Neulich las ich auf einem der großen Businessportale im Profil einer großen Bank folgenden Beitrag: „Diversität ist Unternehmen essenziell.“ Das obligatorische Foto zum Beitrag zeigte den Vorstand: Sechs gleich aussehende Männer in gleich aussehenden, blauen Anzügen. Nun, finde den Fehler …

Das ist die große Diversity-Lüge oder vielleicht eher der Zauberstaub, den uns die Vorstände (absichtlich nicht gegendert) in die Augen pusten und denken, wir wären wirklich naiv genug, zu glauben, dass Diversität außerhalb von PR-tauglichen Events irgendeine Rolle für die weißen Männer in blauen Anzügen spielt.

Der Prozentsatz der Frauen kaschiert das eigentliche Problem

Banken, Fintechs und Diversity – Beziehungsstatus: kompliziert. Es gibt siebenunddrölfzig Millionen Studien, die bescheinigen, dass diverse Teams, wenn sie bis an die Spitze gelangen, eine gesteigerte Performance, Wirtschaftlichkeit und höhere Innovationskraft aufweisen. Doch wir stehen immer noch bei mageren 3 % Frauen in der Geschäftsführung deutscher FinTechs und 14 % Frauen in den Vorständen unserer Banken. Das nenne ich echten Fortschritt!

Dabei ist das Eigenbild ein ganz anderes und so hört man schon mal von Berliner FinTechs:  Wir sind wirklich schon divers! 30 Prozent unserer Mitarbeitenden sind Frauen! Krass. Wow! 30 %. Herzlichen Glückwunsch. Leider entlarvt schon ein kurzer Blick die traurige Wahrheit: keine Frau im Vorstand, keine im Senior Management und auch nicht in den wichtigen Entscheidungsebenen darunter. Einzige Ausnahme: „Head of People“. Hurra, dass wir noch eine gefunden haben. Das wirft doch ein richtiges Glanzlicht auf die Diversität! Nicht.

Zu viele Roberts und Thomas in der Führungsetage für wahre Diversität

Spricht man die fehlende Diversität an, besonders in den oberen Hierarchieebenen, wird oft reflexartig gekontert, dass Diversität weit mehr als nur Geschlechtervielfalt umfasst. Und das stimmt, Robert! Völlig richtig! Also lasst uns gerne mal die Diversität in den meisten Fintechs und Banken (Sparkassen sind mitgemeint) in den obersten fünf Führungsetagen aufzählen, die vielen Menschen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft, die neurodiversen Führungskräfte, die migrantisierten Top-Manager:innen, natürlich die vielen Frauen, unterschiedlichste Religionen, Alter und so weiter:

  • In den Führungsetagen gibt es hauptsächlich deutsche Männer über 50
  • Die Männer haben fast alle unterschiedliche Sternzeichen.
  • Sie sind auch in unterschiedlichen deutschen Städten geboren.
  • Haben an unterschiedlichen Elite-Unis studiert.
  • Und sie haben ganz unterschiedliche Bartlängen – oder sogar gar keinen Bart!

Ich nenne das eine atemberaubende Vielfalt. Zusammen mit den 30 % Frauen im Unternehmen und Mitarbeitenden aus über 70 Ländern heißt das dann ja, dass wir jetzt einen Haken an das Thema Diversity machen können!

Vielfalt ist Schlüssel für Innovationen

Und tatsächlich können wir das. Was die meisten Unternehmen nicht sehen wollen: Diversity ist nicht das Thema. Vielfalt ‚ist‘ nämlich einfach, sie existiert. Mehr als das Thema „Diversität“ bzw. Vielfalt sind Chancengleichheit bzw. Chancengerechtigkeit (Equity)  der Schlüssel für Innovation. Und für 90 Prozent der Unternehmen auch buchstäblich die einzige Überlebenschance, sage ich, obwohl ich keine Glaskugel besitze.

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Die Frauen, die zugewanderten Fachkräfte, die älteren und jüngeren Generationen, die den Fachkräftemangel – über 7 Millionen bis 2030 – abfangen sollen, also die, die gerade mit ganz viel Geld im Recruiting einkauft werden, verlassen euch in den ersten zwei Jahren, wenn die Unternehmenskultur so gestaltet ist, dass immer nur die gleichen Christians und Thomas weiterkommen.

Die Menschen, die sich aktiv für das Thema einsetzen, weil sie aktuell noch von diskriminierenden Strukturen betroffen sind, haben es geschafft, dass auch der letzte CEO begriffen hat, dass an DE&I (steht für Diversity, Equity und Inclusion) kein Weg vorbeiführt. Im Ergebnis bedeutet das bisher leider aber hauptsächlich schillernde PR: öffentlichkeitswirksame Events, Unterschreiben irgendwelcher Diversity-Dokumente, ein Workshop oder Keynote pro Jahr und -„hex hex!“: alle sind geheilt von ihrem wissenschaftlich bewiesenem Schubladen-Denken, ihrem Similarity Bias und allen Verhaltensmustern, die unsere Branche in den letzten Jahrhunderten zum Gatekeeping genutzt hat.

Transformation braucht mehr als einen Workshop

Die Kosten der großen Diversitätslüge tragen die marginalisierte Personen und die internen Netzwerke, die sich – meist unbezahlt – zusätzlich zu ihrem eigentlichen Job Themen rund um Inklusion queerer, behinderter, neurodiverser Menschen widmen, darum, dass sich Equal Pay endlich angeschaut wird oder das Unternehmen Frauen die gleichen Chancen ermöglicht, die Männern schon immer zuteilwurden.

Denn in Wahrheit braucht es so viel mehr als einen einzigen Unconscious Bias Workshop. Es bedarf einer tiefgreifenden Transformation, eines Kulturwandels und vor allem einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Status Quo durch diejenigen, die sich bisher nicht mit dem Thema auseinandersetzen mussten.

Diversen Unternehmen gehört die Zukunft

Dabei steckt das Diversity-Potenzial in allem, was unangenehm ist: Ein ungeschönter Blick auf die Daten mittels eines Diversity-Audits. Das ist die Baseline für alle Maßnahmen: eine anonyme Mitarbeitendenbefragung um herauszufinden, welche Diversity-Dimensionen das Unternehmen bisher nicht sieht oder vielleicht sogar ausschließt. Echte Trainings rund um echte Selbstreflexion für Führungskräfte, verbindliche Regeln rund um Diversität in der Nachfolgeplanung oder ganz niedrigschwellig: in der Zusammenarbeit mit externen Recruiter:innen. Ohne einen ehrlichen Blick in den Spiegel wird das nichts. Auch messbare und öffentlich einsehbare KPIs, vergleichbar mit allen relevanten Unternehmenszahlen, sind unerlässlich. Und vor allem braucht es den tatsächlichen Willen zur Veränderung von ganz oben. Sonst bleibt Diversität nämlich nur eins: Marketing.

Mich macht das wütend.

Traue keinem CEO oder Aufsichtsrat, der von Diversität spricht und sich nur von lauter Banker-Klonen umgeben lässt, ohne konkrete Maßnahmen für mehr Vielfalt in allen Hierarchie-Ebenen zu nennen.

P.S.: Das Problem haben hauptsächlich Banken und Fintechs, bei denen die CEO-Position nicht mit einer Frau besetzt ist. Die bilden die große und leider noch zu spärliche Ausnahme, bei denen sich übrigens zuhauf junge Männer, Frauen und nicht-binäre Personen bewerben. Wer eine Zukunft will, geht zu wahrhaftig diversen Unternehmen.

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