Victoria Hoffmann hat ihr Fintech mitten in der Krise gegründet und gehört damit zu einer ganz kleinen Gruppe von Menschen in Deutschland. Ihre Idee ist gut, der Start war extrem erfolgreich. Doch reicht das, um das nächste Fintech-Wunderkind zu werden?
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Wenn man Victoria Hoffmann fragt, warum gerade jetzt die richtige Zeit ist, ein Startup zu gründen, hat sie eine kämpferische Antwort parat: „Krisenzeit ist Gründerzeit.“ In Zeiten, wo bei vielen Investoren Gelder nicht gerade locker sitzen und Budgets schrumpfen, sei die Nachfrage nach Lösungen, die Abläufe effizienter machen und Kosten sparen, am größten. Und eine solche Lösung biete ihr Start-up SectorPi schließlich an.
Was Hoffmann damit meint, ist die Software von SectorPi, die es Start-ups und anderen Unternehmen einfacher machen soll, Fördergelder zu beantragen. Vielen Unternehmen entgehen laut Hoffmann nämlich jährlich potentiell zehntausende bis Millionen Euro an Fördergeldern, gerade im Start-Up-Bereich. Der einfache Grund: Sie zu beantragen ist aufwändig, langwierig und kompliziert. Dabei bräuchten gerade sie derzeit oft zusätzliche Einnahmequellen, sagt sie. Mit SectorPi, das gerade mal ein halbes Jahr alt ist (und auf unserer Watch-Liste steht), möchte Hoffmann diesen Prozess vereinfachen.
Und das mit ersten Erfolgen: „Wir haben bisher eine hundertprozentige Erfolgsquote“, sagt Hoffmann. Eine mittlere zweistellige Zahl an bisher geprüften Anträgen wurde bewilligt. Ob das langfristig Bestand hat, bleibt abzuwarten – schließlich dauert es bei den meisten Anträgen noch, bis Rückmeldungen eintreffen. Die Mühlen der Bürokratie sind langsam – verläuft ausgerechnet über sie der Weg zur nächsten Fintech-Gründerin des Jahres?
Der lange Weg zur Gründung
Hoffmann selbst scheint das jedenfalls egal zu sein, denn sie hat ihr großes Ziel schon erreicht. Mit dem Start-up geht für sie nämlich nicht nur ein beruflicher, sondern ein sehr persönlicher Traum in Erfüllung. „Es hat zehn Jahre gedauert, bis ich den Mut gefasst habe, den Schritt zu gehen”, sagt die 31-Jährige. Schon als Kind habe sie den Gründungswille gehabt. „Ich wollte es mir selbst beweisen.”
Hoffmann studierte Dual an der Hamburg School of Business Administration und bei der Commerzbank. Sie absolvierte ein Praktikum in New York, hatte Jobs als Business Development Managerin. Erstmal wollte sie sich ein Fundament aufbauen und Berufserfahrung sammeln. Doch das konnte ihren Gründerinstinkt nicht stillen.
„An meinem 28. Geburtstag bin ich morgens aufgewacht und habe gemerkt, dass ich beruflich nicht wirklich erfüllt bin”, erinnert sie sich. Das war 2022 und die Covid-Pandemie war gerade vorbei: „Mir war bewusst, dass ich nichts Eigenes aufbaue, sondern lediglich die Visionen anderer umsetze.”
Doch wie will man im Start-up-Sektor anfangen, wenn man kein Netzwerk hat? Victoria Hoffmann fing bei Null an und baute sich Stück für Stück ein Netzwerk auf, bekam dank Vertrauensvorschuss einen Podcast und später einen Job bei Expresssteuer. Nebenbei gründete sie mit crypto girls club eine Community für Frauen im Blockchain-Bereich mit.
Eine Idee, geboren aus Erfahrung
Dann zog sie nach Berlin, um bei EIT Digital, einer EU-Förderorganisation für Deep Tech, die Verantwortung für Westeuropa zu übernehmen. Dort kam ihr endlich die Idee für ein eigenes Start-up. Sie bemerkte, wie schwierig es für junge Unternehmen war, EU-Fördergelder zu beantragen. Ein Antrag habe Unternehmen teilweise sechsstellige Summen gekostet, bevor er überhaupt bewilligt gewesen sei, geschweige denn das Geld floss: „Die meisten haben im stressigen Alltag keine Zeit für die vielen Meetings, Excel-Tabellen und Word-Dokumente”, sagt Hoffmann. „Das musste einfacher gehen!”
