Ein Interview mit Blockchain- und Technologieexperte Florian Glatz
Der Bereich um das Thema Blockchain und deren scheinbar rasante Entwicklung ist derweil manchmal so unverständlich wie das Modell selbst. Was die Blockchain Technolgie ist, haben wir versucht hier des Öfteren zu beleuchten (Podcast). Doch an den Begriff, sind widerum einige Begrifflichkeiten anhänglich, die zu erklären gilt. Kryptowährung ist eben keine ausländische Bezahleinheit, Token nicht unbedingt eine symbolische Währung bei einem Gesellschaftsspiel. Und was gilt es bei diesen Finanzierungsmodellen zu beachten? Deswegen haben wir einen Experten zum Interview geladen, der etwas Licht in diese kryptografischen Begriffe bringen soll. Denn offensichtlich werden uns diese Verfahren wohl noch nachhaltiger beschäftigen.
Kilian spricht mit Florian Glatz
Was sind eigentlich ICO’s?
- Die Abkürzung ICO steht für „Initial Coin Offering“ – eine Parodie der bekannten IPOs, also dem Börsengang von Unternehmen. Gemein haben die beiden Modelle lediglich, dass sie der Unternehmensfinanzierung dienen. Im Gegensatz zum herkömmlichen Verkauf von Unternehmensanteilen an einer Börse, werden bei einer ICO weder Aktien verkauft, noch sind in den Verkaufsprozess eine Börse oder andere Intermediäre involviert. Bei einer ICO verkauft ein Unternehmen sogenannte Tokens. Dabei handelt es sich keinesfalls um klassisches Equity, sondern vielmehr um eine eigens geschaffene Währung, die zur Verwendung des vom Unternehmen angebotenen, bzw. noch zu entwickelnden Services notwendig ist. Anstelle von einer Börse, wird das Orderbuch über eine Blockchain abgebildet. Eine Blockchain ist fälschungssicheres Transaktionsregister, dass von einem dezentralen Peer-to-Peer-Netzwerk betrieben wird.
Was sind die aktuellen Beispiele? Wie unterscheiden die sich?
- Die erste große ICO fand im Jahr 2014 statt und diente der Entwicklungsfinanzierung des Ethereum-Protokolls, welches heute die zweitgrößte Kryptowährung (ETH) antreibt. Die Kapitalgeber konnten im Frühjahr 2014 sog. Ether gegen Bezahlung von bitcoins zu einem festgelegten Kurs erwerben. Zum Zeitpunkt des Verkaufs sammelte die eigens zu dem Zweck gegründete Ethereum-Stiftung das Äquivalent von 20 Millionen US-Dollar in Bitcoin ein. Als ein gutes Jahr später die Entwicklung des Ethereum-Protokolls einen stabilen Zustand erreichte, ging das Ethereum-Netzwerk live. In diesem Moment bekamen die Kapitalgeber ihren erworbenen Ether auf der Ethereum-Blockchain gutgeschrieben (https://etherscan.io/block/0).Heute finden fast täglich ICO-Events statt (auch Token Generation Events genannt). Mittlerweile gibt es verschiedene Token-Klassen in die investiert werden kann.
Was sind Tokens?
- Tokens sind digitale Rechnungseinheiten, die auf einer Blockchain kreiert und transferiert werden. Sie können verschiedenen Zwecken dienen und unterschiedliche Funktionalität aufweisen. Determiniert wird dies auf zwei Ebenen: zum einen auf Basis ihrer Programmierung, also den technischen Möglichkeiten die ein solches Token aufweist. Zum anderen auf Basis des rechtlichen oder sozialen Konsens, der – außerhalb der Blockchain – um die Bedeutung eines bestimmten Tokens herum gebildet wird. Ein sehr simples Token, der sog. ERC 20 Token (https://github.com/ethereum/EIPs/issues/20), besteht lediglich aus einer Prozedur zur Erstellung und zum Transfer eines solchen Tokens. Weitaus komplexer war etwa der DAO Token, welcher komplexe Prozeduren enthielt, um Gruppenentscheidungen unter den Tokeninhabern zu ermöglichen.
Wo fangen wir an Blockchain, Crypto, ICO‘s etc. ? Wieviel Komplexität vertragen wird hier?
- Die Lernkurve ist steil. Das ist auch gut so, denn hält es unerfahrene Nutzer davon, unüberlegte Investitionsentscheidungen zu treffen. Ebenfalls hindert es auch Aufsichtsbehörden daran, den dynamisch evolvierenden Space zu früh zu regulieren. Sie durchdringen einfach nicht was da passiert. Die Community hat die Chance, eigene Regeln zu entwickeln, die den Fortbestand des Ökosystems sichern.
