Silicon Valley Teil 2: Alte Seilschaften, neue Mythen

Alte Machtstrukturen im Silicon Valley Tech-Eliten und die Paypal Mafia unter der Lupe

Tech-Eliten: Alte Netzwerke, alte Denke

In der letzten Kolumne haben wir gemeinsam beleuchtet: Das Silicon Valley ist weniger eine Innovationsschmiede als eine verlängerte Werkbank konservativer Macht. Wenn wir noch genauer hinschauen, wer heute die Richtung vorgibt, wird das düstere Bild pechschwarz. Was das für unsere Vorstellung von „Fortschritt“ bedeutet?

In der Start-up-Mythologie wird Silicon Valley gern als offenes Spielfeld verkauft, auf dem jede*r mit einer guten Idee erfolgreich sein kann.
In Wahrheit bestimmen bis heute alte Seilschaften, wohin die Reise geht, unter anderem die Paypal Mafia.

Diese Gruppe ehemaliger Paypal-Führungskräfte (Leute wie Peter Thiel, Elon Musk und Reid Hoffman) hat nicht nur Firmen wie Tesla, Linkedin und Palantir hochgezogen, sondern auch ein ziemlich einheitliches Weltbild verbreitet:
Libertär bis ins Mark. Technik als Machtinstrument. Gesellschaftlicher Fortschritt? Nett gemeint, aber eher eine ungewollte Nebenwirkung. 

Peter Thiel selbst ist einer der sichtbarsten Vertreter dieser Haltung. Er zweifelte öffentlich daran, ob Demokratie und Freiheit überhaupt zusammenpassen, und unterstützte mehrfach offen rechtspopulistische Kandidaten.

Und nicht nur Thiel trägt zur Rückbesinnung auf alte Rollenbilder bei. Mark Zuckerberg, einst gefeiert dafür, dass er als Mann (welch Schock!) Elternzeit genommen hat, forderte zuletzt öffentlich mehr „maskuline Energie“ in Unternehmen – ein Code für die Wiederbelebung konservativer, hierarchischer Strukturen, die Vielfalt und Gleichberechtigung eher als Störfaktor denn als Ziel sehen.

Dass Typen wie Musk, Thiel oder Zuckerberg heute öffentlich rechts blinken oder rechts überholen, ist kein Unfall. Es ist die logische Folge dieser Strukturen.

Tech und Antifeminismus: Fortschritt für wen genau?

Das betrifft nicht nur Macht und Geld. Auch in Sachen Gleichberechtigung sieht es düster aus. Trotz aller Diversity-Versprechen reproduziert die Tech-Branche alte patriarchale Strukturen im neuen Gewand.

Frauen werden systematisch unterrepräsentiert, gerade in Führungspositionen.
Kulturelle Codes der Branche, von toxischer Bro Culture bis hin zu aktiver Ausgrenzung, halten sich hartnäckig. „Empowerment“ wird zum Buzzword, während Macht, Kontrolle und Exklusion weiterhin in Männerhänden bleiben.

Echte Veränderung? Fehlanzeige. Stattdessen: MeToo-Übergriffe, toxische Arbeitsumfelder, systemische Diskriminierung. Tech ist nicht nur konservativ, es ist oft direkt antifeministisch.

Viele prominente Tech-Figuren vertreten reaktionäre bis offen antifeministische Werte. Hierarchien, Kontrolle und Exklusion sind kein Betriebsunfall – sie sind der Konstruktionsplan. Anstatt patriarchale Strukturen zu hinterfragen, werden sie einfach neu verpackt: Girlboss-Rhetorik hier, vermeintliche Diversity-Initiativen da.

Tradwives und finanzielle Kontrolle: Backlash in Pastellfarben

Parallel zur Tech-Elite erstarkt in den sozialen Medien die sogenannte Tradwife-Bewegung. Das Ideal: Hausfrau sein, dem Ehemann finanziell komplett untergeordnet, kein eigenes Einkommen, keine eigene Absicherung.

Was harmlos wirkt – ein bisschen Butter schlagen und Blumen binden – hat einen ernsten Kern. Es geht um die Reetablierung ökonomischer Abhängigkeit.
Finanzielle Kontrolle ist das Herzstück jeder sozialen Kontrolle.

Und genau hier wird es brandgefährlich. Wer finanzielle Eigenständigkeit aufgibt, verliert Handlungsspielräume und das nicht nur im Privaten, sondern auch gesamtgesellschaftlich.

Statt Butter zu schlagen, vielleicht lieber finanzielle Unabhängigkeit absichern.

Es geht auch anders: Mira Murati und der Mut zur Verantwortung

Zum Glück gibt es auch andere Stimmen. Mira Murati, eine der entscheidenden Architektinnen hinter ChatGPT und ex-CTO von OpenAI, zeigt, dass Technologie nicht zwangsläufig in alte Muster verfallen muss.

Murati verließ OpenAI, weil sie spürte: Der Kurs in Richtung immer mächtigerer KI-Modelle um jeden Preis war nicht mehr mit ihrer Vision von verantwortungsvoller Technologie vereinbar. Ihr Fokus: Responsible AI, die nicht nur stärker, sondern auch gesellschaftlich sinnvoller sein muss.

Mit ihrem neuen Unternehmen Thinking Machines Lab verfolgt sie einen anderen Ansatz. Mensch und Maschine sollen im echten Zusammenspiel arbeiten. Sie setzt auf die Zusammenarbeit mit Philosoph*innen, Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen, um ethische Standards von Anfang an mitzudenken. Und sie setzt bewusst Grenzen, um gesellschaftliche Schäden frühzeitig zu vermeiden.

In Interviews betont Murati immer wieder: Fortschritt heißt nicht, blind in die nächste Stufe zu rennen. Fortschritt heißt, Technologien so zu gestalten, dass sie alle Menschen besserstellen – nicht nur ein paar wenige Investoren oder Machtzentren.
Oder wie sie es klar sagt: „Wir brauchen eine KI, die die Menschheit stärkt – nicht eine, die sie ersetzt.“ 

Was wir daraus lernen sollten

Es reicht nicht, neue Apps und smarte Tools zu feiern. Es reicht nicht, zu glauben, dass Technologie automatisch das Beste in uns hervorbringt. Es geht darum, wer Technik gestaltet – für wen.

Wenn wir echten gesellschaftlichen Fortschritt wollen, brauchen wir mehr Mira Muratis und weniger Paypal-Mafias. Mehr Verantwortung, weniger Machtspielchen. Mehr Mut, Systeme wirklich neu zu denken – nicht nur ihre Interfaces.Und vielleicht auch weniger Rechts überholen auf der Tech-Autobahn. 

Autor

  • Alex Gessner ist COO bei ACI Diversity Consulting und Speakerin und Moderatorin. Finance Disruptor by day, diversity activist by night: in der Finanzbranche hat sie mehrere intersektionale Netzwerke aufgebaut, unter anderem futura bei Solaris, und die erste Datenerhebung in Europa durchgeführt, die nicht nur das Thema „Frauen und Finanzen“, sondern insbesondere trans* und migrantisierte Frauen in den Fokus stellt. Sie ist für ihr Engagement im Bereich Diversity von etlichen Unternehmen ausgezeichnet worden, darunter Global Digital Women, Beyond Gender Agenda, Impact of Diversity, sie ist als #1 Prout Executive von Prout At Work und vom Business Insider als eine der „25 Zukunftsmacherinnen, die ihre Branche maßgeblich verändern“ ausgezeichnet worden.

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