wird.“

Was deutet das in der Anlagepraxis?

„Die Konsequenz ist, dass die Anleger verstärkt nach verzinsten Alternativen suchen, mit denen sich der Wertverlust zumindest abmildern lässt“, sagt Paul Wolter von Raisin. „Wir sehen bei Tages- und Festgeldern mit verschiedenen Laufzeiten zwar ein gestiegenes Interesse, können jedoch keine Rückschlüsse auf die direkten Ursachen (Inflation, antizipierte Zinswende, Ukraine-Krieg etc.) des Verhaltens unserer Kunden ziehen.

Und bei einer Bank wie der ING? „Ob sich allein aufgrund der Inflation neue Wertpapierkundinnen und -kunden für unser Angebot entschieden haben, lässt sich nicht sagen. Da wir aber nach wie vor für unterschiedliche Wertpapierkunden ein sehr attraktives Angebot bieten, konnten wir auch in den vergangenen Monaten viele neue Depotkunden gewinnen.“

Die Inflation zwingt den meisten Menschen offenbar eine Art gestiegenes Problembewusstsein auf – zumindest schwingt das in den Antworten der meisten befragten Marktteilnehmer mit.

Hat sich das Anlageverhalten in Zeiten der Inflation wirklich geändert?

Ulli Spankowski, Gründer der Kryptohandels-App Bison, sagt: „Wir haben über die letzten Monate einen Zuwachs der Nutzer:innen auf aktuell rund 635.000 verzeichnet.“ Ein Plus, das Hoffnung macht. Auch anderen: „Die Deutschen haben in der Corona-Krise Wertpapiere für sich entdeckt“, sagt Johannes Frevert von der Börse Stuttgart. „Dieser Trend ist aus unserer Sicht kein Strohfeuer. Wir sehen weiterhin sehr hohes Anlegerinteresse an Börse und Wertpapieren. Um es passend zu bedienen, steht die Börse Stuttgart mit umfassenden Informationsangeboten und hochwertigen Handelsdienstleistungen für Privatanleger bereit.“ Bei Scalable teilt man diese Einschätzung: „Das Interesse, am Kapitalmarkt zu investieren, ist sehr groß. Das spiegelt sich auch in unseren Zahlen wider“, sagt Passmann. Und ist sich sicher: „Die Entwicklung wird sich fortsetzen.“

Und wie sieht es bei Kryptowährungen aus? „Wir beobachten, dass die Nachfrage stark mit der Volatilität am Kryptomarkt korreliert“, sagt Spankowski. „Geringere Schwankungen im Kursgefüge führen dazu, dass weniger gehandelt wird. Letzte Woche gab es jedoch einen dramatischen Kurseinbruch und ich glaube, dass Nutzer:innen die relativ günstigen Preise genutzt haben, um erstmals in den Kryptomarkt einzusteigen oder ihr Krypto-Portfolio zu erweitern.“ Mehr Mut also? Das ist indes keine flächendeckende Beobachtung.

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Zumindest formuliert man bei der ING etwas behutsamer: „Wir sind zuversichtlich, dass wir mit unserem Wertpapierangebot – auch wenn sich die Zinsumgebung irgendwann ändert – unsere Kunden überzeugen können. Wertpapiere werden weiter für eine breit aufgestellte Geldanlage sowie für längerfristige Sparziele entscheidend bleiben.“

Wie groß ist die Frustrationstoleranz?

Sind die neuen Anleger mit entsprechender Frustrationstoleranz ausgestattet? „Kursschwankungen an den öffentlichen Märkten sind für Anleger ein Problem“, sagt Pauls von Moonfare. Bei der ING ist man etwas behutsamer in der Antwort: „Generell unterscheidet sich das natürlich je nach Anlegertyp. Während wir bei aktiven Tradern sehen, dass Kursschwankungen zu vermehrten Handelsaktivitäten führen, behalten die meisten unserer Kundinnen und Kunden doch eher eine „ruhige Hand“ und sitzen Kursschwankungen einfach aus. So sehen wir weiterhin sehr gute Zuflüsse in Wertpapieranlagen und auch unsere Kunden mit Sparplänen bleiben bei Kursschwankungen mit dabei. Und das ist durchaus positiv. Gerade Wertpapier-Sparpläne dienen dem langfristigen Anlegen und federn Kursschwankungen ab.“

Auch bei Scalable beobachtet man ähnliches: „Die durchschnittliche Kaufquote der Scalable Kunden liegt nach wie vor im Bereich des bisherigen Durchschnitts; Kunden verfolgen auch in volatilen Phasen weiter ihren Fokus des langfristigen Vermögensaufbaus und bleiben bei Kursschwankungen besonnen.“

Fazit: Was bleibt?

Das altmodische Rezept der Sparpläne hilft Anlegern offenbar, der Aktie die Stange zu halten, auch wenn das Umfeld unruhig ist. Nur: Dazu muss der Entschluss zunächst gefasst werden. Wie robust der Trend zur aktienbasierten Geldanlage ist, kann keine Umfrage beantworten. Deutlich wird aber, dass die Menschen mehr über ihr Geld nachdenken, auch abseits der ausgetretenen Pfade. „Wir sehen großes Interesse an führenden Buyout-Fonds, die oft einen IRR von mehr als 20 Prozent anstreben“, sagt etwa Pauls für Moonfare. „Zudem sehen wir gesteigertes Interesse an „Real Assets Funds“ wie zum Beispiel Infrastruktur.“

Die Flucht in die Nische also. Da passt auch die Beobachtung von der Börse Stuttgart, die Interesse an Anlagen wie Gold registriert, aber auch an inflationsindexierten Anleihen. Deren Handelsvolumen steigen seit 2021. Bei Scalable beobachtet man unter anderem, dass für die Kunden zu einem Portfolio „nunmehr verstärkt auch ein geringer Kryptoanteil gehört.“ Und dann bleibt da noch ein anderes bewährtes Rezept: die breite Streuung. Tatsächlich sieht man bei der ING keine Schwerpunktprodukte, sondern „weiterhin breit streuende Investments“.

Schöne neue Anlagewelt? Sicherlich nicht. Aber eben auch kein bloßes „Weiter so“.

Teaserbild, iStock: Bildnachweis: Stadtratte

Autor

  • Arne Gottschalck arbeitet als Redakteur und Autor. Seine Schwerpunkte sind die Themenbereiche Wirtschaft, Finanzen und Technik. Er arbeitet seit 2017 als Redakteur bei der Corporate Publishing Agentur JDB.de. Zuvor war er über zehn Jahre als Journalist beim Manager Magazin angestellt.

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