Hoffmann begann selbständig, Unternehmen bei ihren Förderprozessen zu beraten und brütete dabei über einer Idee: Sie schaute sich die Prozesse im Detail an und verwendete das Geld aus den ersten Beratungsaufträgen für die Arbeit an einer Software-Lösung. Zusammen mit ihren Co-Gründern Marko Häckel und Sascha Traub baute sie das Unternehmen um die Software auf. Ersterer arbeitete als promovierter Chemiker seit langem im Bereich Forschungsförderung. Traub, der mit Hoffmann bei Expresssteuer gearbeitet hatte, war als CTO für die Codes zuständig.
Mit KI gegen das Bürokratie-Monster
Der Kern von SectorPi ist eine KI, die seit einigen Monaten automatisch prüft, ob Unternehmen Anspruch auf Fördergelder haben. Sie gibt zudem Hinweise zu den Antragstexten und erstellt notwendige Antragsdokumente automatisch – oft reichen ein paar Stichpunkte und Projektangaben. „Manche Förderungen werden weitestgehend nach festen Kriterien vergeben“, erklärt Hoffmann. Die KI wurde mit früheren Anträgen, Programmrichtlinien und Expertenwissen trainiert, um die Erfolgschancen eines Antrags zu bewerten. „Nicht die innovativsten oder vielversprechendsten Projekte, sondern die am besten geschriebenen Anträge gewinnen“, sagt Hoffmann.
Als der erste Prototyp fertig war, konnte Hoffmann den Schritt wagen, auf den sie ihr gesamtes Berufsleben hingearbeitet hatte. „Ich musste mich eben für eine Sache entscheiden”, sagt sie. Und die fiel ihr nicht schwer: Im April 2024 kündigte sie ihren Job und kümmerte sich ab Mai in Vollzeit um SectorPi.
Schneller ans Geld
Mit ihrer Software tritt Hoffmann in Konkurrenz zu Förderagenturen, die laut ihr meist zehn bis 20 Prozent der Fördersumme verlangten. SectorPi ist nach eigenen Angaben durchschnittlich nicht nur um die Hälfte günstiger, sondern auch doppelt so schnell. Eine Zahlung wird nur bei erfolgreichem Antrag fällig. Komplexere Anträge prüft das Team manuell, inklusive aller Dokumente und Verträge. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Industrieunternehmen, Forschungsprojekte oder Fintechs handelt.
Der schnellste Weg für viele Kunden ist die Forschungszulage – eine steuerliche Rückerstattung, die auch rückwirkend für abgeschlossene Projekte gilt. Im Gegensatz zu anderen Förderungen, die oft Monate bis über ein Jahr für die Bewilligung benötigen, bietet sie deutlich schneller Ergebnisse. „Für viele Unternehmen ist es unvorstellbar, so lange zu warten“, erklärt Hoffmann.
Der Staat als Kunde?
In Zukunft soll der Prozess zu 95 Prozent schneller sein als bei Agenturen – nahezu vollständig automatisiert. Der einzige Aufwand für Unternehmen und SectorPi wäre, die nötigen Informationen bereitzustellen und das Ergebnis zu prüfen. „Im Prozess selbst braucht man dann theoretisch keine Menschen oder Berater mehr“, sagt Hoffmann.
Doch was, wenn die EU ihr Versprechen von weniger Bürokratie und schnelleren Prozessen umsetzt? Würde das SectorPis Modell gefährden? „Das wird Jahrzehnte dauern“, meint Hoffmann. „Die Prozesse sind so komplex, dass der öffentliche Sektor das allein nicht lösen wird.“ Hier sieht sie ihre Chance – und eine potentielle neue Rolle: Langfristig kann sie sich vorstellen, Behörden als Kunden zu gewinnen: Die KI kann dann die Anträge prüfen, die sie vorher eingereicht hat. Wie praktisch.