Eine Bilanz-Kolumne von Miriam Wohlfarth zum Hype in der Tech- und Finanzwelt
Alle reden über „die Blockchain“, aber keiner weiß, was das eigentlich ist. Dabei ist es wichtig, das System zu verstehen, denn es könnte Transaktionen im Internet für immer verändern und auf lange Sicht sogar Banken überflüssig machen… Zuerst erschienen auf welt.de Auch auf der diesjährigen Digitalkonferenz Re:publica in Berlin war das Thema Blockchain prominent vertreten. Es handelt sich dabei um den derzeit größten Hype in der Tech- und Finanzwelt. Viele Investoren finanzieren Start-ups, die sich Geschäftsmodelle rund um die Blockchainausdenken. Das Buzzword erzeugt allgemein großes Interesse. Das Problem ist nur: Niemand versteht wirklich, was eine Blockchain ist. Im Rahmen der Konferenz war ich noch bei einer weiteren Veranstaltung zum Thema Payment und Betrug im Internet, an der nur Leute teilgenommen haben, für die das Thema Blockchain beruflich relevant ist. Nach der Diskussion wurde ins Publikum gefragt, wer sich denn im Berufsalltag mit der Blockchain beschäftige. Nur eine Person meldete sich. Bei der Frage, wer Bitcoins, die bekannte Blockchain-Kryptowährung, besitzt, ging ein weiterer Finger nach oben. Es wird viel geredet, aber das Thema bleibt abstrakt. Kein Wunder, die Blockchain ist ein klassisches Nerd-Thema, bei dem einem Begriffe wie „dezentralisierte Datenbanken“, „Knoten“, „Hash-Algorithmen“ oder „Transaktionsketten“ nur so um die Ohren fliegen. Gleichzeitig sagen alle, dass die Blockchain das ganz große Ding ist und unser Leben umwälzen wird.Ich bin zum größeren Teil Finanz- und zum kleineren Teil IT-Fachfrau. Deswegen gehöre auch ich zu den Menschen, die trotz all dieser Fachveranstaltungen immer noch nicht ganz begriffen haben, was die Blockchain eigentlich ist und kann. Wenn sie aber angeblich das Potenzial hat, unseren Alltag zu verändern, möchte ich endlich verstehen, was es mit der Blockchain auf sich hat.
Was ist eine Blockchain?
Eine der seltenen Definitionen der Blockchain, die mit relativ wenigen Fremdworten auskommt, lautet: „Blockchains sind spezielle Datenbanken, die Transaktionsdaten ohne eine zentrale Kontrollinstanz, ohne die Notwendigkeit gegenseitigen Vertrauens und mit vollkommener Transparenz verwalten können.“
Klingt noch ziemlich abstrakt. Anschaulicher und stark vereinfacht wird die Blockchain vom Techexperten Jamie Skella beschrieben. Sein Blockchain-Artikel ist vor ein paar Wochen bei LinkedIn erschienen und hat sich in Windeseile im Internet verbreitet. Skella sagt, man könne sich eine Blockchain wie ein Kassenbuch vorstellen: Sobald zwischen einem Absender und einem Empfänger eine Datentransaktion stattfindet, wird in das Kassenbuch eine neue Position eingetragen.
Klingt erst einmal unspektakulär und nach klassischer Buchhaltung. Aber: Dieses Kassenbuch liegt nicht im Aktenschrank von Buchhalter Müller und kann dort von ein paar Leuten eingesehen werden, sondern es befinden sich Tausende Kopien dieses Kassenbuches auf Computern rund um den Globus. Diese Kopien sind sowohl auf Privatcomputern als auch auf Businessservern gespeichert.
Sobald eine neue Position in eines dieser Kassenbücher eingetragen wird, erscheint dieser Posten in allen anderen Kassenbüchern und wird von den Computern, auf denen die Kassenbücher gespeichert sind, authentifiziert. Erst dann ist die Transaktion gültig. Da jede Zeile für immer und unveränderlich im Kassenbuch stehen bleibt und von Hunderten Computern authentifiziert werden muss, gelten Transaktionen über eine Blockchain – im Vergleich zu heutigen Systemen – als so gut wie fälschungssicher.
In seinem Artikel wählt Skella ein einfaches Bild: John drückt Sue Geld in die Hand, und dabei sehen einige Hundert Leute zu. Sie bestätigen, dass John Sue das Geld wirklich gegeben hat und auch wie hoch der Geldbetrag war. Die Kontrolle über diese Transaktion liegt in der Hand von vielen und nicht wie bisher in der Hand von einem Akteur, etwa einer Bank. Jedoch nur die Kontrolle über die Transaktion, wer John und Sue sind, sieht niemand.
Denn jeder Transaktionsteilnehmer ist anonym – es sei denn, er möchte erkannt werden. Genau genommen drückt nämlich John Sue das Geld nicht direkt in die Hand, sondern legt es in Sues elektronischem Briefkasten, ihrem „Wallet“, ab. Die Adresse dieses Wallet kann man nicht einfach einer Person zuordnen, und jeder kann mehrere Wallets unterhalten.
Was bringt uns eine Blockchain?