Wozu denn das Ganze? Welches Problem wird gelöst? Braucht das jemand?
- Wer heute Risikokapital einsammeln möchte, ob durch eine IPO oder durch Private Equity, braucht einen langen Atem. Im Falle einer IPO sind eine Menge an regulatorischen Hürden zu nehmen, was faktisch nur großen Unternehmen offen steht. Bei Private Equity sind Unternehmer damit beschäftigt, bei schnöden VCs Klinken zu putzen um sodann ihre Seele vertraglich an den Investor zu übereignen.Eine ICO ist anders. Hier wird die eigene Community zu den Investoren eines Services oder Produkts gemacht. Die künftigen Nutzer sind also von Beginn an investiert in den Erfolg der Idee. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Software deren Entwicklung mit einer ICO finanziert wird, in großen Teilen Open Source Software ist. Die ICO ist also ein neuer Weg zur Finanzierung von quelloffener Software, was einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert hat.
Wie ist die regulatorische Sichtweise?
- Aus regulatorischer Sicht, lassen sich ICOs heute nur schwer einordnen. Der öffentliche Verkauf von Unternehmensanteilen ist hoch reguliert: Es müssen insbesondere Prospektpflichten durch den Verkäufer erfüllt werden, um den Schutz der Investoren zu garantieren. Da die verkauften Tokens im Rahmen einer ICO aber keine Unternehmensanteile sind, gelten diese Regelungen nicht. Trotzdem besteht ein Schutzbedürfnis auf Seiten der Investoren. Eine weitere offene Frage ist, ob Tokens „Securities“ nach der Definition der Amerikanischen Securities Exchange Commission darstellen. Schon heute werden US-Personen aus Angst vor den Konsequenzen einer Bejahung dieser Frage von den meisten ICOs ausgeschlossen.In die Zukunft blickend ist hier zu erwarten, dass es zunehmend Klärung zunächst auf behördlicher Ebene, sodann auf gesetzgeberischer Seite geben wird.
Wie ist die Risikobetrachtung v.a. aus Käufersicht?
- Die Risiken aus Käufersicht sind vielschichtig. Sie beginnen bei dem Projektteam, dass die ICO veranstaltet und enden bei der Sinnhaftigkeit des verkauften Tokens. Bezüglich letzterem gilt, dass vermutlich nicht jeder Token ökonomischen Sinn macht. Gerade hier befinden wir uns aktuell in einer Experimentierphase. Ein Token versucht Anreize zu kreieren, dass Netzwerk in dem er existiert aufrecht zu erhalten, sowie eine sinnvolle Netzwerk-Governance sicherzustellen. Was funktioniert und was nicht muss im Wege des Trial and Error Verfahrens herausgefunden werden.
Wie geht das Thema weiter? Nachhaltigkeit vs. Hype?
- Zur Zeit sind wir sicherlich in einer Hype-Phase. Die schiere Tatsache, dass ICOs technisch möglich sind und der positive Erwartungshorizont in Bezug auf Blockchain-Technologien kreiert einen sich selbst befeuernden Investitionszyklus. Ungeachtet dieses Hypes, können wir hier eine Evolution der Unternehmens- und Open Source Software-Finanzierung beobachten, die auch nach einem Abschwächen der aktuellen ICO-Mania bleibende Folgen haben dürfte.
Zum Autor:
Florian Glatz ist als Rechtsanwalt und Softwareentwickler beratend und unternehmerisch tätig. Seine Laufbahn als Programmierer begann schon im frühen Jugendalter. Nach einem erfolgreichen Jurastudium in München, mit Schwerpunkt im IP- und IT-Recht, absolvierte er sein zweites Staatsexamen in Berlin, wo er sich 2014 als praktizierender Anwalt niederließ. Seit drei Jahren beschäftigt er sich vornehmlich mit Blockchain-Technologie an der Schnittstelle zu Recht und Gesellschaft.
Als Researcher der französischen Forschungseinrichtung CNRS betreibt er Grundlagenforschung in internationalen Teams zum Thema Technik und Recht, mit einem Schwerpunkt auf dezentralisierten Netzwerken. Im Jahr 2015 begleitete er den Aufbau des Bitcoin-basierten Micropayment-Startups Satoshipay als Entwickler und Jurist mit. Im Rahmen des Berliner Legal Hacker Meetups, bringt er regelmäßig führende Denker zum Thema der Digitalisierung der Rechtswirklichkeit zusammen.