Transaktion – das klingt erst mal nach Geldverkehr. Aber auch über den Geldverkehr hinaus erweitert die Blockchain den Handlungsspielraum und gibt uns mehr technologische Möglichkeiten, eine Transaktion, für die das greifbarste Beispiel der Transfer von Geld ist, abzuwickeln. Der Payment-Experte Kilian Thalhammer sagt:„Als technologischer ‚Enabler‘ kann die Blockchain dabei helfen, bestehende Prozesse schneller, kostengünstiger und einfacher abzuwickeln. Die Blockchain ist sowohl eine Revolution auf der technischen Infrastrukturebene als auch eine Evolution auf der Businessebene.“Das derzeit prominenteste Beispiel für eine Blockchain hat tatsächlich mit Geld zu tun: Von der Internetwährung Bitcoin haben sicher die meisten schon einmal gehört. Die Bitcoin-Blockchain ist die größte und bekannteste öffentliche Blockchain. Genau genommen ist ein Bitcoin nichts anderes als eine einzelne Position, die im Bitcoin-Kassenbuch notiert wurde. Und wer die Bitcoin-Posten anderer authentifiziert, kriegt zur Belohnung selbst welche – stark vereinfacht ausgedrückt. Während Kryptowährungen wie Bitcoins oder Ether die wenigen Beispiele für etablierte Blockchain-Anwendungen sind, sagen Experten der Blockchain auch in anderen Bereichen eine relevante Daseinsberechtigung voraus. Das liegt vor allem daran,
- dass durch die technologische Konstruktion einer Blockchain die Unveränderbarkeit der Daten sichergestellt ist, es kann also nachvollzogen werden, wann, warum und wie ein neuer Posten in das Kassenbuch notiert wurde. So können einerseits digitale Besitzrechte zweifelsfrei festgestellt und andererseits Original und Kopie eines Datensatzes zweifelsfrei voneinander unterschieden werden.
- dass Transaktionen ohne einen dedizierten zentralen Mittelsmann abgewickelt werden können.
Bedeutet der Aufstieg der Blockchain das Ende der Banken?
Oder wie mir der Blockchain-Experte Axel Apfelbacher im Rahmen meiner Recherche sagte: „Die Blockchain ist das Kondom des Internets – sie ermöglicht sichere Transaktionen zwischen einander Unbekannten ohne Einschaltung einer dritten Partei.“ Im Moment werden die Einsatzmöglichkeiten der Blockchain noch sehr vorsichtig geprüft. Banken träumen davon, durch den Einsatz von Blockchain-Technologie Prozesse schneller und vor allem kostengünstiger gestalten zu können. Jedoch: Wenn in Zukunft nur noch der Prozess zwischen Sender und Empfänger relevant ist, könnten Banken, Kreditkartenfirmen oder Börsen in ihrer jetzigen Funktion sehr schnell überflüssig werden. Einige prognostizieren, dass dann auch Internetriesen wie Uber oder Airbnb verschwinden, weil Ferienwohnungen oder Autofahrten einfach direkt zwischen Anbieter und Kunde vermittelt werden. Ähnliche Vorhersagen gibt es für die Musik- und Filmindustrie, Stichwort Spotify. Selbst im Energiesektor rüstet man auf: Verschiedene Start-ups arbeiten an Geschäftsmodellen, die die Energieverteilung am Energieversorger vorbeiorganisieren wollen. Speicherplatzanbieter wie Dropbox lassen sich schon heute umgehen durch Dienste wie Storj, weil Datensätze kleinteilig auf vielen verschiedenen Computern gespeichert werden. Nur der Besitzer des Dokuments, der sich durch die Blockchain leicht identifizieren lässt, erhält einen virtuellen Schlüssel, mit dem er die einzelnen Teile zusammensetzen kann. Das sollte Musik in den Ohren von uns Deutschen sein: Kein Internetgigant hat mehr die Macht über unsere Daten, nur noch das Netzwerk, und damit eigentlich niemand. Auch unsere digitale Identität, bisher ein klarer Schwachpunkt im Internetverkehr, könnte durch die Blockchain endlich zweifelsfrei und rechtssicher festgestellt werden. Dann könnten wir Verträge online abschließen und digital wählen gehen.Wann kommt der große Durchbruch?
Die möglichen Anwendungsfälle für die Blockchain sind unendlich. Jedoch stecken die meisten dieser Prozesse noch in den Kinderschuhen. Bisher beinhaltet die Diskussion zur Blockchain sehr viel Theorie und wenig Praxis. Im besten Fall wird es sich wie bei der Evolution von PC und Internet verhalten: Zu Beginn glaubten einige wenige Nerds und Tüftler an den Erfolg des Projekts, aber erst mit den (relativ) idiotensicheren Benutzeroberflächen kam der Durchbruch. Bevor die Blockchain im Mainstream ankommt, muss sich herausstellen, an welcher Stelle wirklich ein Mehrwert für den einzelnen Akteur entsteht, seien das Firmen, Endkunden oder Technologieanbieter. Im Moment befinden sich Blockchain-Anwendungen in einer Trial-and-Error-Phase, und wir dürfen gespannt sein, was uns am Ende dieses Prozesses erwartet.
Zur Autorin:
Miriam Wohlfarth ist ein festes Mitglied bei paymentandbanking. Als Gründerin und Geschäftsführerin von RatePay mischt sie seit einigen Jahren die FinTech-Szene auf, und ist mittlerweile ein festes Gesicht in der Branche, dabei engagiert sich gerade für die weibliche Riege in ihrem Arbeitsumfeld. Sie ist Autorin, Rednerin sowie Ideengeberin und Initatorin der Payment-Exchange. Seit geraumer Zeit auch BILANZ-Kolumnistin für die WELT.
Die Kolumne werden wir hier künftig regelmäßig abbilden.